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Migrationstagung 2018

«Ich bin kein Rassist, aber …»

«Ich bin nicht rassistisch, aber …» Wir alle haben schon solche Sätze gehört. Vielleicht haben wir sie sogar selbst gesagt. An der diesjährigen SEV-Migrationstagung, die am 26. Oktober in Olten stattfand, befassten sich die Teilnehmer/innen mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nach mehreren Inputreferaten zum Thema wurde man im Rahmen eines Workshops mit den eigenen Vorurteilen und Privilegien konfrontiert. Rückblick auf eine erfolgreiche und anregende Tagung.

Zehn Frauen und Männer stehen mitten im Raum nebeneinander auf einer Linie. Am einen Ende der Reihe hängt ein Blatt Papier mit einem roten Plus, auf der anderen Seite prangert ein Minus – es handelt sich um die sogenannte «Schweizer/innenskala». Rechts stehen diejenigen Teilnehmenden, die sich am schweizerischsten fühlen, links jene mit dem geringsten Anteil «Swissness». Kriterien gibt es keine, die Teilnehmenden haben sich dem eigenen Gefühl nach aufgestellt. «Warum stehst du in der Mitte der Skala?», fragt Lelia Hunziker von Integration Aargau, die den Workshop leitet. Die junge Teilnehmerin erklärt: «Meine Eltern kommen zwar beide aus der Schweiz, aber ich bin trotzdem nicht die typische Schweizerin.» Ein Teilnehmer stellt sich zuerst ans schweizerischste Ende der Skala, verschiebt sich dann jedoch zurück in Richtung Mitte. «Ich selbst fühle mich zu 100% als Schweizer», sagt er, «aber andere sehen mich wegen meiner Hautfarbe vielleicht nicht so».

(K)ein Alltagsproblem?

Wer fremd ist und wer nicht – diese Frage stellte auch Kijan Espahangizi, Historiker an der ETH und der Universität Zürich, in seinem Einstiegsreferat zum Thema «Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Alltag»: Zum Einstieg erklärt er, dass gemäss Studien knapp 15% der Schweizer Bevölkerung rassistische Einstellungen haben. «Das ist nach wie vor eine Minderheit, aber eine, die wir im Auge behalten müssen», so Espahangizi. Ausserdem wird Rassismus in unserer Gesellschaft gerne mit rechtsextremer Gewalt gleichgesetzt und es fällt leicht, sich davon zu distanzieren. Anders gesagt: «Rassisten sind heutzutage immer die anderen.» Doch ein Blick in die Geschichte der Schweiz zeigt, dass es Rassismus durchaus auch inmitten der Gesellschaft gab und immernoch gibt: Espahangizi verweist unter anderem auf das europaweite Zigeunerregister, welches 1911 eingeführt wurde. «Der Anti-Überfremdungsdiskurs ist in der Schweiz schon im frühen 20. Jahrhundert angekommen und hing von Anfang an mit Fragen der Migrationspolitik zusammen», so der Experte.

Rassismus ist im Alltag durchaus ein Problem, und zwar überall dort, wo Vorurteile und Macht zusammenkommen. Kijan Espahangizi erklärt diese Gleichung am Beispiel des Schweizerischen Einbürgerungsverfahren: «Eine Studie von 2014 konnte nachweisen, dass beim Einbürgerungsverfahren in der Schweiz die Bewerberinnen und Bewerber danach diskriminiert werden, als wie fremd sie erscheinen. Rechnet man statistisch alle anderen Grössen raus, wie Integration, Vermögen, etc., dann bleibt ein Rest in der Statistik übrig, der sich nur über rassistische Vorurteile erklären lässt.»

Solche Beispiele kennt auch Lelia Hunziker von der Beratungsstelle Integration Aargau. «Wir haben jährlich 15 bis 20 Fälle von rassistischer Diskriminierung in Form von Herabwürdigung, Beschimpfung oder konkreter Benachteiligung in anderen Bereichen wie am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche.» In der Beratung versucht Hunziker und ihr Team den Betroffenen in der diskriminierenden Situation so gut wie möglich zu helfen. «Doch das System dahinter können wir leider nicht verändern. Das ist manchmal sehr frustrierend», findet sie.

Fremdenfeindlichkeit in der Politik

Dieses System, das auch die Politik beinhaltet, ist das Fachgebiet des dritten Referenten Zoltan Doka, Bereichsleiter Migration der Unia. «Fremdenfeindlichkeit hat in der Politik eine lange Tradition. So wurden bereits im 10. Jahrhundert Juden in Europa nicht in die Zünfte aufgenommen, was faktisch ein Berufsverbot in den meisten Gewerben bedeutete», erklärt Doka. Bis heute wird Fremdenfeindlichkeit als politisches Instrument angewandt, das in der Regel vor allem dafür dient, die politischen Interessen der Machthaber/innen und der Wirtschaft zu erreichen. Zoltan Doka erklärt: «Dies erkennt man daran, dass in der Politik immer wieder Sündenböcke präsentiert werden. Dahinter versteckt sich jedoch häufig eine neoliberale Agenda, die in Wahrheit nach Sozialabbau und grenzenloser Liberalisierung strebt.» Ein Beispiel dafür ist der Brexit: Ein Hauptargument der Befürworter/innen waren die Polen, die den Engländern vermeintlich die Arbeitsplätze wegnähmen und Lohndumping betrieben. Doch waren die Brexit-Unterstützer/innen dieselben Leute, die sich schon immer gegen die Gewerkschaften und besseren Lohnschutz gestellt haben.

Was tun gegen Rassismus?

Zoltan Dokas Fazit lautet: «Wenn wir solche Ablenkungsmanöver durchschauen, dann spielt unsere diverse Herkunft plötzlich keine Rolle mehr. Dann können wir unsere Energie gemeinsam dafür einsetzen, die soziale Gerechtigkeit für alle zu stärken.»

Kijan Espahangizi meint: «Wir müssen über Rassismus sprechen lernen, ohne immer direkt in Empörung und allzu einfache Täter-Opfer-Bilder zu verfallen, und zwar auf allen Seiten.» Damit haben die engagierten Teilnehmenden der Migrationstagung 2018 erfolgreich angefangen.

Karin Taglang

Grosse Leistung der SEV-Migrationskommission

Nachdem die SEV-Migrationstagung im letzten Jahr nicht stattfinden konnte, meldete sich die SEV-Migrationskommission dieses Jahr mit einer sehr erfolgreichen Tagung zurück. «Die Begeisterung der zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern war spürbar. Ein wahrer Erfolg!», freut sich Arne Hegland, SEV-Gewerkschaftssekretär und Leiter der Migrationskommission. Die nächste Migrationstagung wird 2020 stattfinden.

Kommentare

  • Nani Moras

    Nani Moras 08/11/2018 10:13:26

    Glückwünsche meinen ehemaligen MK-Kolleg_innen zur erfolgreichen Themensetzung.

  • Nani Moras

    Nani Moras 08/11/2018 10:13:27

    Glückwünsche meinen ehemaligen MK-Kolleg_innen zur erfolgreichen Themensetzung.

  • Franco Luca

    Franco Luca 09/11/2018 07:48:10

    Bella e interessante giornata, molto ben organizzata e oratori competenti. Grazie!