Auf den Spuren von...
Gabriele Bianchi, Lokführer
Gabriele Bianchi ist ein entschlossener junger Mann, dynamisch und von liberaler Haltung. Seine klaren Ideen weiss er präzise und wohlüberlegt auszudrücken. Der Lokführer bei SBB Cargo International ist Mitglied der Jugendkommission des SEV. Er sieht die Gewerkschaft als Interessengemeinschaft, in der alle Platz finden, unabhängig vom Alter.
«Als ich zu arbeiten begonnen habe, hatte ich einen anderen Arbeitsvertrag, jedoch mit guten Arbeitsbedingungen. Für SBB Cargo International arbeitete ich nur als Leiharbeiter. Nach einem Jahr wurde mir dann ein unbefristeter Vertrag angeboten.» In der Auseinandersetzung mit seinem Arbeitskollegen Thomas Giedemann (Präsident LPV Ticino) erwog er die Möglichkeit, der Gewerkschaft beizutreten. «Als ich begann, die Arbeitsrealität besser zu verstehen», erklärt der Lokführer, «entschied ich mich, auch meinen Beitrag zu leisten. Ich bin jemand, der sich aufgrund seiner Fachkenntnis gerne äussert. Ich weiss ja, wovon ich spreche.»
Und was bedeutet für dich die Gewerkschaft? «Ich entschloss mich, der Gewerkschaft beizutreten, weil ich sie als Lobby des Verkehrspersonals sehe, nicht nur als reines Verhinderungs-Instrument. Eine Interessengemeinschaft, die in der Lage ist, gute Arbeitskonditionen auszuhandeln und den Service public zu verteidigen, in dem ich arbeite. Ich wünsche mir, dass Lokführer ein wertvoller Beruf und die Eisenbahn ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Dass vor allem auch für die Jungen interessante Perspektiven geboten werden. Leider führen die Divisionalisierung und ständige Reorganisationen auch heute noch zu beträchtlicher Unsicherheit. Hier liegt es am SEV, sich Gehör zu verschaffen, um eine langfristige Geschäftspolitik im Interesse seiner Mitgliedschaft voranzutreiben!»
Und wie bist du Mitglied der Jugendkommission geworden? «Ich habe mich dazu nach einem Treffen in Bellinzona entschlossen, das durch die SEV-Jugendkommission organisiert wurde. So habe ich begonnen, mich dem SEV in einer etwas strukturierteren Form anzunähern.» Es folgten viele weitere Treffen mit jungen Leuten aus der ganzen Schweiz. Irgendwann wurde Gabriele gefragt, ob er Vertreter des Tessins werden möchte. «Unsere internen Diskussionen gefallen mir sehr. Bei vielen meiner Kolleg/innen ist eine sozialistische Grundhaltung erkennbar – ‹alle für alle› –, die ich als radikaler Liberaler nicht immer teile. Obwohl sozialen Themen gegenüber sehr sensibel, finde ich, dass man die individuelle Verantwortung nicht vergessen darf. Darüber hinaus müssen wir Druck machen für ein transparenteres Lohnsystem, das sich an den Leistungen orientiert.»
Unvermeidlich, einen 26-jährigen Lokführer zu fragen, wie er die Gewerkschaft der Zukunft sieht, in der die Jungen eine grosse Rolle spielen werden. Was muss eine Gewerkschaft tun, um näher an der Jugend zu sein? Gabrieles Antwort ist äusserst interessant: «Da muss ich zuerst festhalten, dass die Gewerkschaft für alle da ist, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und sozialer Schicht. Die Gewerkschaft muss von universellem Charakter sein und auch so gelebt werden. Wenn am Arbeitsplatz Diskriminierungen stattfinden, betrifft das alle. Eine Diskriminierung ist eine Diskriminierung, unabhängig davon, wer sie erleiden muss. Daher muss sie verurteilt werden.»
Ohne die Notwendigkeit spezieller Jugendangebote in Abrede zu stellen, interessiert sich Gabriele Bianchi speziell für den Erfahrungs- und Kenntnisaustausch zwischen den Generationen. «Ich finde es sehr wichtig, den Austausch zwischen den Jungen und den weniger Jungen zu kultivieren. Am Beginn einer Karriere benötigt man Zeit, um all die neuen Dinge zu begreifen. Man erkennt nicht gleich alle möglichen Gefahren, die sich im Laufe der Arbeit unvermeidlich einstellen. Daher sind die Kontakte zu Personen mit grösserer Erfahrung sehr wichtig. Ich bin mir bewusst, dass ich vor sechs Jahren noch eine andere Sicht hatte. Heute bin ich da reifer geworden. Um auf ein aktives und sicheres Mitglied zählen zu können, darf die Gewerkschaft erwarten, dass der/die Junge sich das zu eigen macht.»
Auf die provokative Frage, ob der SEV eine etwas starre Gewerkschaft sei, antwortet der junge Lokführer ohne zu zögern: «Der SEV ist durchaus nicht starr. Einerseits fand ich eine grosse Offenheit vor, andererseits gibt es keine militärische Hierarchie. Es gibt Raum und es gibt Dynamik. Dafür spricht, dass ich am Kongress eine Rede vor 400 Leuten halten durfte, obwohl ich erst seit zwei Jahren SEV-Mitglied bin.» Gabriele unterstreicht noch einen anderen Aspekt: «Die Gewerkschaft ist eine ernste Sache, genauso ernst wie die Interessen, die auf dem Spiel stehen. Ich kann die Forderungen meiner Kolleg/innen nur aufgrund des Vertrauensverhältnisses ihnen gegenüber vertreten. Die Dynamik zwischen Arbeitskolleg/innen und den Vorgesetzten muss immer korrekt sein, weil sie Konsequenzen haben kann.»
Françoise Gehring/Übersetzung: Jörg Matter