| Aktuell / SEV Zeitung

Der Gesamtarbeitsvertrag bei SBB Cargo International ist unterzeichnet

«Wir akzeptieren keine Auslagerung ohne GAV»

Nach einem harzigen Start kam das Vorhaben zu einem guten Abschluss: SBB Cargo International verfügt seit dem 1. Mai über einen Gesamtarbeitsvertrag, der für alle Mitarbeitenden in der Schweiz gilt ausser für das Kader – auch für künftige Lokführerinnen und Lokführer.

Unterzeichnung des GAV SBB Cargo International

Für den SEV ist mit dem Abschluss des Gesamtarbeitsvertrags das absolute Kernanliegen erfüllt: Es gibt keine Auslagerungen bei Unternehmen des öffentlichen Verkehrs ohne einen GAV beim neuen Unternehmen. Das hob SEV-Präsident Giorgio Tuti bei der Unterzeichnung in Olten erneut hervor. Um dieses Ziel zu erreichen war allerdings viel Einsatz und Geduld erforderlich. Obwohl die SBB mit 75 Prozent eine klare Mehrheit am Unternehmen hält, stiess die Forderung nach einem GAV anfänglich auf heftigen Widerstand. Im Sommer 2010 unterbrach der SEV gar die GAV-Verhandlungen mit dem Mutterhaus SBB, um Druck zu machen. «Wir konnten damals nicht mit der SBB an einen Tisch sitzen und Sozialpartnerschaft inszenieren, wenn gleichzeitig deren Tochter die Sozialpartnerschaft infrage stellt», blickt Tuti zurück.

«Der GAV SBB Cargo International und der GAV SBB Cargo sind gleichwertig»

SEV-Gewerkschaftssekretär Martin Allemann hat im Dezember die Betreuung von SBB Cargo International (SCI) von seinem Kollegen Philipp Hadorn übernommen, nachdem dieser in den Nationalrat gewählt wurde. Allemann hat seither die GAVVerhandlungen auf gewerkschaftlicher Seite geleitet und blickt hier nach vollbrachter Tat auf das lange, zähe Ringen um die Anstellungsbedingungen des SCI-Personals zurück.

kontakt.sev: Der SEV hat der Auslagerung von SCI nur zugestimmt unter der Bedingung, dass ein GAV ausgehandelt wird. Warum?

Martin Allemann: Wir verlangen bei allen Auslagerungen von SBB und SBB Cargo einen GAV, weil nur ein GAV die Anstellungsbedingungen der Mitarbeitenden entsprechend schützt. Im Ingress des GAV SBB Cargo ist deshalb auch festgehalten, dass bei ausgelagerten Bereichen gleichwertige Anstellungsbedingungen gelten müssen.

Der SEV musste 2010 mit einer Petition und einem Unterbruch der Verhandlungen über das neue SBB-Lohnsystem Toco Druck machen, bis die SBB dem SEV einen GAV für SCI versprach. Warum hat sie sich dermassen dagegen gesträubt?

Weil sie das Gefühl hatte, dass die neue Firma in ihrem neuen Bereich ohne GAV frei entscheiden können müsse, wie sie ihre Zukunft gestalten soll. Nach meiner Beurteilung haben da auch die neuen Eigner eine Rolle gespielt. Es brauchte einen Prozess, bis man zur Einsicht kam, dass man mit gesicherten Arbeitsbedingungen das für die Zukunft notwendige Personal rekrutieren kann, das ohne GAV nicht rekrutierbar wäre.

SCI ist auf Anfang 2011 aus SBB Cargo ausgelagert worden, doch der GAV konnte erst jetzt unterschrieben werden. Warum?

Weil man immer hin- und hergependelt ist zwischen Ja und Nein zum GAV, weil dieser Prozess einfach seine Zeit brauchte und die Erkenntnis seitens SCI und der neuen Eigner reifen musste, dass der GAV der richtige Weg ist.

Kann man sagen, dass die Arbeitgeberseite etwas unerfahren in GAV- und Sozialpartnerschaftsfragen in diese Verhandlungen eingestiegen ist?

Es war sicher ein gegenseitiger Lernprozess, in dem man die Sozialpartnerschaft zuerst einmal erklären, definieren und festigen musste. SCI ist sich beispielsweise lange nicht im Klaren gewesen, welches Lohnsystem es braucht und welchen Detaillierungsgrad dieses aufweisen soll. Da brauchte es Zeit, um zur Einsicht zu kommen, dass ein ausgebautes Lohnsystem nötig ist.

Wie hast du die Verhandlungen sonst erlebt?

Zum Teil waren sie schwierig, weil in ihrem Verlauf eben der GAV selber und die Notwendigkeit von Regelungen immer wieder infrage gestellt wurden. So sind wir immer wieder in Grundsatzdiskussionen über Sinn und Zweck des GAV abgeschweift, welche die Verhandlungen nicht unbedingt erleichterten.

Eine Knacknuss war der Kündigungsschutz. Bist du hier mit der gefundenen Lösung zufrieden, auch wenn SCI-Mitarbeitende bei einem Verlust ihrer Stelle aus wirtschaftlichen oder betrieblichen Gründen nicht wie jene von SBB Cargo das SBB-Arbeitsmarktcenter (AMC) in Anspruch nehmen können?

Die Lösung ist mit der AMC-Lösung sicher nicht eins zu eins vergleichbar wegen der zeitlichen Beschränkung der Lohnfortzahlung, aber vom finanziellen Umfang her sehr wohl, denn es werden bei Kündigungen Leistungen von bis zu 100 000 Franken und mehr fällig, die mit den Mitarbeitenden individuell ausgehandelt werden müssen. Es ist ein guter Arbeitnehmerschutz. Weil uns die SCI mitteilte, dass ihr die SBB als AMC-Eignerin einen Anschluss ans AMC verweigere, mussten wir eine andere Lösung suchen.

Welche «Nüsse» gab es sonst zu knacken?

Beim Lohnsystem haben wir aus den Erfahrungen mit Toco die Lehren gezogen und uns auf eine abgewandelte Form geeinigt, bei der keine Besitzstände nötig sind, weil die Lohnbänder entsprechend angepasst wurden. Bei der Arbeitszeit gab es Diskussionen über die Notwendigkeit etlicher Regelungen, doch haben wir hier absolute Gleichwertigkeit mit dem GAV SBB Cargo erreicht. Aus diesem haben wir letztlich auch die Schiedsgerichtsregelung übernommen. Insgesamt sind der GAV SCI und der GAV SBB Cargo sicher gleichwertig.

Interview: Markus Fischer

Erst als Nicolas Perrin, Chef von SBB Cargo, zugesichert hatte, dass für die Tochter ein GAV abgeschlossen werden solle, konnten auch die Verhandlungen mit dem Stammhaus weitergeführt werden.

Bei der Unterzeichnung am Sitz von SBB Cargo International in Olten sprach Giorgio Tuti denn auch nochmals die Geschichte der Gesamtarbeitsverträge in der Schweiz an. Letztes Jahr feierte der Schweizerische Gewerkschaftsbund das Jubiläum 100 Jahre GAV, aber im öffentlichen Verkehr ist dieses Instrument erst gebräuchlich, seit die Liberalisierung im Gange ist.

Mit der Gründung der SBB AG musste erstmals in der Geschichte des SEV ein GAV verhandelt werden. Danach ging es aber Schlag auf Schlag: Inzwischen zählt das Inventar des SEV rund 60 GAV, bei Bahn-, Bus- und Schifffahrtsunternehmen als Firmen- oder Rahmenverträge, für den regionalen Personenverkehr als Branchenvertrag.

Ein Branchenvertrag wäre auch das Ziel des SEV für den Güterverkehr, aber solange dieser nicht auch auf ausländische Unternehmen angewendet werden kann, die die Schweiz durchfahren, sind die Aussichten schlecht. Umso wichtiger sind Gesamtarbeitsverträge mit den einzelnen Unternehmen.

«Unser Ziel ist es, die Zukunft gemeinsam konstruktiv zu gestalten», betonte Giorgio Tuti. Er erinnerte daran, dass ein GAV nicht nur stabile Beziehungen garantiere, sondern auch gegenseitig Rechten und Pflichten festlege. Die Laufzeit bis 2016 gebe genügend Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen und den Umgang miteinander zu lernen, damit die Grundlage für eine passende Erneuerung dann gegeben sei, zeigte er sich zuversichtlich.

pmo

Sechs Fragen an Michail Stahlhut, CEP von SBB Cargo International

kontakt.sev: Was bedeutet der Gesamtarbeitsvertrag für SBB Cargo International?

Michail Stahlhut: Wir haben damit die Leitplanken gesetzt, an denen wir uns orientieren. Wir stehen erst am Start als Güterverkehrsunternehmen.

Angesichts der Vorgeschichte: Braucht SBB Cargo International überhaupt einen GAV?

Wir legen grossen Wert auf eine gute Sozialpartnerschaft. Als Unternehmen mit Standorten in drei Ländern haben wir uns den lokalen Gegebenheiten zu stellen. Dazu gehört in der Schweiz ein Gesamtarbeitsvertrag.

Gibt es weitere Besonderheiten, die Ihnen als Deutschem in der Schweiz auffallen?

Die Konsenskultur in der Schweiz ist wirklich klasse! Das hat sich auch in den Verhandlungen zu diesem GAV gezeigt: Wir hatten unterschiedliche Standpunkte, haben einander aber zugehört, Meinungen ausgetauscht und sind aufeinander zugegangen. Das hat mir sehr gefallen. So gehen wir mit den Sozialpartnern um und so wollen wir auch mit unsern Kunden umgehen.

Sind Sie auch mit dem Inhalt zufrieden?

Der Vertrag hat genau den richtigen Ton für unser Unternehmen. Er ist zudem schlank und zu einem ordentlichen Teil auf unsere Flexibilität ausgerichtet.

Der GAV schliesst bereits Lokführerinnen und Lokführer ein, obwohl Sie diese zurzeit bei SBB Cargo ausleihen. Brauchen Sie wirklich eigenes Lokpersonal in der Schweiz?

Ja, klar! Wir fahren grenzüberschreitend auf der Nord-Süd- Achse, dabei ist insbesondere der Standort Schweiz wichtig, da Lokführer für den Transit durch die Schweiz spezifische Anforderungen sowie Sprachkenntnisse benötigen.

Wann wird es so weit sein?

Zurzeit sind wir daran, die Depotstandorte festzulegen, danach werden wir den Übergang der Lokführer von SBB Cargo zu SBB Cargo International in die Wege leiten.

Aufgezeichnet von pmo