Schwierige Stellensuche nach Jahrzehnten ohne Weiterbildung
Der lange Weg zur neuen Stelle
Mit viel Geduld und grossen Zugeständnissen des Betroffenen, gelingt es einem ungelernten Arbeiter, wieder eine Stelle zu finden.
Ein gut 50-jähriger Italiener, nennen wir ihn Massimo, arbeitet seit 30 Jahren in der Schweiz. Anfänglich Maurer auf dem Bau, kommt er bald einmal zur SBB, wo er nach fünf Jahren zum Spezialhandwerker befördert wird. Allerdings: Seine Schulbildung ist bescheiden, eine Lehre hat er nicht absolviert, und Weiterbildung gibt es keine.
Stelle aufgehoben
Massimo arbeitet gut in der Abteilung, der er nun seit 20 Jahren angehört. Seine Vorgesetzten sind mit ihm zufrieden und ihm gefällt es. Das wäre eine gute Sache, wenn nicht die Abteilung plötzlich zu einer andern Division verschoben und Massimos Stelle neun Monate danach aufgehoben würde. Die obersten Chefs haben gesagt: Wir finden für alle eine Lösung, aber dann gehört Massimo doch zu jenen drei, für die es nichts mehr gibt. Plötzlich findet er sich in NOA (heute AMC). Dort gibt man sich alle Mühe: Seine Fähigkeiten werden erhoben, und seine Schwächen werden sofort erkannt. Die grösste dabei: Obwohl er an der deutsch-französischen Sprachgrenze lebt, spricht Massimo nach wie vor nur italienisch.
Sofort wird er für einen Deutschkurs angemeldet, aber das bringt nichts. Massimo hat das Lernen nie gelernt; die Sprache bleibt ihm fremd. Die ganze Situation belastet ihn so sehr, dass Rückenschmerzen, die er jahrelang im Griff gehabt hat, dermassen zunehmen, dass er krank wird. Erfreulicherweise erkennen die Ärzte, dass das beste Heilmittel nicht Therapien oder Medikamente sind: Massimo braucht eine Arbeit. Und so bemüht sich die SBB weiterhin, etwas für ihn zu finden. In einer betreuten Werkstätte kann er verschiedene Aufgaben versuchen, und es zeigt sich, dass er aufblüht, wenn er mit seinen Händen etwas machen kann; nicht etwas allzu Feines, und auch nicht etwas, das kompliziertere Anweisungen erfordert.
Nicht ohne Verluste
Inzwischen hat er den SEV eingeschaltet, der ihm hilft, sich im Dschungel der Stellensuche zu bewegen. Viel Spielraum hat er jedoch nicht: Beim Lohn kann er kaum Abstriche machen, denn auch zusammen mit dem Verdienst, den seine Frau für eine Teilzeitarbeit bekommt, reicht es gerade so zum Leben. Wenn schon Abstriche, dann eher bei der Arbeit, allenfalls beim Arbeitsweg. Die Gespräche mit dem Betreuer des Rechtsschutzteams zeigen, dass Massimo kaum in der Lage ist, sich auf dem freien Arbeitsmarkt zu bewerben. Zu bescheiden sind seine Papiere, zu stark seine Abhängigkeit von der SBB.
Diese verhält sich durchaus korrekt; sie ist sich ihrer Verantwortung bewusst, dass sie während zwei Jahrzehnten nichts unternommen hat, um ihren Mitarbeiter für andere Aufgaben zu qualifizieren.
Mit dem Deutsch hapert es weiter, und so kommen alle Beteiligten zum Schluss, dass ein Versuch im französischen Sprachraum nötig ist. Und tatsächlich: Ein Einsatz in einem Reinigungsteam zeigt, dass Massimo die Arbeit leisten kann und ihm auch ein längerer Arbeitsweg zumutbar ist. Der Arbeitsweg wird allerdings lang und länger; letztlich sind die zwei Stunden pro Weg, die die oberste Grenze der Vereinbarung darstellen, fast erreicht. Aber Massimo machts, und schliesslich wird an diesem Ort auch tatsächlich eine Stelle frei. Mehr als drei Jahre nach dem Eintritt in NOA bekommt Massimo wiederum einen «richtigen» Arbeitsvertrag – nachdem er schon monatelang an dieser Stelle gearbeitet hat.
Eine Geschichte für sich
Bis zum Happyend braucht es allerdings noch eine kleine Zusatzschlaufe: Um seine fast zwei Stunden Arbeitsweg rechtzeitig antreten zu können, muss Massimo mit dem Auto zum nächsten grossen Bahnhof fahren – öffentliche Verkehrsmittel hat es um diese Zeit noch nicht –, weshalb er gemäss Reglement einen SBB-Parkplatz gratis zugut hat. Bis dies zwischen Immobilien und Personenverkehr bereinigt ist, dauert es Monate. Das wäre gut und gerne nochmals eine Geschichte für sich.
Rechtsschutzteam SEV