«Fitnessprogramm» ist eine gefährliche Abmagerungskur
SBB Cargo will Güter auf die Strasse verlagern
Die Gewerkschaften SEV, transfair, VSLF und KVöV sind empört über den Entscheid des Verwaltungsrats SBB, beim Güterverkehr zum x-ten Mal massiv Kapazitäten abzubauen: Bis 2023 sollen gegen 800* der 2115 Cargo-Stellen und bis 100 der 350 Bedienpunkte gestrichen werden. Für die Führungsfehler beim Wagenladungsverkehr soll das Personal bluten. Die Ausdünnung des WLV-Netzes wird SBB Cargo nicht fitter machen, wie die Führung glaubt, sondern schwächen. «Zusammen mit den ungeheuerlichen Forderungen der SBB im Rahmen der laufenden GAV-Verhandlungen kann dieser weitere Angriff auf das Personal zu Massnahmen des Zornes und Kampfes führen!», warnt SEV-Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn. Er hat als Nationalrat Anfang Woche auch eine Motion lanciert hat, welche die Politik auf den Plan ruft.
*Vor der Medienkonferenz vom 1. März sprach die SBB von 750 Stellen.
Den Aderlass beim WLV begründet SBB Cargo mit ihrem Defizit und dem «beschleunigten Rückgang der WLV-Nachfrage im letzten Jahr» – und kaschiert, dass sie diesen Rückgang selber verursacht hat: Sie hatte den Start des «WLV17» im Dezember 2016 dermassen schlecht geplant, dass unzählige Pannen die Kunden vergraulten und ständige Notlösungen und Korrekturen nötig machten, was den Aufwand erhöhte, während der Umsatz sank. «Hätten nicht die Mitarbeitenden mit grossem Einsatz und hoher Flexibilität vieles zurechtgebogen, wären noch mehr Kunden abgesprungen», hält Philipp Hadorn fest. «Zudem litt der WLV unter der mehrwöchigen Sperrung der Rheintalstrecke bei Rastatt, einem weiteren Sonderereignis. Das Cargo-Defizit 2017 rechtfertigt also nicht gleich den Griff zum Zweihänder!»
Kurzsichtiges Rentabilitätsdenken
«Einen Viertel der Bedienpunkte zu streichen, weil angeblich die Kosten für die Kunden nicht mehr tragbar seien, ist völlig überreagiert», stellt Hadorn klar. «Die von SBB Cargo zunehmend eingesetzten Hilfsmittel der Digitalisierung wie automatische Kupplungen, Kameras und weitere Sensoren werden auch den WLV produktiver machen. Zudem tragen auch die kleineren Bedienpunkte zur Auslastung des Gesamtsystems WLV bei: Kleinvieh produziert auch Mist! Und der Güterverkehr ist ein Wachstumsmarkt: Er wird in der Schweiz bis 2040 um 45% wachsen, wie die Bundesverwaltung schätzt. Da macht ein solcher Kapazitätsabbau strategisch keinen Sinn!» Was nicht einmal die Strassentransporteure wirklich freuen kann, weil Hunderte zusätzlicher Lastwagen die Strassen verstopfen würden, widerspricht völlig dem vom Stimmvolk mehrfach geäusserten Wunsch, Güter möglichst auf der Schiene zu transportieren.
Konstruktive, tragbare Lösungen gefragt
Darum verlangen die Gewerkschaften, dass SBB Cargo diese pessimistische Selbstverstümmelung lässt und stattdessen für die fraglichen Bedienpunkte zusammen mit den Kunden, dem Eigner Bund und den lokalen Behörden nach Lösungen für die weitere Kundenbedienung sucht, wenn dadurch eine erhebliche Zahl von Lkw-Fahrten vermieden werden kann – in Abweichung vom Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit, aber zum Wohl der Bevölkerung und der Umwelt.
Laufende Reorganisationen zu Ende führen und soziale Verantwortung wahrnehmen
«Kommt dazu, dass die letzten Reorganisationen bei Cargo noch gar nicht fertig umgesetzt sind und schon jetzt zu Personalengpässen und prekären Situationen führen», warnt Philipp Hadorn. «Die Verunsicherung der Mitarbeitenden ist enorm, und ihre Geduld hat Grenzen: Viele arbeiten am Limit oder darüber und haben ihr Bestes gegeben, um den ‘WLV17’ vor dem Absturz zu bewahren, sei es in der Fläche oder in der Zentrale. Zum Dank sollen sie nun noch die Stelle verlieren. Mit den betroffenen Mitgliedersektionen werden wir unser weiteres Vorgehen besprechen.»
Politik muss SBB-Führung zurückpfeifen
Parallel dazu appelliert Philipp Hadorn mit seiner nationalrätlichen Motion «SBB Cargo: Denkpause – keine Missachtung der Eigner-Auflagen durch SBB & SBB Cargo» an die Politik: «Der Bundesrat soll sicherstellen, dass SBB und SBB Cargo keinerlei strategische Weichenstellungen zur Zukunft von SBB Cargo vornehmen, bis der Verwaltungsrat von SBB Cargo unter der Leitung eines unabhängigen Präsidiums eine neue Strategie entwickelt hat, die der Unternehmung eine nachhaltige Weiterentwicklung sichert.»
Die Gewerkschaften werden aber nicht nur darauf hoffen, dass das Parlament den Abbau stoppt, wie 2017 den Serviceabbau bei den SBB-Drittverkaufsstellen, sondern ihrerseits mit dem Personal bei der SBB-Führung Überzeugungsarbeit leisten.
Weitere Auskünfte:
Philipp Hadorn, 079 600 96 70,
Motion 18.3052 von Nationalrat Philipp Hadorn, eingereicht am 1. März mit 92 Unterschriften
Kommentare
A.Stadler 08/03/2018 23:58:44
Diese Reorganisationen dauern nun schon über 15 Jahre. Kaum ist eine publiziert, wird im
Hintergrund schon an der nächsten gebastelt. Und jedes Mal trifft es diejenigen, die sich das ganze Jahr den Arsch aufreissen und sich bemühen, dass alles reibungslos umgesetzt und die Kunden zufrieden gestellt werden.... Traurig, traurig