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Eine Gegenklage als Druckmittel
Wenn man Opfer einer Straftat geworden ist, kann es sein, dass man plötzlich vom Opfer zum Täter wird. Da heisst es, sich zu verteidigen.
Der nachstehend geschilderte Fall ereignete sich, bevor Antragsdelikte wie etwa Tätlichkeiten bei Angriffen gegen das Personal des öffentlichen Verkehrs zum Offizialdelikt erklärt wurden. Mit der heute geltenden Gesetzgebung genügt die blosse Anzeige, einen Strafantrag braucht es nicht mehr. Damit wird eine Gegenanzeige durch die Täterschaft, mit der die Opfer zum Rückzug ihrer eigenen Klage gedrängt werden sollten, weniger attraktiv.
Angriff durch Passagiere
Am späten Abend beobachtete Zugchef R., wie einer von zwei angetrunkenen Jugendlichen in einem 1.-Klasse-Abteil erbrechen musste. Als die beiden den Zug verlassen wollten, stellte er sie zur Rede, um alsdann auch die Transportpolizei zu verständigen. Zu Letzterem kam es jedoch nicht mehr, denn der Zugbegleiter wurde von beiden Jugendlichen angegriffen. R. bekam einen Schlag auf den Hinterkopf, und ein metallener Gegenstand traf sein Knie. Gegen diesen Angriff setzte sich R. zur Wehr. Die zahlreichen Gaffer halfen ihm nicht, immerhin alarmierte einer von ihnen die Polizei.
Unvermutete Anklage
Die beiden Schläger wurden von der Polizei mit auf den Posten genommen. Fünf Tage später wurde auch R. auf den Polizeiposten zur Einvernahme vorgeladen – nicht etwa als Zeuge, wie er annahm, sondern als Beschuldigter. Die Jugendlichen hatten inzwischen R. beschuldigt, er habe sie tätlich angegriffen und an Leib und Leben gefährdet. Nun erstattete R. seinerseits Anzeige und Strafklage wegen Tätlichkeit, Sachbeschädigung und Drohung. Gleichzeitig reichte er beim SEV ein Gesuch um Berufsrechtsschutz ein. Da R. am Knie verletzt wurde und deshalb einige Tage arbeitsunfähig war, seine Brille zu Bruch ging und er vom Opfer zum Täter erklärt wurde, teilte der SEV dem Kollegen einen Anwalt zu.
Schuldeingeständnis und Klagerückzug
In der polizeilichen Untersuchung wurden u.a. auch zwei Zeugen befragt, die das Handgemenge beobachtet hatten. Diese hatten offenbar die Tätlichkeiten, die von den Jugendlichen ausgegangen waren, nicht zur Kenntnis genommen, stattdessen aber die Notwehrhandlungen von R. als «Dreinschlagen » beschrieben. Die Strafuntersuchung führte letztlich zu keiner eindeutigen Klärung der Schuldfrage. Inzwischen zeigten sich die Jugendlichen jedoch teilweise einsichtig und entschuldigten sich bei R., stellten ihm eine kleine Entschädigung in Aussicht und zogen ihre Klage gegen ihn zurück. Dies bewog R. dazu, seinerseits die Klage zurückzuziehen. Nach dem beidseitigen Rückzug der Klagen fehlte die formelle Prozessvoraussetzung, und die Staatsanwaltschaft erliess rund 1½ Jahre nach dem Vorfall eine Einstellungsverfügung.
Bei diesem Verfahrensausgang wurde R. keine Parteientschädigung zugesprochen. Das heisst, die Anwaltskosten wurden vom SEV getragen. R. bedankte sich beim SEV mit den Worten «Der SEV hat mich gut beraten und mir einen erfahrenen, kompetenten Anwalt zugeteilt. Danke für eure Unterstützung.»
Rechtsschutzteam SEV