Auf den Spuren von…
Hanny Weissmüller, Lokomotiv-Führerin
In der besten aller Welten würde man es nicht einmal merken. Eine Frau im Führerstand eines Zuges, so normal wie etwas! Noch ist es aber eine Ausnahme. Zwar hat sich seit 1991 einiges geändert, als die ersten Lokführerinnen bei der SBB zum Einsatz kamen. Die Pionierzeit ist vorbei, aber noch immer gilt «It’s a man’s world», wie James Brown singt.
Mit ihrer untypischen Karriere und ihrem unerschütterlichen Humor hat Hanny Weissmüller ihren Platz in der Welt der Lokführer gefunden, ja, sie hat nun gar ihre Kandidatur fürs Präsidium des Unterverbands des Lokpersonals (LPV) im Sommer 2020 angekündigt. Das wäre eine Premiere. Und vielleicht sogar eine kleine Revolution in diesem Beruf, wo Frauen nach wie vor eine fast verschwindende Minderheit bilden.
Ich treffe Hanny in ihrem Heimatbahnhof Saint-Maurice am Tag, als SEV-Lok und SEV-Bus im 100-Jahr-Design dort Station machen. Die Hitze ist erdrückend. Aber Hanny ist voll Energie und schont sich nicht.
Weiblicher machen
Sie findet, ihr Beruf müsse weiblicher werden, «um ein Gleichgewicht in den Teams zu schaffen. Alles ist sehr männlich und von Männern für Männer gedacht. Das bringt beispielsweise Probleme bei den Pausen und beim Zugang zu Toiletten. Wir verlangen Massnahmen, die letztlich auch den Männern Verbesserungen bringen, und so sind auch sie zufrieden!» Wollen die Unternehmen mehr Frauen einstellen? Hanny zählt die Hindernisse auf: «Beginnen wir mit den Berufskleidern: Zum Teil bekommen wir die gleichen wie die Männer. Auch mit Grösse S könnte ich gleich davonfliegen! Es gibt auch keine Shorts für Frauen.»
Hanny liebt diesen Beruf, von dem sie schon lange träumte. In ihrer Familie spielten Lokomotiven immer eine grosse Rolle: «Schon mein Grossvater stellte Transformatoren für Lokomotiven her. Und mein Vater erzählte mir von seiner Arbeit und seinen Begegnungen mit den Lokführern. Ich wollte unbedingt auf eine Lok, in den Führerstand.»
Vier Berufe und vier Kinder
Doch als es in ihrer Jugend um die Berufswahl ging, machte ihr Vater ihr wenig Mut. Er war Ingenieur für Lokomotiven bei Brown Boveri und kannte das Milieu gut; das sei nichts für sie. Damals hatte es bei der SBB eine einzige Lokführerin. Sie geht also einen andern Weg. Mit 20 Jahren gibt sie die Arbeit bei der Gemeinde auf, weil sie sie nicht interessiert, und sie verlässt den Aargau, wo sie bei Baden mit zwei Schwestern und einem Bruder eine glückliche Kindheit verbrachte, um in Genf Französisch zu lernen. Sie durchläuft einen eindrücklichen Ausbildungsweg: Diplom als Programmiererin, eidgenössisches Diplom als Pensionskassen-Leiterin. Mit zwei Kindern und 15-Stunden-Tagen muss sie nach einer besser geeigneten Arbeit suchen. Hanny macht einen Abschluss als Erwachsenenbildnerin und eine Ausbildung als Wirtschaftsmediatorin. Nach zwei weiteren Kindern und einer Scheidung hätte sie es dabei belassen können, mit dieser schon sehr reichhaltigen Karriere.
Besser als im Traum
«Noch heute erinnere ich mich sehr gut. Mit 40 Jahren erwachte ich eines Morgens und sagte mir: ‹Weshalb mache ich das und nicht, was ich schon immer machen wollte?› Und ich habe mich bei der SBB beworben und es ist gelaufen wie auf Schienen.» Ist der Beruf im Rückblick, wie sie ihn sich als Kind ausgemalt hat? «Es ist noch besser als in der Vorstellung. Ich bin begeistert.»
Sie engagiert sich im SEV, im SGB und politisch in der SP, um mitwirken zu können: «Natürlich bin ich auch in der Gewerkschaft, weil es Sachen zu verbessern gibt, und ich bin empfindlich auf Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen. Das männliche Gehabe ist peinlich, sowohl in der Hierarchie als auch unter Kollegen. Es ist schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Vorgesetzten und die Kollegen verstehen oft nicht, dass es eine Arbeitsorganisation braucht, die auch für Frauen mit Kindern passt. Die Männer haben häufig eine Frau zu Hause.» Ihre innere Stärke ist so mächtig und kommunikativ, dass Hanny die Vorurteile schmelzen lässt wie Schnee in der Sonne.
Yves Sancey/Übers. Peter Moor