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Rückwirkend ausgestellte Arztzeugnisse
Es gibt Situationen, in denen erkrankte oder verunfallte Arbeitnehmende nicht sofort einen Arzt aufsuchen können. Gelegentlich kommt es auch vor, dass Arbeitnehmende überhaupt nicht wissen, dass sie arbeitsunfähig sind. Suchen betroffene Mitarbeitende erst nach Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit einen Arzt auf und reichen dem Arbeitgeber ein rückwirkend ausgestelltes Arztzeugnis nach, wird die Glaubhaftigkeit des Arztzeugnisses insbesondere seitens der Arbeitgebenden immer wieder in Zweifel gezogen.
Mit der Frage der Gültigkeit eines rückwirkend ausgestellten Arztzeugnisses musste sich auch das Bundesverwaltungsgericht auseinandersetzen. Ein SBB-Mitarbeiter wehrte sich mit Unterstützung des SEV gegen die Kündigung, die von der SBB während der Krankheit des Mitarbeiters ausgesprochen wurde. Der Vertrauensarzt der SBB zweifelte die Beweiskraft des Arztzeugnisses an, weil dasselbe rückwirkend ausgestellt wurde (konkret handelte es sich um drei Tage).
Das Bundesverwaltungsgericht hielt entgegen, dass ein Arztzeugnis nicht schon deshalb nicht aussagekräftig sei, weil es vom Arzt rückwirkend ausgestellt worden ist. Massgebend sei vielmehr der Zeitpunkt der Untersuchung durch den Arzt, die zur Ausstellung des Zeugnisses führte. Würde demgegenüber der Zeitpunkt der Ausstellung des Zeugnisses zu stark gewichtet, hätte dies zur Folge, dass dem Zeugnis des Vertrauensarztes der SBB regelmässig weit weniger Vertrauen zu schenken wäre als jenem des behandelnden Arztes, zumal der Vertrauensarzt der SBB in aller Regel seine medizinischen Einschätzungen auf die Akten der behandelnden Ärzte stützt bzw. erst im Streitfall konsultiert wird. Auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin nicht zeitnah über seine Erkrankung informiert habe, möge die Richtigkeit des rückwirkend ausgestellten Arztzeugnisses nicht in Zweifel zu ziehen, schreibt das Gericht weiter. Massgebend blieben aber stets die Umstände des Einzelfalles.
Das Bundesverwaltungsgericht schliesst seine Erwägungen mit der Erkenntnis, dass im zu beurteilenden Fall das rückwirkend ausgestellte Arztzeugnis nicht zu beanstanden sei. Da die Kündigung während der Krankheit erfolgte, war sie nicht gültig. Die Beschwerde des Arbeitnehmers wurde deshalb gutgeheissen und die Kündigung als nichtig erklärt. Die SBB wurde verpflichtet, das Arbeitsverhältnis weiterzuführen.
SEV-Rechtsschutzteam