Susanna Zappa, Zoll- und Speditionsfachfrau
Ohne die Berufsinvalidität fehlt das Sicherheitsnetz
Susanna Zappa ist eine aktive Frau. Es gibt viele Dinge, die sie gerne macht. Aber ihr Körper spielt nicht mehr mit: «Es geht nicht mehr so, wie ich gerne möchte.» Zurzeit baut sie eine grosse Krippenlandschaft, wie jedes Jahr. Aber dieses Mal hat sie schon im September damit begonnen, damit sie bis zum ersten Advent fertig wird.
Susanna arbeitet bei SBB Cargo als Zoll- und Speditionsfachfrau; nach einem Velounfall im Juni 2021 ist sie zu 50 Prozent krankgeschrieben. Aber das ist nur die halbe Geschichte: «Ich kann mich etwa eine Stunde, vielleicht 70 Minuten auf eine Arbeit konzentrieren, danach brauche ich eine Pause.» Schnell wird ihr schwindlig, der Kopf brummt, sie fühlt sich wie auf einer Achterbahn. «Ich werde nicht ohnmächtig, aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren und die Bewegungen werden schwerfällig; wenn ich trotzdem weiterarbeite, brauche ich danach sehr lange, um mich wieder zu erholen.» In der Physiotherapie machte sie einmal einen Test auf dem Crosstrainer. Obwohl das Gerät fast automatisch dafür sorgt, dass sich Arme und Beine synchron bewegen, musste sie nach wenigen Minuten abbrechen, weil die Koordination versagte.
Ihre 50-Prozent-Arbeitstage sind in der Tat ganze Tage, die sie der Arbeit widmet, immer wieder durch Erholungspausen unterbrochen. Trotzdem werden ihr die Ferientage gekürzt, da sie als 50 Prozent krank gilt. «Damit verliere ich noch mehr Gelegenheiten, mich gut zu erholen», stellt sie fest. Das ist der einzige Punkt, mit dem sie hadert. Insgesamt bleibt sie positiv eingestellt; sie weiss, dass Bewegung im Wasser ihr guttut, sie wendet Bachblüten an und hat sich auch psychologische Hilfe geholt. «Alle sagen mir, dass ich alles richtig mache, es frustriert mich, dass es mir trotzdem nicht besser geht. Vieles, was ich gerne mache, kann ich nicht mehr richtig tun.»
Immer gut für Zusatzaufgaben
Früher war es anders: Susanna Zappa lernte Speditionskauffrau, absolvierte danach die Zollschule und arbeitete als Zollfachfrau. Mit 23 Jahren wechselte sie zur SBB. In der Cargo-Leitzentrale disponierte sie Loks und Lasten. Sie übernahm viel Verantwortung. Immer hatte sie Ideen, um Dinge zu verbessern, und übernahm auch Zusatzaufgaben, die nichts mit ihrer angestammten Arbeit zu tun hatten, wie zum Beispiel die Vertretung der Assistentin des Bereichsleiters oder der Aufbau des Intranets. 2009 wechselte sie bei SBB Cargo in den Fachbereich Zoll und absolvierte zusätzlich die Ausbildung zur Speditionsfachfrau. Mit ihrem Wissen aus beiden Welten, Zoll und Bahn, wurde ihr viel Verantwortung übertragen. Als 2016 ihr Kollege pensioniert wurde, übernahm sie einige Aufgaben von ihm, nachdem ein zweiter Kollege pensioniert wurde auch noch die Teamleitung. Dann begann sich ihr Körper zu wehren. Sie verspürte Verspannungen, Schmerzen, und ihre Konzentrationsfähigkeit nahm ab. Dauernde Schmerzen im rechten Arm führten zu einer ersten längeren Krankschreibung. Und als sie endlich wieder voll arbeiten konnte, folgte der Velounfall: «Ich bin vom Weg abgekommen und auf ein Bord geraten.» Statt weich in der Wiese zu landen, war ausgerechnet an der Stelle, wo sie mit dem Kopf auftraf, ein Metallrohr im Boden eingelassen. Seither begleitet sie der Schwindel und sie ist deutlich eingeschränkt.
«Niemand würde mich anstellen»
So weit, so schlecht. Aber nun stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Susanna ist 53-jährig, sie würde gerne voll arbeiten, aber ihr Körper lässt es nicht zu. Die Suva hat ihren Fall abgeschlossen; was sie jetzt beeinträchtige, sei keine Unfallfolge mehr. Sie ist bei der Invalidenversicherung angemeldet, und inzwischen wurde sie dort von der Wiedereingliederung zur Rentenabklärung weitergeleitet. Die Aussichten auf eine Zusage sind jedoch sehr ungewiss. Letzte Hoffnung: die Berufsinvalidität der SBB – und ausgerechnet die soll jetzt abgeschafft oder zumindest stark eingeschränkt werden. «Ich fände es unfair, wenn nur Monopolberufe davon profitieren könnten. Mit meinen Beeinträchtigungen habe ich absolut keine Chance, irgendwo in der Privatwirtschaft angestellt zu werden.» Mit 30 Dienst- und 53 Lebensjahren erfüllt sie die wichtigsten Anforderungen für die Berufsinvalidität. Sollten die Bedingungen verschärft werden, fällt sie wohl aus dem Raster. «Die Berufsinvalidität ist ein Sicherheitsnetz; das darf nicht wegfallen», stellt Susanna fest. «Die SBB hat schon signalisiert, dass sie mich zu 50 % behalten will. Aber bei zwölf Jahren mit nur noch 50 % Lohn fehlen dann natürlich auch wesentliche Beiträge für die AHV und die Pensionskasse im Alter, ohne dass es mir mehr Lebensqualität eingebracht hätte. Ich wäre zutiefst enttäuscht, wenn mich die SBB fallen liesse.»
Peter Moor
Berufsinvalidität in Gefahr
Kommentar von Valérie Solano, Vizepräsidentin SEV
Das Personal von SBB und SBB Cargo ist wütend und noch immer schockiert. Seit die Leitung Ende April Sparmassnahmen angekündigt hat, zieht eine davon besondere Wut auf sich: die Abschaffung der Berufsinvalidität. Genau genommen hat die SBB den Vertrag mit der Pensionskasse gekündigt, der die Zugangsmodalitäten zur Berufsinvalidität regelt. Das Personal fühlt sich verraten, denn die Berufsinvalidität ist ein überaus wichtiges Sicherheitsnetz, wenn der Körper nicht mehr mitmacht.
In zahlreichen Versammlungen und bei Besuchen vor Ort zeigt sich uns wieder und wieder die symbolische Bedeutung dieses Schutzes. Insbesondere in den körperlich anstrengenden Berufen ermöglicht sie den Betroffenen, nicht die Armut vor Augen zu haben, sondern zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Es wäre eine Illusion zu meinen, dass alle Zugang dazu hätten. Der Weg ist lang und beschwerlich, und tatsächlich betrifft sie übers ganze Unternehmen gesehen nur eine von hundert Personen. Die Einsparungen, die sich damit erzielen lassen, sind aus finanzieller Sicht unbedeutend, aber von enormem Gewicht für all jene, die darauf angewiesen sein könnten.
Diese Schutzeinrichtung hat Vorbildcharakter und wäre in allen Unternehmen des öffentlichen Verkehrs wünschenswert. Aber statt dies als Marktvorteil zu betrachten, findet die SBB sich «zu grosszügig». Tatsächlich ist es eines der Elemente, das bei den Jungen auch dafür spricht, einen Bahnberuf zu wählen.
Für uns als Sozialpartner bleibt in dieser Sache nichts als die Entrüstung, denn der Vertrag besteht zwischen dem Unternehmen und der Pensionskasse. Mit der einseitigen Kündigung des Vertrags gibt uns das Unternehmen keine Möglichkeit zu Verhandlungen. Normalerweise bieten Verhandlungen die Möglichkeit, verschiedene Elemente gegeneinander abzuwägen. Aber hier gibt es von der SBB zurzeit nur einen Vorschlag: den Abbau.