Feministischer Kongress SGB
Sexuelle Belästigung: ein strukturelles Problem

Die Aufwertung der Löhne von Frauen, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Schutz frauenspezifischer Gesundheit und der Kampf gegen sexuelle Belästigung waren zentrale Themen am feministischen Kongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Die Delegierten rufen die Verbände des SGB dazu auf, bereits jetzt mit den Vorbereitungen für einen neuen feministischen Streik am 14. Juni 2027 zu beginnen.
Die lebhaften Debatten und die Vielzahl an Vorschlägen und Resolutionen, die am feministischen Kongress des SGB am 21. und 22. November diskutiert werden, machen deutlich, wie lang der Weg zur tatsächlichen Gleichstellung in der Arbeitswelt noch ist. Ob Diskriminierung oder sexuelle Belästigung, Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit – überall bestehen gravierende Lücken, die geschlossen werden müssen.
Erschütternde Zahlen
Neben der Lohnungleichheit rückt der Kongress auch die Gesundheit und Sicherheit von Frauen und queeren Personen am Arbeitsplatz sowie die Problematik sexualisierter Gewalt in den Fokus. Agota Lavoyer, Autorin und Expertin für sexualisierte Gewalt, präsentiert erschütternde Zahlen zur sexuellen Belästigung: In Deutschland berichten 97 % der Frauen von Belästigungen im öffentlichen Raum. Für die Schweiz liegen zwar weniger Daten vor, doch Schätzungen aus dem Jahr 2019 zeigen, dass rund 65 % der Frauen betroffen sind. Alarmierend ist zudem die auf gfs.bern basierende Hochrechnung, wonach in der Schweiz etwa 430 000 Frauen – also beinahe eine halbe Million – vergewaltigt wurden.
Lavoyer betont: «Wir haben ein strukturelles Problem. Erfahrungen sexualisierter Gewalt sind allgegenwärtig.» Auch am Arbeitsplatz ist sexuelle Belästigung weit verbreitet: Laut den neuesten Seco und Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG-Zahlen von 2024 haben 60 % der Arbeitnehmerinnen im Verlauf ihres Berufslebens Sexismus oder sexuelle Belästigung erlebt. Verantwortlich sind in 95 % der Fälle Männer. Es gehe dabei nicht um Sexualität, sondern um Dominanz und Macht. Die Gewalt reicht von alltäglichem Sexismus und Witzen über unerwünschte Berührungen bis hin zu sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen und Femiziden.
Verbale Gewalt wird verharmlost
Solche Übergriffe werden auch dadurch möglich, dass verbale Gewalt verharmlost, toleriert und normalisiert wird. Männer haben eine zentrale Verantwortung, sich mit dieser «Kultur der Verharmlosung» auseinanderzusetzen, Machtstrukturen zu reflektieren und den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Sexistische Gewalt ist kein Frauenthema, sondern ein Männerthema – und erfordert aktives Engagement, um nicht ein System zu reproduzieren, das Mütter, Schwestern, Töchter, Freundinnen und Kolleginnen verletzt.
Sexuelle Belästigung tritt in allen Branchen auf: in Büros, Werkstätten, auf Baustellen, im Gastgewerbe, im Verkehr, im Gesundheits- und Sozialwesen. Der feministische SGB-Kongress fordert deshalb klare Regeln und Massnahmen in allen Betrieben, regelmässige Präventionskampagnen und systematische Kontrollen der Schutzbestimmungen durch Arbeitsinspektorate.
Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz haben zudem erhebliche gesundheitliche Folgen – im Extremfall kann es zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit kommen. Frauen sind in der Arbeitswelt ausserdem mit einer Vielzahl weiterer Gesundheitsrisiken konfrontiert, die oft unsichtbar bleiben, etwa Menstruationsbeschwerden oder Auswirkungen der Menopause. All diese Fragen werden auch für den feministischen Streik vom 14. Juni 2027 zentral sein, der dann wieder in einem grossen Rahmen sattfinden wird.
Yves Sancey, mit SGB und Work