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Die SBB ist am Drama mitschuldig

Der Prozess gegen den Lokomotivführer, dem die Schuld an der Zugskollision vom 29. Juli 2013 gegeben wurde, ist mit der Verurteilung zu einer bedingten Strafe von 90 Tagessätzen zu Ende gegangen. Der SEV, die Gewerkschaft des Verkehrspersonals, ist der Meinung, dass der Lokomotivführer nicht als Einziger auf die Anklagebank gehört hätte. Zwar hat er ein Rotlicht missachtet; doch wegen Sparmassnahmen und Sicherheitsmängeln hat auch das Management der SBB seinen Anteil am Drama.

Das Strafgericht des Bezirks Broye und Waadt-Nord hat heute sein Urteil verkündet. Der Lokomotivführer wird zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Es ist unbestritten, dass dieser mitverantwortlich für das Drama ist, doch die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV ist der Meinung, dass auch die SBB mitverantwortlich sind. Verschiedene Elemente, von denen einige im Dunkel geblieben sind, zeigen, dass die Sparmassnahmen des ehemaligen Bundesbetriebs dieses Drama erst möglich gemacht und nicht verhindert haben.

«Trapezkünstler ohne Netz»

Während früher drei Personen an der Abfertigung eines Zuges beteiligt waren, hat die SBB die Kontrolleure mehr und mehr abgeschafft und das Erteilen des Abfahrbefehls dem Stationsvorsteher entzogen. Der SEV geisselt diese «Entmenschlichung der Züge und Bahnhöfe» seit langem. Während diese Politik der SBB Einsparungen ermöglicht, überlastet sie den Lokomotivführer, der nun allein die Arbeit von drei Personen übernehmen muss. «Man hat sie zu Trapezkünstlern ohne Netz gemacht» sagt der zuständige SEV-Sekretär Jean-Pierre Etique. Aus Spargründen spielt das Unternehmen mit der Sicherheit. Nach dem Drama musste auf verschiedenen Bahnhöfen, darunter Granges-Marnand, wieder die Zweier-Abfertigung eingeführt werden.

Schwerwiegende Sicherheitsmängel

Der SEV kritisiert auch die schwerwiegenden Sicherheitsmängel, die zur Zeit des Dramas herrschten. Auf Bahnhöfen mit veralteten Einrichtungen wie jenem von Granges-Marnand hätten ganz besondere Vorsichtsmassnahmen gelten müssen. Der an einer Nebenlinie gelegene Bahnhof war nicht mit einem Zugskontrollsystem ausgerüstet. Wäre er es gewesen, hätte es Alarm gegeben, sobald die Lokomotive angefahren wäre. Dies war bis im April 2014 nicht der Fall. «Ich kann nicht akzeptieren, dass das Management der SBB Vorschriften erlassen hat, dass der Zugverkehrsleiter nicht einschritt», empört sich Jean-Pierre Etique. Als Hauptgrund für den Unfall nennt der Schlussbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) vom 29. Juli 2013 «das Fehlen moderner Sicherheitseinrichtungen (…) in einem Kreuzungsbahnhof (...) wo die Zweier-Abfertigung nicht mehr praktiziert wird.»

Hätte der Strom unterbrochen werden können?

Aber es kommt noch schlimmer. Wenn der Bahnhofvorstand den Zug hätte fälschlicherweise abfahren sehen, hätte er die Stromversorgung unterbrechen können, um so die Kollision zu verhindern? Der Zugverkehrsleiter war informiert worden, die Notunterbrechung sei nicht mehr aktiv – eine Fehlinformation. Es blieben ihm deshalb nur zwei Möglichkeiten, die, da sie zuviel Zeit in Anspruch nahmen, den Unfall nicht verhindern konnten. In ihrem Bericht hatte die SUST die ihr im Juli gemachten Aussagen berichtigt. Die nach dem Unfall im August vorgenommenen Kontrollen zeigten, dass die Unterbrechung noch immer funktionierte. Mit klaren, richtigen Anweisungen des Arbeitgebers betreffend die Notabschaltung hätte das Drama abgewendet werden können. Bewiesen ist, dass durch einen neuen Ablauf eine weitere Kollision am 16. September 2013 verhindern konnte – im gleichen Gebiet unter denselben Umständen, zwei Monate nach der tödlichen Kollision. Der Zugverkehrsleiter konnte die Notabschaltung der Linie durchführen und so ein weiteres Drama verhindern.

 

Auskünfte: 

Jean-Pierre Etique, SEV-Gewerkschaftssekretär, 079 689 75 71

Manuel Avallone, Vizepräsident SEV, 079 434 46 71