Auf den Spuren von...
Carmelo Scuderi, Verfahrenstechniker
Eher durch Zufall hat Carmelo Scuderi in verschiedenen Berufen bei den Verkehrsbetrieben Lausanne (TL) gearbeitet. Sein Gerechtigkeitssinn, seine gewerkschaftliche Ausdauer und seine Bescheidenheit sind die Gründe, dass er Präsident der Sektion SEV-TL geworden ist.
Mehrfach hätte das Leben von Carmelo Scuderi eine andere Richtung nehmen können, sowohl in geografischer als auch beruflicher Hinsicht. In einer Parallelwelt wäre er jetzt Polizist in Italien, weg von der Welt des Verkehrs. Carmelo wurde 1962 in Catania in Sizilien geboren. Seine Eltern fanden für die Expo64 Arbeit in der Schweiz. Bevor er selbst in die Schweiz kam, wurde er einige Zeit von den Grosseltern aufgezogen.
Er ist eines von hunderten von «Schrankkindern», die im Versteckten leben müssen, weil die Schweiz den Saisonniers verbietet, die Kinder mitzunehmen. Immerhin kann er zur Schule gehen und Französisch lernen. Sein Vater entscheidet jedoch, nach Italien zurückzukehren. «Mit 6 Jahren bin ich mit einem sehr bescheidenen Italienisch nach Italien gekommen. Ich musste mich neu anpassen. Da mein Vater keine Arbeit mehr fand, kehrte er in die Schweiz zurück. Der Rest der Familie blieb in Italien, mit meinem inzwischen geborenen kleinen Bruder; eine Schwester kam noch hinzu.» Dann wurde entschieden, dass alle zusammenleben sollen – in der Schweiz. Wieder ein Umzug. «Mit 11 Jahren musste ich wieder Französisch lernen. Ich hatte alles vergessen!»
Als es um die Berufswahl geht, beginnt Carmelo eine Lehre als Elektronikmechaniker. Eine Rolle spielt dabei, dass zwei Cousins schon die Elektronik gewählt hatten. Aber das ist eine Verlegenheitslösung, denn seit seiner Kindheit hat er davon geträumt, in Italien Polizist zu werden. Sein Vater hat es ihm ausgeredet. Es sind die bleiernen Jahre der blutigen Anschläge. Er hat Mühe, einen Arbeitgeber zu finden, um die Lehre abzuschliessen. Er bewirbt sich bei den TL, die allerdings nicht Elektroniker suchen, sondern Fahrer. «Mein Vater war Lastwagenfahrer, ich bin am Samstag jeweils mitgefahren», erinnert sich Carmelo. «Ich habe die Stelle angenommen und bin in die Gewerkschaft eingetreten. Aber letztlich hatte ich ohne Abschlusszeugnis keine Möglichkeit, bei den TL weiterzukommen. Ich hätte häufiger am Wochenende arbeiten sollen. So habe ich entschieden, zurückzugehen und meine Lehre zu beenden.»
Nach dem Abschluss spezialisiert er sich bei der Schweizer Firma Raskin Machines auf den Kundendienst mit vielen Reisen ins Ausland, besonders… nach Italien. Inzwischen ist er mit einer Italienerin verheiratet, die er in der Schweiz kennengelernt hat, und er entscheidet sich für die Schweiz. Bevor sein Leben wieder wegen des Berufs entgleist.
«Raskin Machines ging es nicht mehr gut; die Firma hatte die Beiträge in die Pensionskasse nicht mehr bezahlt. 20% unserer Guthaben waren verloren. Ich stellte fest, dass die Obrigkeiten nicht unfehlbar sind.» Dieses Gefühl, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, ist ihm geblieben, die Einstellung, dass man sich gemeinsam schützen muss. Diese Erfahrung stärkt seine gewerkschaftliche Ader. «Das war einer dieser Schlüsselmomente, in denen ich begriffen habe, dass man sich gemeinsam für seine Rechte wehren muss.»
Nach der Pleite von Raskin Machines bewirbt sich Carmelo, inzwischen 30-jährig, erneut bei den TL, aber diesmal als Elektroniker, auch wenn er von Zeit zu Zeit immer noch fährt. «Ich bin zweimal zu den TL zurückgekehrt; ich bin mir Hin und Her gewohnt!», lacht er. Er kümmert sich um die Bordelektronik der Busse, dann um die Verkehrslenkung. Er kommt in die Technik-Gruppe von SEV-TL und wird schnell deren Präsident. Er wird Vater eines Sohnes und einer Tochter.
Carmelo beginnt eine Ausbildung zum Verfahrenstechniker, die über vier Jahre dauert. Dank seiner untypischen Laufbahn bei den TL, in der Werkstätte, den Depots, am Lenkrad und in der Elektronik, kennt Carmelo alle und hat das ideale Profil, um die Organisation zu überdenken, mit seiner Erfahrung aus dem Alltag. Es wird eine Technikerstelle geschaffen, um die Organisation besser zu strukturieren und die Entwicklung von Betriebsabläufen zu begleiten. So kann er sein Wissen in den Dienst des Unternehmens und der Kolleg/innen stellen.
Bei der Fusion der fünf Sektionen von SEV-TL wird er zum Vizepräsidenten des gemeinsamen Vorstands gewählt, danach zum Präsidenten. Nächsten März stellt er sich der Wiederwahl. Für ihn ist wichtig, «dass die Personen, die den Vorstand SEV-TL wählen, engagiert und überzeugt sind und bereit, diesen zu unterstützen und sich wenn nötig mobilisieren zu lassen. Wer auch immer gewählt wird, braucht eine aktive Basis, die Vertrauen zeigt und die wesentlichen Punkte zur Sprache bringt. Das macht die Stärke aus. Das ist der Antrieb, mit dem sich unsere Rechte verteidigen lassen. Und der gemeinsame Kampf gibt Kraft!» schliesst Carmelo.
Yves Sancey/Übersetzung: Peter Moor