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SEV-Druck wirkt

Unfälle auf Baustellen: SBB trifft Massnahmen

Beim Bereich Fahrleitung ist sicheres Arbeiten besonders wichtig. © Keystone / Gaetan Bally

Die Arbeitsgruppen zur Verbesserung der Sicherheit auf den Baustellen der SBB, die letzten Herbst auf Intervention des SEV nach mehreren tödlichen Unfällen ins Leben gerufen wurden, haben ihre Vorschläge für Massnahmen abgeliefert. Diese gilt es nun zügig umzusetzen.

Weil sich letztes Jahr die Unfälle auf SBB-Baustellen häuften, schrieben im Oktober der SEV und sein Unterverband BAU der Leitung von SBB Infrastruktur einen Brief. Darin verwiesen sie auf verschiedene Punkte, wo ihrer Meinung nach die Sicherheit verbessert werden muss, und forderten eine Aussprache. Das Treffen fand sehr zeitnah am 1. November statt und die Leitung Infrastruktur zeigte sich offen, die genannten Punkte in Arbeitsgruppen bestehend aus SBB- und Gewerkschaftsvertretern zu bearbeiten. Es wurden sieben Arbeitsgruppen gebildet:

1. Kontrolle Arbeiten von Drittfirmen – These: Mangelhafte Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben durch Dritte, worunter auch krasse Beispiele wie Doppelschichten am gleichen Tag. Keine oder mangelhafte Kontrolle.

2. Flut an Informationen, Systemen, Arbeitsmitteln – These: Die Mitarbeitenden werden laufend zugedeckt mit zusätzlichen Systemen, Arbeitsmitteln, Prozessen und Formularen. Wichtiges und Unwichtiges verschwimmt. Die Situation beeinträchtigt die Aufmerksamkeit, auch für die Sicherheit.

3. Ausschreibungen und Vergaben – These: Für viele Mitarbeitende und den SEV sind einige Ausschreibungen und Vergaben gerade unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit nicht nachvollziehbar. Keine Erfahrung und schlecht ausgebildete Leute werden bemängelt.

4. Genügend Zeit und Ressourcen für Schulungen – These: Immer mehr Halb- und Nichtwissen bei wichtigen Themen. Wichtige Sicherheits- und Arbeitsvorgaben können nicht einfach der Selbstverantwortung und dem Selbststudium überlassen werden.

5. Einbezug Nutzende bei Systementwicklungen – These: Systeme werden zu oft nicht mit genügendem Einbezug der Basismitarbeitenden ausgearbeitet und ausgerollt.

6. Stabile Personaldisposition / Schichtplanung – These: Häufige Schichtwechsel in kurzer Zeit sind für Konzentration und Aufmerksamkeit gefährlich. In der Planung entstehen zu viele Friktionen, die kurzfristige Unsicherheit in jeder Hinsicht bringen können.

7. Meldewesen – These: Meldungen über fehlbare Handlungen, Beinahe-Unfälle etc. sind offensichtlich sehr wenige vorhanden. Es gibt Probleme beim Zugang, beim Umgang damit oder fehlende Reaktionen der SBB-Stellen («Es passiert ja doch nichts!»).

Bei einem zweiten Sozialpartnertreffen am 13. Dezember wurden gewisse Themen zusammengeführt. Bei weiteren Treffen im Januar und Mai 2023 wurden die Fortschritte der Arbeiten besprochen. Am fünften Treffen vom 13. Juni stellten die Arbeitsgruppen ihre Resultate vor.

Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Die wichtigsten Resultate sind gemäss der SBB-Präsentation vom 13. Juni die folgenden::

Arbeitspaket (AP) «Schulung und Systementwicklung»: Die 2016 beschlossene Verkürzung der Wiederholungskurse für Sicherheitsfunktionen auf einen halben Tag wurde überprüft mit dem Resultat, dass sich diese aus Sicht der SBB bewährt habe. Hier hat der SEV sicher eine andere Haltung. Für alle bestehenden und angehenden Sicherheitschefs, die im Arbeitsalltag mit Rangierbewegungen zu tun haben, wird ab Mai 2024 ein neues, obligatorisches Modul «Rangierkompetenz» angeboten. Dieses wird bewusst als Präsenzunterricht durchgeführt. Ab Januar 2024 sollen die Prüfungsunterlagen auch bei bestandenen Prüfungen eingesehen werden können, damit aus Fehlern gelernt werden kann. Im Rahmen des Konzernprojekts «Vereinfachung Vorgaben» sollen Mitarbeitende die für sie erforderlichen Vorschriftenartikel und Änderungen dazu personalisiert aufgrund ihrer Funktion erhalten. Weitere Massnahmen sollen die Flut der Weisungen reduzieren.

AP «Meldewesen»: Das Melden via Ereignisdatenbank Sicherheit und Qualität (ESQ) wird an den Sicherheitstagen 2024 des Geschäftsbereichs Verfügbarkeit und Unterhalt (I-VU) thematisiert. Im Fokus steht dabei die Rolle der Führungskräfte im Meldeprozess und bei der Befähigung der Mitarbeitenden, Unregelmässigkeiten zu melden und das Angebot der Vertraulichen Meldestelle Infrastruktur (VMS) zu nutzen. Letzteres Angebot soll zudem durch Vertreter der VMS in den Geschäftsbereichen vorgestellt werden. Die Sozialpartner erhalten eine feste Vertretung im Projektteam «Meldewesen der Zukunft» des SBB-Konzernbereichs Sicherheit und Produktionsqualität.

AP «Flut an Informationen, Systemvielfalt, Arbeitsmittel»: Man kam zum Schluss, dass die Risikopotenziale des Bauens unter Betrieb mit den geltenden Bestimmungen abgedeckt werden können, doch bedinge dies bei den Mitarbeitenden eine hohe Aufmerksamkeit und ein stetiges Situationsbewusstsein. Bestimmte Massnahmen sollen die Zuweisung der relevanten Informationen vereinfachen, Doppelspurigkeiten vermeiden und sicherstellen, dass sicherheitsrelevante Informationen bei den Mitarbeitenden ankommen.

AP «Stabile Personaldisposition/Schichtplanung»: Zu Beginn der Arbeit der Arbeitsgruppe stand die These im Raum, dass Projektverantwortliche systematisch zu lange Schichten planen und Reserveschichten zu spät absagen. Jedoch konnte diese These nicht durch konkrete Beispiele untermauert werden. Eine Erkenntnis war jedoch, dass durch (zu) lange Anreisezeiten der Teams, insbesondere bei Clusterings und wenn sich die Niederlassungen untereinander aushelfen, sehr häufig Schichten mit einer Dauer von über 9h entstehen, was zu Anpassungen in der Schichtplanung führt, damit das AZG («63h-Regel») eingehalten werden kann. Bei der Personaldisposition auf möglichst kurze Anreisewege der Mitarbeitenden zu achten, wurde als einzige zeitnah umsetzbare Massnahme identifiziert. Ansonsten konnten keine Massnahmen gefunden werden, wie diesem Umstand zielführend entgegengewirkt werden könnte. (Hotel-Übernachtungen der Mitarbeitenden vor Ort z. B. wurden in der Vergangenheit von den Mitarbeitenden als Massnahme abgelehnt.) Die Resultate dieser Arbeitsgruppe sind aus Sicht des SEV wenig hilfreich, das heisst, bergen wenig Verbesserungspotential, was die Sicherheit betrifft.

AP «Arbeiten durch Drittfirmen»: Die Arbeitsgruppe hält fest, dass sich die Anforderungen an die Sicherheitspersonalien von internem und externem Personal grundsätzlich nicht unterscheiden. Drittfirmen müssen das geltende Recht einhalten. Seit dem 1. Januar 2021 ist das neue Beschaffungsrecht in Kraft, das den Vergabestellen die Möglichkeit gibt, eine Anbieterin von einem Vergabeverfahren auszuschliessen, aus einem Verzeichnis zu streichen oder einen ihr bereits erteilten Zuschlag zu widerrufen, wenn bei der Anbieterin gewisse Sachverhalte festgestellt werden. Die Anforderungen betreffend Sprachkompetenz werden präzisiert und bei neuen Ausschreibungen kontrolliert. Die Mitarbeitenden von Drittfirmen werden im Baustellenassistenten (BSA) erfasst, was jedoch eine gewisse Zeit beansprucht. Dies, um Verstösse gegen das Arbeitszeitgesetz (AZG) und das Arbeitsgesetz (ArG) besser feststellen zu können.

AP «Ausschreibungen und Vergaben»: In der Infrastruktur gibt es bei I-SQU die Abteilung IKI «Interne Kontrolle Infrastruktur», die seit 2018 mit neun Mitarbeitenden die Missstände auf internen und externen Baustellen feststellt. IKI führt jährlich unangemeldet 1500 Checks (ca. 3000 Teilchecks) durch und rapportiert diese. Seitens SBB wird geprüft, ob IKI ausgebaut werden sollte, ob Themen zusätzlich in den Mängelkatalog aufgenommen werden sollten und ob mittels Intensivchecks AZG/ArG-Überprüfungen durchgeführt werden können.

Seit Januar 2023 fragt die SBB bei der Bestellung von Leistungen die Qualifikationen der vorgesehenen Mitarbeitenden von Drittfirmen namensscharf ab und überprüft sie. Bei Verfehlungen kann und muss die Person zurückgewiesen werden. Weiteres Vorgehen: Bei Feststellung von Unregelmässigkeiten steht der SBB das Instrument des Systemaudits bei Lieferanten zur Verfügung. Es wurde vereinbart, dass die Sozialpartner bei ihnen eingehende Informationen zu den Lieferanten zeitnah mit der SBB teilen. Und dass sie künftig quartalsweise mit der SBB im kleinen Kreis die besagten Themen besprechen.

SEV-Gewerkschaftssekretär Urs Huber ergänzt: «Firmen müssen nun die nötigen Ausweise ihrer Mitarbeitenden vorgängig an die SBB senden. Dies hat zur Folge, dass viele Mitarbeitende nicht mehr zugelassen sind, da sie z.B. keine gültige Bescheinigung haben und nicht mehr arbeiten dürfen. Bisher hatte hier oft niemand etwas gemerkt und gemeldet. Es ist wichtig, alle Verstösse zu melden.»

Sicherheit bleibt im Fokus

Die Arbeitsgruppen wurden am Treffen vom 13. Juni offiziell aufgelöst. Verschiedene Themen werden weiterverfolgt und künftig an jedem ordentlichen Meeting der Leitung Infrastruktur mit den Sozialpartnern unter dem Standardtraktandum Sicherheit behandelt. Sicherheit wird also künftig bis zu sechsmal jährlich zwischen SBB und SEV prominent auf dem Tisch sein.

Druck auf die Bahnunternehmen macht angesichts der Zunahme der Arbeitsunfälle auf Baustellen im letzten Jahr auch das Bundesamt für Verkehr: «Die Bahnunternehmen (…) stehen in der Pflicht, das Unfallrisiko auf öV-Baustellen mit zusätzlichen Massnahmen zu reduzieren», schrieb das BAV am 27. Juni bei der Publikation seines «Berichts über die Sicherheit im öffentlichen Verkehr 2022». Auf Nachfrage der SEV-Zeitung präzisiert es: «Themen sind die verstärkte Betrachtung menschlicher und organisatorischer Faktoren sowie die Sicherheitskultur. Es geht unter anderem darum, die Sensibilisierung für die Sicherheitsthemen sicherzustellen, realistische zeitliche Abläufe zu planen, eine saubere Umsetzung der Aktivitäten sicherzustellen, Safety Leadership auf allen Stufen zu pflegen und die Präsenz der Führungskräfte vor Ort zu intensivieren.» Das BAV selbst will mehr unangemeldete Betriebskontrollen auf Baustellen durchführen und prüft die Lancierung einer Sensibilisierungskampagne für Führungskräfte bei den Bahnunternehmen.

Fachkompetenz in Arbeitsgruppen eingebracht

Der SEV war in allen Arbeitsgruppen zur Sicherheit auf den SBB-Baustellen vertreten. Es wurde Wert auf Kollegen mit viel Erfahrung gelegt. Im Bild von links nach rechts: Urs Huber, Gewerkschaftssekretär SEV; Thomas Kaderli, Präsident BAU Nordwestschweiz; Philippe Schibli, Zentralsekretär BAU; Hans Ulrich Keller, Zentralvorstandsmitglied BAU; Jan Weber, Zentralpräsident BAU; Peter Käppler, Zentralpräsident AS. Auf dem Bild fehlen Thomas Zgraggen, Präsident BAU Zentralschweiz, und Markus Neuhaus, Präsident BAU Bern-Wallis, die auch in Arbeitsgruppen mitarbeiteten.

Markus Fischer
markus.fischer@sev-online.ch

Sicherheit: Der SEV bleibt dran

Kommentar von Urs Huber, Gewerkschaftssekretär und Leiter SEV-Team Infrastruktur. «So kann es nicht mehr weitergehen!» So reagierte der SEV auf die Serie von schweren Unfällen und gelangte an die Leitung SBB Infrastruktur. Wir forderten von der SBB, dass sie handeln müsse. SBB Infrastruktur war rasch bereit, mit uns in sieben Arbeitsgruppen Themen konkret anzugehen. In unzähligen Treffen analysierten die Arbeitsgruppen Themen und Verbesserungsmöglichkeiten. Jetzt liegt quasi ein Schlussbericht vor.

Meine Einschätzung: Der Start war enorm intensiv und engagiert. Aber je konkreter die Themen wurden, desto schwieriger wurde es, jedenfalls aus Sicht des SEV.

Zum Thema Vergaben an Dritte und Überwachung von Dritten konnten wir viele Inputs einbringen. Fehlentwicklungen sollen beseitigt und zukünftige Ausschreibungen verbessert werden. In der Arbeitsgruppe «Meldewesen» wurde jedoch ständig auf das «Meldewesen der Zukunft» verwiesen: Erleben wir diese Zukunft irgendwann? Ganz schwierig ist offensichtlich die Verbesserung der Schichtplanungen im Sinne stabilerer Einsätze für die Mitarbeitenden und weniger kurzfristiger Änderungen. Diese AG hat wenig bewirkt. Wir wollen aber auch auf keinen Fall Alibi-Verbesserungen: Möglichkeit zu Prüfungseinsicht ja – aber so kompliziert, dass sie niemand nutzen wird? Wir wollen, dass die Mitarbeitenden wissen, was sie falsch machen, sodass sie sich verbessern können. Das ist doch der Sinn der Sache, oder nicht?

Sicherheit soll nun ein Dauerthema bleiben, SEV und SBB wollen dranbleiben. Sicherheit ist definitiv das Wichtigste! Hoffentlich sehen das alle bei der SBB so. Wenn etwas nicht gut läuft, im Grossen oder im Kleinen, unbedingt reagieren, unbedingt melden! Bei der Sicherheit gibt es keinen Kompromiss! Dies ist auch ein Aufruf an alle Kolleginnen und Kollegen! Wenn es nicht geht, sagt Stopp! Sagt übrigens auch die SBB-Spitze. Denn es geht um eure Sicherheit, um eure Gesundheit!