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Verwarnung ohne Ablaufdatum
Alain kommt aus dem Staunen nicht heraus: Sein Arbeitgeber, ein privates Logistikunternehmen, rügt sein Verhalten per E-Mail. Darin wird ihm eine Verwarnung ausgesprochen. «Sollte es in Zukunft noch einmal zu einer Pflichtverletzung kommen, behält sich der Arbeitgeber das Recht vor, ihn zu kündigen». Alain stört sich am letzten Satz. Ist er nun für die restliche Anstellungsdauer «zum Abschuss freigegeben»? Ist eine Verwarnung ohne Ablaufdatum rechtlich zulässig?
Hält sich ein Mitarbeiter nicht an die Weisungen des Arbeitgebers, kann dieser eine Disziplinarmassnahme aussprechen, worunter auch die Verwarnung fällt. Der Arbeitgeber rügt eine Pflichtverletzung des Mitarbeiters möglichst klar und unmissverständlich und droht im Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen an, was meistens auf eine Kündigung oder eine Schadenersatzforderung hinausläuft. Bei der Verwarnung muss keine besondere Form eingehalten werden. Insofern kann sie auch – wie in unserem Fall per Mail – ausgesprochen werden. Der Arbeitgeber kann nach einer Verwarnung den Mitarbeiter kündigen – auch dann, wenn Letzterer sich nach der Verwarnung einwandfrei verhält. Liegen jedoch keine neuen oder anderen Gründe vor, als jene in der Verwarnung, muss von einer missbräuchlichen Kündigung ausgegangen werden.
Kommt es nach der Verwarnung jedoch zu einem Rückfall oder weiteren Verfehlungen, kann der Arbeitgeber seine angedrohten Massnahmen umsetzen. Hier spielt nun der Zeitfaktor eine Rolle: Je weiter die Verwarnung zeitlich zurückliegt, desto weniger kann sie für die Begründung der Kündigung eine Rolle spielen.
Das gilt auch für alle Entscheidungen in Bezug auf den weiteren Anstellungsverlauf. Denn eine Verwarnung im Personaldossier wird für zukünftige Arbeitszeugnisse, Lohnentwicklungen, eventuelle Beförderungen oder Entwicklungsmassnahmen berücksichtigt werden. Insofern hat eine Verwarnung ohne Ablaufdatum einen schikanösen bzw. willkürlichen Charakter und läuft somit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zuwider.
Die Frage, wann das Ablaufdatum einer Verwarnung konkret anzusetzen ist, ist letztlich eine Frage, wie lange die Verwarnung im Personaldossier aufbewahrt wird. Gemäss dem Datenschutz im Arbeitsrecht gilt es abzuwägen, ob und inwiefern die Verwarnung für das Anstellungsverhältnis mit zunehmendem Zeitabstand noch relevant ist. Im Konfliktfall wird wohl der Richter, unter Berücksichtigung aller Umstände, entscheiden müssen.
Der eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte empfiehlt eine regelmässige Überprüfung des Personaldossiers in einem Zeitraum von zwei Jahren. Nicht mehr benötigte Daten sollen dann entsprechend gelöscht werden. Sofern in zwei Jahren nach einer Verwarnung kein Rückfall mehr geschieht, sollte Letztere aus dem Personaldossier entfernt werden. Notabene: Dies ist nur eine Empfehlung und keine Vorschrift.
Es liegt aber auf der Hand, dass die Verwarnung ihr Ziel erreicht hat, wenn der Mitarbeiter sein Verhalten bessert. Ab dann gibt es auch keinen Grund für eine weitere Aufbewahrung der Verwarnung, es sei denn der Arbeitgeber benötigt diese quasi als Vorratsmunition, um den Mitarbeiter für alle Eventualitäten «auf Linie» zu bringen. Dies wäre nicht zulässig und Alain ist gut beraten, sich an den SEV Berufsrechtsschutz zu wenden.
Berufsrechtsschutzteam SEV