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BAV will Verkehrsunternehmen privatisieren

Service public ade – Schweizer öV-System in Gefahr

Die Strategie des Bundesamts für Verkehr (BAV) zur Entwicklung des öffentlichen Verkehrs bis 2030 verrät punkto Service public, Privatisierung und EU-Bahnpaketen eine ultraliberale Haltung.

Daniela Lehmann: «Ein Grundpfeiler unseres öV-Systems ist das Miteinander aller Player.» Damit z. B. in Worb das Umsteigen vom blauen & orangen Bähnli auf den Bus klappt …

Das Bundesamt für Verkehr hat in der zweiten Juli-Woche mit seinem neusten Newsletter im Internet ein 26-seitiges Strategiepapier zur Entwicklung des öffentlichen Verkehrs bis 2030 aufgeschaltet. Zentrale Punkte darin sind:

  • stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der Kund/innen (doch bei den öV-Tarifen will das BAV eine «Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft»…, Seite 11);
  • öV-Wachstum konzentriert dort, wo die Entwicklung nachhaltig ist;
  • bessere Abstimmung des öV auf Raumentwicklung und Energiestrategie;
  • Fokus auf die Gestaltung und Finanzierung der Infrastruktur;
  • mehr marktwirtschaftliche Instrumente und Anreize für unternehmerisches Handeln;
  • weniger «Spezialregelungen Schweiz».

Letztere zwei Punkte beurteilt der SEV sehr kritisch, insbesondere folgende daraus abgeleitete Ziele:

  • «In Teilen des öffentlichen Personenverkehrs ist der Marktzugang umgesetzt und das Angebot wird zunehmend durch private, gewinnorientierte Unternehmungen erbracht.» (Seite 7)
  • «Der Eigentumsanteil der öffentlichen Hand an den EVU (Eisenbahn-Verkehrsunternehmungen, Red.) ist spürbar verringert.» (Das steht sowohl auf Seite 22 zum Personenverkehr als auch auf Seite 23 zum Güterverkehr.)
  • «Der alpenquerende und der Schienengüterverkehr in der Fläche sind eigenwirtschaftlich.» (Seite 23)
  • «Prüfung der schrittweisen Übernahme der Eisenbahnpakete der EU.» (Seite 15)

Zwar relativiert das BAV die Relevanz seines Papiers: «Die aufgeführten Themen stellen keine Vorentscheide für politische Weichenstellungen dar, sondern Arbeitsfelder des BAV in den nächsten Jahren. Nach politischen Entscheiden, welche im Widerspruch zur BAV-Strategie stehen, wird das BAV die Strategie entsprechend anpassen.» Dennoch stellt sich die Frage, wie das BAV eine so wichtige Strategie entwickeln konnte, ohne mit allen Betroffenen alle möglichen Ansätze zu diskutieren – eine verpasste Chance!

Ein Bekenntnis zum Service public fehlt

Das BAV will also, dass das Angebot des öffentlichen Verkehrs «zunehmend durch private, gewinnorientierte Unternehmen erbracht» wird. Die öffentliche Hand dürfe nicht gleichzeitig öV-Leistungen bestellen und öV-Unternehmen besitzen, glaubt das Amt – als ob hier Gewaltenteilung und demokratische Kontrolle nicht mehr funktionieren könnten. Heilbringend sei Konkurrenz gewinnorientierter Privatfirmen. Service public aber scheint passé: Den findet man in der BAV-Strategie nicht, kritisiert Daniela Lehmann, Koordinatorin Verkehrspolitik des SEV, im Interview.

Daniela Lehmann ist seit 2010 Koordinatorin Verkehrspolitik beim SEV.

kontakt.sev: Inwiefern sieht der SEV die Zukunft des öV anders als das BAV?
Daniela Lehmann: Mir fehlt beim BAV ein grundsätzliches Bekenntnis dazu, dass öffentlicher Verkehr (öV) Service public ist. Man findet das Wort «Grundversorgung» in zwei Sätzen und sonst eigentlich nirgends. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem BAV und uns. Wir sagen ganz klar: öV ist Service public und darf auch etwas kosten. Von dort aus muss man denken, statt auf einmal gewinnorientierte Unternehmen anzustreben. Das ist nicht kompatibel mit Service public und bedroht letztlich das heute gut funktionierende öV-System in der Schweiz.

Inwiefern?
Ein Grundpfeiler unseres Systems ist das Miteinander aller Player. Sobald die Unternehmen aber in erster Linie Gewinn machen wollen und sich als Konkurrenten bekämpfen, statt miteinander auf ein möglichst gutes Gesamtsystem hinzuarbeiten, wird dieses über den Haufen geworfen.

Wie wirkt sich die Ablehnung des Service-public-Gedankens in der Strategie sonst aus?
«Der alpenquerende und der Schienengüterverkehr in der Fläche sind eigenwirtschaftlich», schreibt das BAV unter dem strategischen Aufgabenschwerpunkt 16 «Nutzerfinanzierter Güterverkehr und Innovationsförderung». Für den Güterverkehr soll es also keine Unterstützung mehr geben, obwohl es auf Seite 6 heisst: «Personen- und Güterverkehr erreichen einen ihrem Umweltvorteil angemessenen Verkehrsanteil.» Ja, kann man dieses Ziel überhaupt erreichen, wenn der Güterverkehr eigenwirtschaftlich sein muss? Da gibt es einen Widerspruch. Zwar steht auf Seite 9: «Der Modalsplit im alpenquerenden Güterverkehr verschiebt sich zugunsten der Schiene.» Doch da können sie gar nicht anders, da dies ja die Alpen-Initiative ganz klar verlangt. Das heisst es zum Güterverkehr in der Fläche nicht so deutlich. Wenn man es unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes anschaut, kommt man aber zum Schluss, dass der Güterverkehr Unterstützung braucht.

Immerhin will das BAV den Modalsplit aber doch Richtung Schiene verschieben, auch beim Personenverkehr?
Ja, aber das kann man mit dem, was sie daraus ableiten, nicht erreichen. Es ist nur eine nette Zielformulierung.

"Vorauseilender Gehorsam gegenüber der EU"

Was sieht der SEV sonst grundsätzlich anders?
Das BAV zeigt wieder einmal vorauseilenden Gehorsam gegenüber der EU: Es geht davon aus, da kommen Sachen, die wir in irgendeiner Form übernehmen. Was noch nicht beschlossene Sache ist, kann man aber proaktiv beeinflussen, indem man immer wieder sagt: Das Schweizer öV-System funktioniert grundsätzlich sehr gut. Aber dauernd will man daran etwas verändern, auf Biegen und Brechen. Warum eigentlich ganz genau?

Zum Beispiel will die EU-Kommission auch den Fernverkehr liberalisieren. Dazu sagt die Strategie nichts …
Nein. Aber Bundesrätin Doris Leuthard hat dazu am letzten SEV-Kongress deutlich gesagt, dass sie dies in der Schweiz nicht will *(siehe Anmerkung unten). Das würde auch in eine solche Strategie gehören. Dann könnte man entsprechend lobbyieren. Es ist ja schon klar, dass die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, aber deswegen soll man ja nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Wir werden ja häufig zu Anlässen in EU-Ländern eingeladen und können dort das öV-System Schweiz vorstellen.

Es fällt auf, dass das BAV den Medien zwar sagt, die angestrebte Privatisierung betreffe beim Personenverkehr nur den Regionalverkehr, in die Strategie aber die Formulierung «Teile des Personenverkehrs» schrieb: als ob der Fernverkehr doch auch betroffen sein könnte nach der EU-Liberalisierung …
Ja, aber auch der Regionalverkehr soll so wenig wie möglich privatisiert werden (mehr dazu in der Box)! Präzisieren muss man auch folgenden Satz auf Seite 6: «Die Nutzer und Nutzniesser tragen stärker zur Finanzierung des öV-Angebots bei.» Da müsste man klar deklarieren, dass die Wirtschaft ein grosser Nutzniesser eines gut funktionierenden öV ist und entsprechend dazu beitragen soll. Was man ja bei Fabi explizit nicht gewollt hat …

Interview: Markus Fischer

* Chefin für Strategie nicht gefragt?

Verkehrsministerin Doris Leuthard sagte am 24. Mai 2013 am SEV-Kongress im Kursaal Bern:
«Wir wollen keine privaten Anbieter, die sich mit Dumpingpreisen auf die rentablen Linien konzentrieren. Das ist nicht Service public und nicht die Vorstellung des Bundesrates. Ich bin deshalb gespannt, welche Resultate der Wettbewerb auf Fernverkehrsparadestrecken in Ländern wie Österreich oder Italien längerfristig bringt und ob sich die dortigen Bahnen mit dem gleichen Engagement und der gleichen Qualität um Verbindungen auch in periphere Regionen kümmern. Unser Schweizer Modell, behaupte ich, hat die besseren Resultate, weil eben flächendeckend betrieben. Das hat seinen Preis, aber das ist unsere Vorstellung von öffentlichem Verkehr.» Diese Service-public-Idee fehlt in der BAV-Strategie.

Bildlegende:
Die SEV-VPT-Sektion AAR bus+bahn und die SP Aarau übergeben im März 2008 dem Stadtschreiber (ganz rechts) 1638 Unterschriften für ihre Volksinitiative gegen den von der
Stadt geplanten Verkauf deren Aktienanteils von 32,4 % am Busbetrieb Aarau. Das Aarauer Stimmvolk nahm die Initiative dann am 21. September an – mit 76,8 % Ja-Stimmen!

BAV will "Teile des Personenverkehrs" stärker privatisieren: SEV entschieden dagegen

Das Bundesamt für Verkehr will, dass «in Teilen des öffentlichen Personenverkehrs» das Angebot «zunehmend durch private, gewinnorientierte Unternehmungen erbracht» wird. Dahinter stecke die Idee, dass die Kantone ihre Beteiligungen an den kleinen regionalen Transportunternehmen – sei es Bahn oder Bus – an Private verkaufen, sagte BAV-Sprecherin Olivia Ebinger der Nachrichtenagentur SDA. Es solle verstärkt Konkurrenz in diesem Bereich herrschen. Ziel sei es, die Rollen klarer aufzuteilen: Die öffentliche Hand bestelle die Leistungen und bleibe verantwortlich für die Infrastruktur, während die Privaten die Leistungen erbringen sollten. Das BAV verspricht sich davon Kostensenkungen sowie neue Dienstleistungen für die Kundschaft.
Der Rückzug der Kantone und Gemeinden solle sich ausschliesslich auf das Aktionariat der Unternehmen beschränken, auf den Betrieb aber werde es keine Auswirkungen haben. Namentlich bei der Entschädigung für die nicht rentablen defizitären Verbindungen solle sich nichts ändern. Im Visier hat das BAV kleinere Gesellschaften wie die MOB (Montreux-Berner Oberland), die Aare Seeland mobil (ASM) oder AAR bus+bahn. Die SBB sei als Anbieterin von Fernverkehr, «wo es keinen Wettbewerb gibt», nicht betroffen.

SEV warnt vor Mehrkosten, Leistungs- und Personalabbau

«Es ist unbegreiflich, dass die Kantone und Gemeinden dazu ermuntert werden, ihre Transportunternehmen zu privatisieren», antwortete SEV-Sprecher Peter Moor gegenüber der SDA. Im Fall der AAR bus+bahn hätten einige Gemeinden ihre Anteile an die
Eurobus-Gruppe und Knecht verkaufen wollen. Doch der SEV habe sich dagegen gewehrt, weil er es abnormal finde, dass Private Gewinne realisieren und gleichzeitig Subventionen der öffentlichen Hand kassieren könnten über die vorgesehene Entschädigung für den Regionalverkehr.
Letzterer werde sich nie kostendeckend betreiben lassen, betonte Moor gegenüber der «Nordwestschweiz». Deshalb sei es fraglich, wie Unternehmen trotzdem eine Dividende ausschütten wollen: «Irgendwo muss das Geld herkommen.» Moor befürchtet, dass die öffentliche Hand nach der Privatisierung mehr bezahlen müsste: «Es führt dazu, dass wir für den Regionalverkehr mehr Steuergelder aufwerfen, damit die Privaten diese als Gewinn abschöpfen können. Andernfalls müssten die Investoren sparen – beim Personal, beim Angebot, beim Service.»
Auch Daniela Lehmann, Koordinatorin Verkehrspolitik beim SEV, warnt: «Wenn man neben dem Gewinn, den man für Reinvestitionen braucht, auch noch Geld für Dividenden abschöpfen will, ist es naheliegend, beim Personal zu sparen, indem man es schlechter bezahlt oder Stellen streicht. Denn die Personalkosten machen bei Unternehmen des öffentlichen Verkehrs rund die Hälfte des Betriebsaufwandes aus.»

Gewinne privat, Verluste dem Staat?

«Der Ansatz, dass die öffentliche Hand dort, wo der regionale Personenverkehr nicht rentiert, die ungedeckten Kosten übernehmen soll, während im gleichen öV-System privatisierte Unternehmen gewinnorientiert arbeiten sollen, ist grundsätzlich sehr eigentümlich», findet Daniela Lehmann. «Denn das heisst: Gewinne privatisiert man, während die Verluste der Staat übernehmen kann. Das ist eines der Probleme der Liberalisierung. Es ist nicht einzusehen, warum die öffentliche Hand nicht selbst Gewinne machen soll, wo dies möglich ist, um damit unrentable Linien zu unterstützen.»

Privatisierung gefährdet das Schweizer öV-System

Daniela Lehmann sieht noch eine weitere Gefahr: «Wenn sich Unternehmen vor allem am Gewinn orientieren und nicht mehr richtig zusammenarbeiten, wird unser weltweit bewunderter Taktfahrplan zur Riesenherausforderung. Dafür braucht es ein Miteinander der Unternehmen, nicht ein Gegeneinander. Und wenn dieses System nicht mehr funktioniert, muss es der Staat wieder aufbauen …»

Fi