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Bildungstagung SEV-Frauen 2018

Fluch oder Segen?

Die Digitalisierung bringt einige Veränderungen mit, sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben. Was es damit auf sich hat und wie wir diesen begegnen können, wurde an der diesjährigen Bildungstagung der SEV-Frauen von verschiedenen Seiten beleuchtet. Die Tagung unter dem Titel «Veränderung – Digitalisierung – Flexibilisierung» brachte den rund 120 Teilnehmerinnen interessante Denkanstösse.

Nach der Eröffnung der Tagung durch Lucie Waser, SEV-Gewerkschaftssekretärin Gleichstellung, und der Grussbotschaft von SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger bringt Professorin Dr. Ute Klotz von der Hochschule Luzern die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Tisch. Sie zeichnet dabei ein eher düsteres Bild unserer digitalen Zukunft: Der zunehmende Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wird grosse Auswirkungen haben. Die Berufswelt wird sich grundlegend verändern und es stellt sich die Frage, welche Stellen es künftig noch brauchen wird, wenn Arbeiten immer mehr automatisiert und digitalisiert werden. Die Arbeitskräfte müssen sich auch weiterhin stets weiterbilden. Doch die neuen Lernformen und Themen sind nicht für alle geeignet. Viele werden überfordert sein. Wichtig ist, wie Arbeitgeber und Gesellschaft mit diesen Menschen umgehen.

Problematische Beschäftigungsformen

Neben diesen personellen Auswirkungen hat die Digitalisierung auch wirtschaftliche und strukturelle Folgen. So werden gemäss Forschung neue Geschäftsmodelle entstehen, wie dies beispielsweise bei Uber, Airbnb und Flixbus bereits der Fall ist. Diese Unternehmen basieren zwar nicht auf neuesten Technologien, sie machen sich aber Online-Plattformen und Sharing-Dienste zu Nutzen. Die Verlierer dabei sind die Arbeitnehmenden. «Die neu entstehenden Beschäftigungsformen tun oft richtig weh!», weiss Prof. Klotz. «Arbeiten werden immer mehr in Einzelaufträgen vergeben. Es gibt keine Verträge mehr, und damit auch keine Sozialversicherungsabgaben. Der virtuellen Schwarzarbeit stehen Tür und Tor offen.» Wichtig sind entsprechende Schutzmassnahmen und die Schliessung von Gesetzeslücken. Die Politik hat aber oft wenig Interesse, regulatorische Bestimmungen zu erlassen, oder sie hinkt den Entwicklungen hinterher.

Gewerkschaften sind gefordert

Die unverbindlicheren Beschäftigungsformen lösen für die Angestellten auch grossen Druck aus, sich beweisen zu müssen, und die Angst, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Auch das steigende Arbeitsvolumen, die schwierige Entgrenzung von Arbeit und Freizeit und der steigende Termindruck haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden.

Digitalisierung findet statt, ob wir das wollen, oder nicht. Wichtig ist aber, dass die Gewerkschaften sich engagieren, um mitzureden und die Rahmenbedingungen mitzugestalten. «Die gute Nachricht ist, dass der Prozess der Veränderung nicht von heute auf morgen geschieht. Er wird von Menschen gestaltet und braucht Zeit. Hier bieten sich den Gewerkschaften auch Gestaltungsmöglichkeiten», so Prof. Klotz weiter. Mit den veränderten Beschäftigungsformen wird es schwieriger, die Arbeitnehmenden überhaupt zu erreichen – sie arbeiten vielleicht im Homeoffice oder unterwegs – was für die Gewerkschaften eine Herausforderung wird. «Mitgestalten bedingt aber auch, mehr über die Digitalisierung und deren Folgen zu wissen. Genau dafür braucht es solche Veranstaltungen wie die heutige Tagung», ergänzt Lucie Waser.

Mitbestimmung: ein Beispiel

Im Anschluss an die wissenschaftlichen Ausführungen zeigt Daniela Lehmann, Koordinatorin Verkehrspolitik, am Beispiel des neuen GAV SBB, wie der SEV das Thema Digitalisierung konkret mitgestaltet.

Nach langen Diskussionen hat die gewerkschaftliche Verhandlungsgemeinschaft erreicht, dass unter anderem das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit sowie das Recht auf Informationsstudium während der Arbeitszeit im GAV verankert wird. Auch wurde ein sogenannter Pakt in eine Vereinbarung überführt, die sich der Sicherstellung der Arbeitsmarktfähigkeit im digitalen Wandel annimmt. Neu darin ist der Umgang mit Mitarbeitenden, die diesem digitalen Wandel nicht gewachsen sind. So bietet die SBB (bereits heute) «Anyway-Stellen» als letzte Option an. Damit wird eine Reintegration der betroffenen Personen im Betrieb angestrebt. Die Anzahl Reintegrationsstellen wird im Zuge des neuen GAV von 90 auf mindestens 100 erhöht. Integrationsstellen, bei denen Mitarbeitende ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Anforderungsprofil erhalten, werden von 100 auf mindestens 120 angehoben. Das Konzept des Boxenstopps – der freiwilligen Standortbestimmung – konnte ebenfalls in diese Vereinbarung integriert werden.

An den Verhandlungen hat sich gezeigt, dass gewisse Themen nicht auf der konkreten Ebene des GAVs ausgehandelt werden können. Die Sozialpartner haben deshalb den «Fonds zur unternehmerischen und sozialpartnerschaftlichen Gestaltung des digitalen Wandels» gegründet.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Mitwirkung der Gewerkschaften und der Mitglieder ist. Jede und jeder kann mitmachen. So macht Daniela Lehmann den anwesenden Frauen denn auch Mut, sich für GAV-Verhandlungen in ihrem Betrieb zu melden. «Wir brauchen mehr Frauen in den Verhandlungsgemeinschaften!»

Frau sein – ein Balance-Akt

Nach viel Austausch beim gemütlichen Mittagessen geht es mit geballter Frauen-Power weiter. Maya Onken, Tochter der bekannten Julia Onken, ernüchtert zu Beginn mit ihrer Aussage «Egal wie Sie etwas machen, es ist falsch!» Sie nimmt dabei die ständige Kritik ins Visier, der Frauen unterliegen, und die meistens von anderen Frauen stammt! Maya Onken bedient sich in ihrem Referat vieler Bilder, die beim Publikum auf grosse Zustimmung stossen. So sei die Frau wie eine chinesische Jongleurin, die mit vielen Tellern auf kleinen Stangen jongliert. «Ab und zu fällt einer zu Boden, die Frau macht sich Vorwürfe. Sie kann nun aber entscheiden, ob sie den Teller anschaut, der am Boden liegt, oder diejenigen, die noch balancieren», regt Maya Onken an.

In der heutigen Zeit mit Digitalisierung und Wandel, der von allen viel Flexibilität abverlangt, seien Frauen noch viel stärker betroffen. Früher waren sie für die drei «Ks» zuständig: Kinder, Küche und Kirche. Bis heute hat sich dies nicht fundamental verändert. Frauen sind auch heute noch hauptsächlich für die Kinder verantwortlich, nicht zuletzt auch aus biologischen Gründen. Auch die Küche oder generell der Haushalt fällt oft mehrheitlich in die Kompetenz der Frauen. Die Kirche ist heute Ehrenämtern oder der Nachbarschaftspflege gewichen, nach wie vor eine Frauendomäne.

Hinzu kommt heute aber noch ein viertes K wie Karriere. «Frauen sind ständig gefordert, müssen sich im Job mehr beweisen als ihre männlichen Kollegen. Sie müssen am Ball bleiben, vor allem auch mit dem digitalen Wandel!», warnt Maya Onken. Doch Frauen gehen oft stiefmütterlich mit ihren eigenen Energiereserven und ihrer Gesundheit um. «Während Frauen sich um alles mögliche kümmern, gehen sie selbst meist vergessen. Frauen sind Ja-Sagerinnen. Sie müssen lernen, Nein zu sagen. Und zwar ohne Rechtfertigung!» bringt es Maya Onken auf den Punkt. Und sie schliesst ihr Referat mit der Aussage: «Egal wie Sie etwas machen, es ist richtig!»

Analoger Austausch über Digitales

Nach den vielen anregenden Inputs eröffnet Lucie Waser das «World Café» mit sechs verschiedenen Diskussionsstandorten. Der Erfahrungsaustausch und intensive Gespräche stehen dabei im Vordergrund. In den Diskussionen zeigt sich, dass die Digitalisierung Chancen birgt, aber auch Ängste schürt. Wichtig ist den Teilnehmerinnen, dass sie sich auch abgrenzen können und genügend Energie tanken können, um den Herausforderungen der Zukunft entgegenzutreten.

Nach dem statutarischen Teil ist die inspirierende Tagung zu Ende. Die Diskussionen aber werden bestimmt noch weitergehen.

Chantal Fischer
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