SBB zeigt neues Interesse im benachbarten Ausland
Ein Auge auf das Piemont geworfen
Die SBB hat ihr Interesse am Regionalverkehr in der italienischen Provinz Piemont angemeldet. Die Provinzbehörden haben das Angebot im November 2009 ausgeschrieben. kontakt.sev hat dazu die Meinung des regionalen Gewerkschaftssekretärs Antonio Corradi eingeholt.
Nach dem Fehlstart in England und trotz den Problemen von SBB Cargo, im Ausland Fuss zu fassen, überlegt sich die SBB ernsthaft die Teilnahme an der Ausschreibung des Regionalverkehrs in der norditalienischen Region Piemont. Ende Januar teilte die SBB mit, ihre Division Personenverkehr sei von der Regionalverwaltung kontaktiert worden und habe mit Zustimmung von Verwaltungsrat und Konzernleitung ihr Interesse angemeldet. Nun werde die SBB die Ausschreibungsdokumente prüfen und entscheiden, ob sie tatsächlich eine Offerte einreichen wird. Gemäss der SBB entspricht die Prüfung dieser Wettbewerbsbeteiligung der «Grenzgürtelstrategie», die der Bund in den strategischen Zielen der SBB formuliert hat.
Sparen auf Kosten des Personals
Die Bahnliberalisierung führt häufig zu grossem Druck auf die Anstellungsbedingungen des Personals. Die Entwicklung des Regionalverkehrs im Piemont scheint da keine Ausnahme zu machen, wie der Regionalsekretär der italienischen Gewerkschaft FILTCGIL bestätigt.
kontakt.sev: Wie beurteilst du den Entscheid der Region Piemont, die Regionalverkehrsleistungen auszuschreiben?
Antonio Corradi: Wir sind absolut dagegen, sowohl formal als auch vor allem inhaltlich. Es stimmt: Der Regionalverkehr im Piemont, den zurzeit Trenitalia führt, wird kritisiert, weil es Mängel gibt bei der Pünktlichkeit, der Sauberkeit und der Zuverlässigkeit. Der Grund dafür liegt aber im Betrag, den die Region für die Führung dieses Verkehrs zur Verfügung stellt. Er ist absolut ungenügend, um die Qualität zu verbessern. Statt dieses Problem zu lösen, umgeht die Region es mit der Ausschreibung, wobei sie sogar einen noch tieferen Ansatz festgelegt hat als der jetzige Betrag.
Unter diesen Bedingungen wird es kaum möglich sein, die Qualität des Angebots zu verbessern …
Zu den Bedingungen der Ausschreibung gehören neben der generellen Abgeltung noch andere Faktoren wie die Qualität des Rollmaterials, die Organisation der Fahrzeugreinigung, des Verkaufs und so weiter. Tatsächlich befürchten wir aber, dass das Ganze einzig und allein über die Massnahmen zur Kostensenkung laufen wird.
Und damit also über die Arbeitsbedingungen des Personals?
Ganz genau. Im Übrigen hat sich die Region gegen unsere dringende Forderung ausgesprochen, die Arbeitsbedingungen im Voraus festzulegen. Zudem ist die Ausschreibung in fünf Lose aufgeteilt, was eine Aufsplitterung des Personals und damit eine Schwächung der sozialen Sicherheit befürchten lässt. Wir sorgen uns zum Beispiel um den Pensionsfonds der Trenitalia. Es gibt einzig eine Verpflichtung, das Personal zu übernehmen, aber auch hier haben wir Zweifel, und zwar wegen des Rollmaterials, das Trenitalia gehört. Wenn sie sich weigern sollte, es abzutreten, würde die neue Betreiberin kaum das Unterhaltspersonal übernehmen.
Die SBB hat ihr Interesse angekündigt. Was hältst du davon?
Ich finde es betrüblich, dass sich staatliche Bahnen bekämpfen. Das ist jedoch eine Zeiterscheinung. Die SBB ist in Italien schon im Güterverkehr tätig, wo sie sich bisher gegenüber Gewerkschaften und Personal nicht durch besondere Sensibilität ausgezeichnet hat. Wir sind also alles andere als beruhigt.
Pietro Gianolli / pmo