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Kongress des SEV in Bern

Ein klares Ja zur Altersvorsorge 2020

Am Dienstag Nachmittag hat die Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) das Projekt Altersvorsorge 2020 gutgeheissen und damit den Entscheid bestätigt, den der Vorstand im März gefällt hat. Davor hat Giorgio Tuti, Präsident des SEV, an die Unternehmungen SBB, BLS und SOB appelliert. Er verlangt von ihnen, sich an einen Tisch zu setzen und eine Einigung zu finden, um die Zerstückelung des Fernverkehrs zu vermeiden. In seiner Rede zur Eröffnung des SEV-Kongresses kritisierte er die Strategie des Bundesamts für Verkehr (BAV). Heute Dienstag, 23. Mai, hat der Kongress ausserdem die vier Mitglieder der SEV-Geschäftsleitung für eine Amtsperiode von vier Jahren wiedergewählt.

SEV-Präsident Giorgio Tuti begann seine Rede mit scharfer Kritik: «Das UVEK sowie die Verkehrsministerin Doris Leuthard unterstützen das BAV in seinem Liberalisierungswillen, den es in seiner Strategie 2030 festgelegt hat». Am Beispiel von Domo Reisen wird diese Liberalisierung sichtbar: «Das Busunternehmen versucht, in den Fernverkehr einzusteigen», erklärt Tuti. «Die Teststrecken dafür wurden nicht etwa zufällig ausgewählt, sondern es handelt sich um die rentabelsten Linien im Fernverkehrsnetz. Wir können nicht akzeptieren, dass die investierten Milliarden, welche vom Volk mit FABI bestätigt wurden, aufgrund von Wettbewerb aus dem Fenster geworfen werden. Wir werden diese Politik bekämpfen, denn den Preis dafür wird schlussendlich das Personal bezahlen!»

«Ich appelliere an die SBB, die BLS und die SOB und verlange von ihnen, eine Einigung bezüglich der Konzessionserneuerung im Fernverkehr zu finden», sagt Giorgio Tuti klar. «Sollten die Konzessionen zerstückelt werden, dann würde der Wettbewerbs-Entwurf des BAV zur Realität. Für dieses Spiel mit dem Feuer müssten schlussendlich die Arbeitnehmenden bezahlen, obwohl es nicht unser Spiel ist!»

Giorgio Tuti kritisierte auch die europäische Kritik: «Bisher zog die Europäische Union keine Bilanz aus ihrer Liberalisierungspolitik in der Transportbranche. Ist die Qualität besser geworden? Sind die Preise wirklich tiefer? Die Europäische Transportarbeiter-föderation (ETF) hat jedoch eine solche Analyse gemacht. Im Flugverkehr haben 50% der Mitarbeitenden keinen unbefristeten Arbeitsvertrag. Bei den Chauffeuren auf der Strasse liegen die Löhne in der Schweiz bei 4800 Franken, in Österreich bei 1500 Euro und in Bulgarien bei 215 Euro. 60% der Chauffeure sind immer wieder während drei bis zwölf Wochen weit weg von ihrem Wohnsitz und verbringen Nächte und Wochenenden im Lastwagen. Einige von ihnen haben gar einen Lohn pro Kilometer statt einem fixen Monatslohn! Aber was passiert bei einem stundenlangen Stau? Nichts – es gibt keinen Lohn. Doch das ist Sklaverei! Das Dumping ist in Europa angekommen. Die Grenzen des Transports werden ausser Acht gelassen und das führt zu grenzüberschreitender Ausbeutung der Arbeitnehmenden!»

Bei den Fernbussen in Europa herrscht Chaos. «Die GAV werden nicht respektiert und die Sozialleistungen sind unter Druck», fährt Giorgio Tuti weiter. Er erklärt, dass die Fahrerinnen und Fahrer in Frankreich 1500 Euro verdienen, diejenigen in Deutschland 1900 Euro und in der Schweiz 4500 Franken, nach der Weisung des BAV. Tuti erwähnt auch die Ausbildung des Lokpersonals in Europa. In der Schweiz dauert die Ausbildung zehn Monate mit einem Beschäftigungsgrad von 100%, während die Dauer in anderen europäischen Ländern von 20 bis 1000 Stunden variiert. Man braucht sich deshalb über Unfälle wie jenen in Mannheim nicht zu wundern. «Unzureichende Ausbildung des Personals bringt die Bahn in Gefahr. Das ist inakzeptabel!», findet Tuti.

Der SEV-Präsident plädierte ausserdem für die Altersvorsorge 2020: «Es handelt sich um einen Kompromiss, den wir aufmerksam betrachten müssen. Die Senkung des Umwandlungssatzes und die Erhöhung des Rentenalters für die Frauen auf 65 Jahre gefallen uns nicht. Dennoch gibt es zum Beispiel mit der Erhöhung der AHV-Renten um 70 Franken auch Verbesserungen. Und Leute, die ihre Stelle im Alter von mindestens 58 Jahren verlieren, dürfen in ihren Pensionskassen bleiben und werden somit auch eine Rente beziehen können. Wenn ich die Vor- und Nachteile abwäge, komme ich zum Schluss, dass das Projekt als Ganzes unterstützt werden kann und muss, auch wenn es ein oder zwei Kröten zu schlucken gibt.» Eine Minderheit der Delegierten wünschte, dass der SEV keine Empfehlung abgibt und Stimmfreigabe beschliesst. Schlussendlich wurde das Positionspapier über die Sozialpolitik, welches die Altersvorsorge 2020 unterstützt, trotzdem verabschiedet. Deshalb rät der SEV seinen Mitgliedern nun, am 24. September Ja zur Altersvorsorge 2020 zu sagen.

Die Altersvorsorge 2020 steht auch am Nachmittag des ersten Kongresstages auf dem Programm.

Geschäftsleitung mit grosser Mehrheit wiedergewählt

Präsident Giorgio Tuti, Vizepräsidentin Barbara Spalingern sowie Vizepräsident Manuel Avallone und Finanzverwalter Aroldo Cambi werden den SEV in den nächsten vier Jahren weiter führen. Der Kongress, der im Kursaal Bern tagt, hat alle vier Geschäftsleitungs-mitglieder für eine weitere Amtsperiode bestätigt. Die Wahlen stiessen auf keinen Widerstand.

Die Verkehrspolitik im Zentrum der Debatten

Der SEV-Kongress hat ein Positionspapier zum Thema «Verkehrspolitik Schweiz und Europa» verabschiedet. Das Referat des schwedischen Journalisten Mykael Nyberg zeigte die Konsequenzen der Privatisierung der Transportbranche in seinem Land auf: «Im Jahr 1988 wurde in Schweden der Betrieb von der Infrastruktur getrennt. Somit wurde die Branche für den Wettbewerb geöffnet, und nun buhlen über 100 verschiedene Unternehmungen um den Profit – mit zahlreichen Konsequenzen: Die Toiletten in den Zügen sind häufig geschlossen. Es gibt nicht genügend Lokomotiven für die Schneeräumung, da ihre Instandhaltung vernachlässigt wurde. Der Wettbewerb hat zu weniger Beschäftigten in der Instandhaltung geführt, während die Zahl der Angestellten angestiegen ist. So entstand ein bürokratischer Mehraufwand.»

Der Präsident des europäischen sozialen Dialogs Matthias Rohrmann betonte, wie wichtig es ist, den sozialen Dialog mit den Personalvertretern wiederzubeleben. Giorgio Tuti hat diesen Ball sofort aufgefangen: «Ich kann nicht genug betonen, dass das Personal bei all diesen massiven Veränderungen, vor allem im Bereich der Digitalisierung, unbedingt einbezogen werden muss. Wir müssen den sozialen Dialog wiederbeleben, um die Angestellten zu schützen und uns gegen Unternehmungen stellen, welche die üblichen Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen nicht berücksichtigen.»