SBB Cargo schliesst Bedienpunkte
Verlagerung auf die Strasse
Per Fahrplanwechsel 2018/2019 schliesst SBB Cargo zwei Bedienpunkte im Berner Oberland und elf im Jura. Wir haben bei betroffenen Kunden nachgefragt, was das für sie heisst.
Schon auf Ende 2017 hat SBB Cargo in Emmenmatt und Interlaken Ost einen wichtigen Kunden verloren: die Abfallverwertungs-AG Avag mit Sitz in Thun. Für diese führte SBB Cargo letztes Jahr noch 250 Bahnwagen der Abroll-Container-Transport-Service AG (ACTS) mit Müll von Emmenmatt nach Thun, und etwa gleich viele ACTS-Wagen von Interlaken Ost nach Thun. Auf jedem Wagen fuhren je drei Abroll-Container mit einem Fassungsvermögen von je rund 13–14 Tonnen mit. 500 x 40 = 20000 Tonnen Müll: Etwa diese Jahresmenge wird seit 2018 von den Avag-Annahmestellen Interlaken Ost und Emmenmatt per Lkw direkt zur Kehrichtverbrennungsanlage Thun gefahren. Etwa 500 x 3 = 1500 Lkw fahren somit wesentlich weiter als bisher.
Bahn für Mülltransport zu teuer?
Markus Jenni, der den Avag-Bereich Entsorgungszentralen leitet, begründet den Bahnverzicht damit, dass zweimaliges Umladen auf relativ kurzer Distanz keinen Sinn mehr mache, vor allem preislich, «bei ökologischer Gleichwertigkeit»(?). Die Frage bleibt offen, warum sich SBB Cargo und Avag nicht mehr gefunden haben. Hat man alles versucht? Hätten Subventionen den Bahntransport gerettet?
Salz weiter auf der Bahn – aber wie lange noch?
Von der Schliessung der Oberländer Bedienpunkte betroffen sind auch die Schweizer Salinen. Die rund 60–70 Ucs-Silowagen à 25 Tonnen Auftausalz pro Jahr, die sie bisher nach Interlaken Ost lieferten, würden künftig über den Bedienpunkt Thun geführt, sagt ihr Leiter Logistik Jörg Dietiker. Ob die bisher über Emmenmatt gelieferten ca. 12 Wagen pro Jahr für Grünenmatt und ca. 14 Wagen für Schüpbach weiterhin mit der Bahn transportiert werden (über Hasle bei Burgdorf oder Konolfingen), werde noch verhandelt. Betroffen sind die Salinen auch von der Schliessung des Bedienpunkts La Chaux-de-Fonds: Für diesen sei Delémont kein valabler Ersatz, da zu weit weg, bedauert Jörg Dietiker. Darum würden diese 80–90 Wagen pro Jahr künftig mit dem Lkw transportiert.
Offen sei auch, ob die Salinen der Bahn treu bleiben können, wenn in zwei Jahren die Ucs-Silowagen lärmsaniert werden müssen. Als Ersatz sind ACTS-Abroll-Container gedacht. «Die Bahn wird immer teurer, der Lastwagen jedoch nicht», stellt Jörg Dietiker fest. «Deshalb tut uns die Schliessung der Bedienpunkte wirtschaftlich nicht weh. Doch aus ökologischen Gründen würden wir gerne weiterhin auf die Bahn setzen.»
Weitere Kunden gab es in letzter Zeit in Interlaken Ost kaum mehr, und auch nicht in Emmenmatt, abgesehen von einzelnen Bahnwagen für einen Holzhändler und für die Armee.
Alles nur halb so schlimm?
Dass SBB Cargo nach dem Verlust eines grossen Kunden mit den übrigen Kunden effiziente Lösungen sucht, ist verständlich. Wenn Bahnlösungen über andere Bedienpunkte gefunden werden, ist das zwar gut, doch weil sich der Weg zwischen Bahnhof und Kunde verlängert, verliert die Bahn trotzdem Verkehr an die Strasse. Und erst recht dann, wenn Güter ganz auf den Lkw wechseln, wie das Salz für La Chaux-de-Fonds.
So bewirkt SBB Cargo letztlich mehrere Verkehrsverlagerungen auf die Strasse, und auch wenn diese im Einzelfall kaum relevant scheinen, schaden sie der Umwelt und senken das Gütervolumen der Bahn.
Markus Fischer
Abbauplan
Im Rahmen des geplanten Abbaus von Bedienpunkten und Arbeitsplätzen hat SBB Cargo im Berner Oberland inzwischen 14 Bedienpunkte überprüft und will die zwei in Emmenmatt und Interlaken Ost auf den Fahrplanwechsel 2018/2019 schliessen, wie es im «Cargo Flash» vom 5. Juni geschrieben stand. Zudem seien im Jura 16 Bedienpunkte überprüft worden, davon zwei im Kanton Neuenburg und 14 im Kanton Jura. Hier soll «im Regelangebot auf den Bedienpunkt Delémont fokussiert werden». Im Rahmen von Kundenvereinbarungen sollen zudem flexible Transporte nach Alle, Bure, Glovelier und Porrentruy erfolgen. Obwohl somit von den überprüften 16 Bedienpunkten im Jura nur noch fünf bedient würden, könnten 80% der Verkehrsmenge auf der Schiene gehalten werden, schreibt SBB Cargo. Mit den Kunden würden nun bis Ende Juni die Details verhandelt, und ab Juli bis im Winter dann ein zweiter Überprüfungsschritt per Fahrplanwechsel Ende 2019, da die Lösung noch immer nicht rentabel sei. In den zwei Regionen fallen durch den Abbau im Rangierbereich 7,5 Stellen weg. Mit den betroffenen Mitarbeitenden würden Lösungen gesucht.
Fi
«Der Rückzug von SBB Cargo wäre für die CJ eine Katastrophe»
Die von SBB Cargo geplante Schliessung von Bedienpunkten im Jura gab an der Aktionärsversammlung der Chemins de fer du Jura (CJ) vom 20. Juni viel zu reden. CJ-Verwaltungsratspräsident Maxime Jeanbourquin sprach von einer Katastrophe für das Unternehmen. Betroffen sind u.a. die Bedienpunkte La Chaux- de-Fonds (NE), Tavannes (BE) sowie im Kanton Jura Glovelier und Pruntrut. Diese Bedienpunkte sind für den Güterverkehr der CJ als Anknüpfpunkte ans SBB-Netz unverzichtbar.
«Wir versuchen zusammen mit unseren Kunden und den Kantonen Jura, Bern und Neuenburg als Besteller an allen Fronten Druck zu machen, damit SBB Cargo die Schliessung der Bedienpunkte aufschiebt», erklärte CJ-Direktor Frédéric Bolliger. «Wir prüfen auch, die Tätigkeit von SBB Cargo in unserer Region zu übernehmen. Das werden wir tun, falls die Kosten gedeckt sind. Wir haben soeben beschlossen, zusammen mit dem Kanton Jura eine Studie zur Entwicklung des Güterverkehrs in der Region zu lancieren.»
Am Schluss der Versammlung bat VR-Präsident Maxime Jeanbourquin alle Aktionäre, in ihrem Um- feld auf die Risiken der Cargo-Strategie der SBB für die CJ hinzuweisen und ihren politischen Einfluss geltend zu machen.
SEV-Gewerkschaftssekretär Jean-Pierre Etique begrüsst den Widerstand der CJ gegen die Schliessung der Bedienpunkte. «SBB Cargo will den Einzel-Wagenladungsverkehr aufgeben und nur noch Ganzzüge fahren. Die Folge wären mehr Lastwagen, obwohl das Volk stets für die Verlagerung auf die Schiene gestimmt hat.» 2017 haben die CJ auf ihrem Schmalspurnetz 92000 Nettotonnen Güter trans- portiert. Das entspricht etwa 3000 Lastwagen.
vbo/Fi
Waldwirtschaft braucht Verladebahnhöfe
Markus Brunner, der Direktor von WaldSchweiz, dem Verband der Schweizer Waldeigentümer, ist sehr besorgt über die auf Ende 2018 geplante Schliessung von Verladebahnhöfen für lange Güter (= Holz) im Jura. Betroffen sind nach einer ihm vorliegenden Liste La Chaux-de-Fonds und Le Locle Col-des-Roches. Pruntrut und Alle werden nur noch punktuell gemäss Kundenvereinbarung bedient. Glovelier bleibt anscheinend (noch) offen, doch ist eine zweite Überprüfung im Hinblick auf weitere Schliessungen geplant. Geschlossen werden sollen laut Liste auch drei Verladebahnhöfe der Chemins de fer du Jura (CJ): Le Noirmont, Les Breuleux und Les Reussilles. «Immer längere Zu- und Abfuhrstrecken zu den Verladeorten machen es unattraktiver, überhaupt noch auf die Bahn umzuladen», warnt Markus Brunner. Er kritisiert auch, dass es im Berner Oberland, im Emmental, in den Freiburger (Vor-)Alpen und in den Kantonen OW und NW heute schon zu wenig Verlademöglichkeiten gibt, sodass Holzlastwagen aus diesen nadelholzreichen Regionen bis zu 50 km und weiter fahren müssen, um Holz auf die Bahn zu verladen.
Fi