Schweizer Binnenschifffahrt
Die Schifffahrt braucht öffentliche Gelder
Manche Kantone bezahlen keine Abgeltungen mehr an Schifffahrtsunternehmen. Diese müssen daher Leistungen abbauen, was dem Tourismus schadet, und an allen Ecken und Enden sparen. Dies bekommt das Personal stark zu spüren. Besonders schlimm ist es dort, wo private Investoren das Ruder übernehmen und nach dem Prinzip der Dampfwalze sanieren wie bei der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt SBS.
An der Branchetagung Schifffahrt des SEV-Unterverbands VPT nahmen am 27. Januar auf dem Motorschiff «Gotthard » der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee (SGV) in Luzern über 20 Kollegen von zehn Schifffahrtsunternehmen aus der ganzen Schweiz teil. Hinzu kamen zehn Vertreter/innen von VPT und SEV, darunter VPT-Zentralpräsident Kurt Nussbaumer, SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger und SEV-Präsident Giorgio Tuti.
Als Branchenverantwortliche wählte die Versammlung Patrick Clot vom Genferseeschifffahrtsunternehmen CGN (bisher) und Barbara Schraner, Schiffsführerin bei der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG). Sie löst Roger Maurer von der SGV ab, weil er als Kassier bereits im VPTZentralausschuss ist. Er bleibt für die Branche Schifffahrt des VPT aber weiter aktiv.
Pausen bleiben eine Knacknuss
Ein Diskussionsthema waren die Änderungen im Arbeitszeitgesetz AZG und in der Arbeitszeitverordnung AZGV, vor allem bezüglich Pausen: Mit Zustimmung der Arbeitnehmenden oder deren Vertreter kann bei der Schifffahrt die durchgehende Arbeitszeit von höchstens 5 Stunden um bis 30 Minuten verlängert werden. Dann aber muss auch ein Schiffsführer abgelöst werden, sonst verstösst er gegen das AZG. Wo kein Stellvertreter das Ruder übernehmen kann, verlangt das Gesetz ein Anhalten des Schiffes. Somit sind die Unternehmen bei der Schiffsbemannung und der Weiterbildung gefordert, was ins Geld geht… In die Arbeitszeitkommission des SEV wurden als Schifffahrtsvertreter Patrick Schaffner (CGN) und Martin Imfanger (SGV) gewählt.
Kurzsichtiger Sparwahn
Die Schifffahrtsunternehmen sind für den Schweizer Tourismus von grösster Bedeutung und schaffen jedes Jahr einen Mehrwert von 300 Mio. Franken, wie Dr. J. Meister berechnet hat. Trotzdem überlassen Bund, Kantone und Gemeinden die Schifffahrt ihrem Schicksal. Wenn diese von der öffentlichen Hand nicht mitfinanziert wird, beginnt sich bald eine Leistungsabbauspirale zu drehen, die für das Personal rasch sehr schmerzliche Folgen hat: Die Löhne kommen unter Druck, und Festangestellte werden durch Saisonniers oder Aushilfen ersetzt – auf Kosten der Sicherheit. Auf dem Altar der wirtschaftlichen Rentabilität opfern die politischen Verantwortlichen eine ganze Branche, die für den Tourismus äusserst wichtig ist. Damit schneidet sich die öffentliche Hand ins eigene Fleisch.
Olivier Barraud, Gewerkschaftssekretär SEV, verantwortlich für die Branche Schifffahrt
Mit grosser Anteilnahme folgte das Schiffspersonal den Ausführungen von SEV-Gewerkschaftssekretär Peter Hartmann über die «Sanierung » der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt SBS. Diese war bis 1996 Teil der SBB, wurde dann ausgegliedert und 2006 an private Investoren verkauft. Trotz einer leichten Steigerung der Passagierzahlen schrieb die SBS rote Zahlen. Daher wurde im April 2009 ein «Sanierer» eingesetzt.
Ausblutung eines Unternehmens
Dieser entliess Teile der SBSLeitung, reduzierte die Verwaltung auf ein Minimum und stellte bei Werft und Fahrpersonal einzelne ältere oder gesundheitlich angeschlagene Mitarbeitende auf die Strasse. Zudem wollte er die Personalkosten durch Lohnreduktion, Arbeitszeiterhöhung sowie Streichung von Zulagen und Reduktion von Arbeitgeberbeiträgen an Pensionskasse und Unfallversicherung massiv senken.
Da er von Verhandlungen mit dem SEV nichts wissen wollte, blieb dem Personal nur noch der Gang an die Öffentlichkeit. Es führte mit SEV-Unterstützung eine Kundgebung durch und appellierte an den Thurgauer Regierungsrat, zu vermitteln. So kam im Mai eine Verhandlungslösung zustande, die dem Personal den bisherigen Bruttolohn sicherte. Doch schon im September musste das Personal nach harten Verhandlungen zusätzliche Verschlechterungen bei den Anstellungsbedingungen hinnehmen.
Bis heute verhandelt der Sanierer mit dem SEV nur, wenn er dazu gezwungen ist. Lieber bearbeitet er Mitarbeitende in Einzelgesprächen. Der Druck auf dem Personal ist enorm.
Wer anderswo Arbeit findet, geht
Nach 10 Monaten «Sanierung » ist durch Entlassungen, Pensionierungen ohne Ersatz und Kündigungen seitens des Personals die Zahl der Festangestellten um etwa 20 Mitarbeitende gesunken. Werft und Verwaltung wurden auf ein Minimum reduziert, ein Marketing gibt es praktisch nicht mehr, und das nautische Personal wird durch Abgänge immer knapper, Know-how fliesst ab. Es stellt sich allmählich die Frage, wie künftig noch ein qualitativ befriedigender und gesetzeskonformer Schiffsbetrieb möglich sein soll.
Die SBS-Tragödie zeigt klar: «Die Schifffahrt gehört nicht in die Hände privater Investoren, die glauben, damit Gewinn machen zu können », so Peter Hartmann. «Als Teil des öV-Angebotes braucht die Schifffahrt mehr Abgeltungen, und als wichtiger Teil des touristischen Angebots ist sie auf die Mitfinanzierung der öffentlichen Hand angewiesen.»
Drohende Aufspaltung der CGN
Schlagzeilen gemacht hat in den letzten Monaten auch die CGN wegen eines Audits, das in der Sonntagspresse vorzeitig und zum Teil falsch breitgeschlagen wurde. Die Studie empfiehlt, die CGN aufzuspalten in eine Betriebsgesellschaft für den öffentlichen Verkehr mit Abgeltungen (Pendlerverkehr von und nach Frankreich) und für touristische Angebote einerseits sowie eine zweite Gesellschaft für den Erhalt der Schaufelraddampfer der Belle Epoque.
Die SEV-Sektion machte bei Kundgebungen darauf aufmerksam, dass die CGN der Tourismuswirtschaft der Kantone Waadt, Genf und Wallis laut einer Studie jährlich 40 Mio. Franken pro Jahr beschert, dass sie sich zu 80 % selbst finanziert und dass die rund 9 Mio. Franken, die sie jährlich von den Kantonen erhält, Zahlungen für bestellte Leistungen und nicht einfach «Subventionen» sind. Die Sektion forderte auch eine rasche Sanierung der «Vevey», weil sie 2012 gebraucht wird.
Die vorgeschlagene Aufspaltung der CGN lehnt der SEV ab, weil diese zu unnötigen Schnittstellen, komplizierteren Prozessen und Interessengegensätzen führen würde zwischen der künftigen Inhaberin der historischen Schiffe und der für Betrieb und Unterhalt zuständigen Rest-CGN. Davor hatte bereits 2005 eine von der CGN in Auftrag gegebene Studie über neue Modelle zur Finanzierung der teuren Sanierung der Dampfschiffe gewarnt und von einer Auslagerung dieser Schiffe abgeraten. Diese Studie wurde von ihrem Verfasser Dominique Freymond an der Tagung vorgestellt. Geld verdienen könnten Schiffsbetriebe vor allem mit Freizeitfahrten und Sponsoring, jedoch kaum mit der Kursschifffahrt, sagte Freymond in der Diskussion.
Markus Fischer