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Todesangst

Der Fall machte damals national Schlagzeilen: Nach einem Fussballspiel griff ein betrunkener Fan auf dem Perron einen Mitarbeiter der Bahn an und hätte ihn beinahe vor den einfahrenden Zug gestossen. Danach schlug er auf ihn ein und warf ihn in ein Gebüsch. Der Täter stieg dann in den Zug, aber beim nächsten Halt holte ihn die Polizei heraus; während dreier Monate blieb er in Untersuchungshaft, denn der Verdacht lautete auf versuchte Tötung.

Die Staatsanwaltschaft nahm den Fall sehr ernst und befragte zwei Dutzend Zeugen. Diese bestätigten im Wesentlichen den Ablauf, wie ihn das Opfer, ein Ereignismanager der SBB, beschrieb: Nach dem Fussballspiel war das Perron voller Menschen, bevor der Extrazug einfuhr. Der Eisenbahner erteilte Auskünfte und versuchte mit Warnpfiffen, die Reisenden hinter der Sicherheitslinie zu halten. Der stark betrunkene Matchbesucher fragte nach dem Halteort der Erstklasswagen. Auf die Nachfrage, ob er denn auch ein Erstklassbillett habe, begann er, den Eisenbahner zu beschimpfen. Schliesslich packte er ihn am Arm und stiess ihn in Richtung der Gleise; der einfahrende Zug war noch rund 150 Meter entfernt. Mit Schwung konnte sich das Opfer aber aufs Perron zurückretten, worauf der Täter begann, auf ihn einzuschlagen und ihn gegen eine Hecke zu stossen. Schliesslich lagen die beiden dort aufeinander, bis sie von Drittpersonen getrennt wurden.

Der SEV stellte seinem Mitglied sofort einen Anwalt; Gewalt gegen Beamte und vor allem der Tötungsversuch waren die Vorwürfe, die dieser in der Untersuchung und dann vor Gericht vorbrachte.

Die Staatsanwaltschaft erhob schliesslich Anklage wegen Gefährdung des Lebens sowie Gewalt und Drohung gegen Beamte. Vor Kreisgericht wurden die Taten auch so gewürdigt, das Obergericht lehnte dann aber in zweiter Instanz die Gefährdung des Lebens ab und verurteilte den Angreifer wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte. Dies bestätigte schliesslich auch das Bundesgericht, das auch das Mass von acht Monaten Freiheitsstrafe als angemessen beurteilte.

Zwar habe der Angegriffene Todesangst ausgestanden, doch objektiv habe keine Lebensgefahr bestanden, und es sei auch kein Vorsatz des Täters auszumachen, den Eisenbahner in Lebensgefahr zu bringen, entschieden die Richter. Sie beurteilten jedoch die Beschimpfungen und Attacken als schwerwiegend, weshalb sie die Freiheitsstrafe eher hoch ansetzten.

Aufgrund von Anträgen des Verteidigers widmeten sich die Gerichte auch ausdrücklich der Frage, ob das Opfer rechtlich gesehen als Beamter gelte – eine Frage, die sie klar bejahten: Wer auf einem Perron für die Sicherheit der Reisenden zu sorgen habe, gelte im juristischen Sinn eindeutig als Beamter, und der Angreifer habe dies auch zweifelsfrei erkennen können, umso mehr, als er selber ebenfalls bei einer Bahn arbeitet …

Inzwischen stellt sich diese Frage übrigens nicht mehr: Mit den vom SEV jahrelang geforderten und letztlich erreichten neuen Strafnormen ist das Personal des öffentlichen Verkehrs insgesamt gegen Übergriffe geschützt – zumindest rechtlich.

Rechtsschutzteam SEV