Auf den Spuren von...
Souleymane Barry, Buschauffeur
Der Lebensweg von Souleymane Barry ist wahrlich aussergewöhnlich. Er ist seit zwölf Jahren Buschauffeur bei den Lausanner Verkehrsbetriebe (TL). Geboren in Burkina Faso, kam er 1997 als Flüchtling in die Schweiz. Nun wurde er mit einem Spitzenresultat in den Gemeindevorstand von Chavannes-près-Renens (VD) gewählt.
Mit 70% der Stimmen ist Souleymane Barry am 21. Juni gewählt worden. Er empfängt uns herzlich in seinem bescheidenen Zuhause. Vor kurzem fünfzig geworden, verheiratet mit einer Pflegerin in einem Altersheim, Vater von zwei Kindern und seit 2010 SP-Vertreter im Gemeinderat: Das Leben des TL-Chauffeurs wird mit dieser Wahl umgekrempelt. «Ich konnte meinPensum auf 60% reduzieren, das sind etwa zwei Tage pro Woche. Die Arbeit als Gemeindevorstand beansprucht etwa 40%.»
Er muss damit rechnen, dass er künftig den TL in Verhandlungen begegnet, nun allerdings in der Funktion als Gemeindevorstand, zuständig für Stadtentwicklung, Bau und Mobilität. Bei letzterem weiss er genau, worum es geht, zumal er seit zwölf Jahren Trolleybusse führt. «Wir möchten die Linie 25 in Chavannes verlängern. Man könnte noch eine weitere Linie eröffnen, die die Gemeinde besser bedient. Das müssen wir mit den TL und dem Kanton besprechen.» Das Anliegen des Kantons, die Radwege auszubauen, wird ihn ebenfalls beschäftigen. Es braucht Anpassungen, die gut überlegt sein müssen. Ihm kommt es gelegen, da er selbst viel Velo fährt. Souleymane lebt seit 20 Jahren in Chavannes, der Abschluss eines langen Weges von Burkina Faso in die Schweiz.
Politisches Engagement
«Ich bin 1969 in Burkina Faso in Westafrika geboren. Ich hatte – für einen Afrikaner – eine eher gewöhnliche, glückliche Kindheit. Meine Eltern waren arm. Ich wurde von meinem älteren Bruder grossgezogen, der bereits Arbeit in der Hauptstadt hatte. Ich lebte in der Stadt Bobo. Immer in den Ferien ging ich zurück ins Dorf, meine Familie besuchen. Sie betrieben Landbau. An der Universität von Ouagadougou habe ich Philosophie und Literatur studiert.» Als Bewunderer von Kant und Rousseau schloss er in Philosophie ab. Bereits zu dieser Zeit war er in der Studentenbewegung politisch aktiv. Dieses Engagement hat ihn dann auch zur Flucht gezwungen, nach einiger Zeit in Côte d’Ivoire, als Folge der Turbulenzen nach der Ermordung von Präsident Sankara 1987.
Vorbildliche Integration
Drei Monate nach seiner Ankunft in der Schweiz wurde ihm eine Stelle in einer Baumschule im Waadtland angeboten, zuerst temporär, dann fest. «In dieser Zeit verstarb mein Vater, aber ich hatte kein Geld, um zur Beerdigung zu gehen. Statt meine Studien weiterzuführen, wollte ich meinen Lebensunterhalt verdienen und auch ohne höheren Abschluss jemand werden», blickt er zurück. Er lernte eine Schweizerin kennen und heiratete. Da sein Asylantrag abgewiesen worden war, befürchtete er, dass dies als Scheinehe angesehen würde. Das verliebte Paar blieb 16 Jahre zusammen. 2006 erhielt er die Schweizer Staatsbürgerschaft.
Wie wurde er Buschauffeur? «Ich habe 2008 eine Spontanbewerbung gemacht; der normale Fahrausweis genügte als Grundlage.» Nach einer ersten Absage bewarb er sich erneut, als eine Stelle ausgeschrieben wurde und hatte Erfolg. War die schwarze Hautfarbe ein Problem im Berufsleben? «Das mag erstaunen, aber ich habe mich nie anders gefühlt, weil ich schwarz bin. Ich sehe mich wie alle anderen! Ich habe meine Hautfarbe nie als Grund für eine Niederlage oder eine Ablehnung gesehen.» Auch wenn ‹Black Lives Matter› im Moment allgegenwärtig ist, glaubt der Neugewählte nicht, dass seine Herkunft beim Urnengang eine Rolle spielte. «Die Menschen in Chavannes sind offen für die Vielfalt, aber natürlich hat meine Wahl auch Symbolwert», stellt er dennoch fest. «Aber es genügte, die beiden Wahlprogramme zu vergleichen, um zu wissen, für wen zu stimmen! Und Chavannes wählt eher links.»
Er engagiert sich seit Langem: «Ich war fünf Jahre bei der Feuerwehr. Ich hatte so viel Energie und wollte meine Ideen durchsetzen. Ich konnte nicht still bleiben und habe mich in der Sozialdemokratischen Partei engagiert. Ich wurde ins Parlament gewählt, habe in Kommissionen mitgearbeitet und wurde Ratspräsident.» Neben der Politik bleibt ihm nicht auch noch Zeit für ein Engagement im SEV. Aber beitreten war mehr als logisch: «Als Revolutionär ist man nicht auf der Seite der Patrons!», lacht er. Am 27. September wird er gegen die Begrenzungsinitiative stimmen: «Man muss Lohndumping vermeiden, aber dabei nicht den andern als Grund des Übels betrachten. Es sind die Unternehmer, die davon profitieren und die man zur Ordnung rufen muss. Es ist keine Lösung, etwas rückgängig zu machen, das man aufgebaut hat. »
Yves Sancey/Übersetzung: Peter Moor