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Zukunftsforschung

Was wenn … alles miteinander vernetzt wäre?

© Gerd Altmann / Pixabay.com

Die katholisch-progressive Tageszeitung «La Croix» stellt sich eine Welt vor, in der alle Objekte miteinander verbunden sind. Es ist eine Vision des Jahres 2034, basierend auf den bereits heute existierenden, digital vernetzten Geräten. Auszüge.

«Guten Morgen, Lea. Es ist der 22. Juli 2034. Draussen sind es 33°C. Es ist 6 Uhr 19, du musst aufstehen. Gestern hast du zu viel gegessen und keinen Sport gemacht. Ich habe dir 41 Minuten auf dem Home-Trainer programmiert. Einen schönen Tag, Lea.» Du meine Güte! Suzanne – so heisst sie, meine persönliche, automatische Assistentin – ist erbarmungslos. Meine Smartwatch, die fiese Petze, hat ihr offensichtlich mitgeteilt, dass ich gestern Abend mein Workout mit einem Schokoriegel ersetzt habe.

Resigniert steige ich auf den Home-Trainer. Schliesslich soll es mir guttun. Mein Fernarzt, Doktor Haladjian, erhält meine Gesundheitsdaten jeden Tag direkt von Suzanne. Er ist sehr zufrieden mit mir: Meine Lebenserwartung mit 100 Jahren ist um 74% gestiegen.

Ermöglicht hat mir dies die Revolution des Internets der Dinge. In den westlichen Ländern mit 5G-Technologie gab es im Jahr 2023 pro Haushalt durchschnittlich mehr als 500 vernetzte Objekte. Sie sind mit dem Internet verbunden und mit Sensoren ausgestattet; dadurch können sie Daten übertragen sowie analysieren. Bald werden solche Geräte unseren Alltag in allen Bereichen lenken können. Es fängt schon zu Hause an. Ältere Menschen, die trotz ihrer Pflegebedürftigkeit nicht ins Altersheim gehen wollten, bildeten im Jahr 2022 die erste Generation, die sich mit zahlreichen intelligenten Geräten ausgestattet hat. Mittlerweile sind praktisch alle Haushalte maximal vernetzt.

Bei mir daheim bestellt Suzanne mit eiserner Hand alles, was mein Haushalt so braucht. Der virtuelle Hund Caylou dient als Spielbegleiter, aber auch als Babysitter und Lehrer für die Kinder. Marmito, mein kochfähiger Kühlschrank, bestellt täglich frische Bioprodukte, die per Drohne geliefert werden, und bereitet sie für meinen Stoffwechsel optimal zu.

Unser ganzes Universum ist schon via Internet vernetzt. Die «Smart Cities» regulieren sich selbst: via Sensoren in der Beleuchtung, den Mülleimern, dem Asphalt, oder in Werbebildschirmen. Die städtische Luftverschmutzung ist stark gesunken. In der Agglomeration fährt niemand mehr Auto. Seit 2028 funktioniert das Pariser Verkehrsnetz – U-Bahn, Bus und Drohnentaxi inklusive – vollkommen autonom. Wenn ich will, kann ich einen selbstfahrenden Tesla mieten, allerdings nur, wenn auf der geplanten Route die maximale Zahl von Reisenden pro Minute nicht überschritten wird. Verkehrsüberlastungen sind Geschichte.

Allerdings bewegt man sich im Durchschnitt sowieso nicht mehr so viel. Dank dem Internet der Dinge ist Heimarbeit zur Norm geworden. Ich arbeite zwei Stunden am Tag, in denen ich die Metallgewinnung im Kongo überwache. Dabei steuere ich Roboter-Arbeiter, mit denen ich dank Elon Musks neuster Technologie Neuralink, die kurz vor 2020 in Betrieb genommen wurde, mein Gehirn verbinden und ihnen so Befehle erteilen kann.

Geht das alles nicht zu weit? Vielleicht wünsche ich mir mit 47 Jahren die guten alten Zeiten zurück. Manchmal kann ich Suzanne nicht mehr ertragen. Doch ihre Algorithmen wissen, welches die wichtigsten Entscheidungen sind. Dank ihrer Hilfe hat sich meine Gesundheit wesentlich verbessert, mein ökologischer Fussabdruck ist kleiner geworden, ich bin beruflich weitergekommen und konnte meinen Kindern die beste Erziehung bieten.

Trotzdem fühle ich mich manchmal entfremdet. Die Roboter haben in unserer Interaktion mit der Welt eine derart wichtige Rolle eingenommen, dass wahre menschliche Begegnungen immer mehr an Bedeutung verlieren. Meine Kindheitsfreundin Muriel habe ich 2028 zum letzten Mal gesehen. Sogar romantische Beziehungen gehen den Bach runter! Zu einem Date geht man heutzutage nur noch mit Smartbrille.

Seit 2034 steht das Recht, nicht verbunden zu sein, im Gesetz. Alle Bürger/innen, die ihre Sozialversicherungsbeiträge rechtzeitig zahlen, haben Anrecht auf eine überwachungsfreie Stunde pro Tag. Dieses Recht entstand aufgrund der Krawalle in den Jahren 2028/2029.

Anfang 2028 war die Regierung in Versuchung geraten, dem Beispiel der Chinesen zu folgen. In China wird das Verhalten aller Bürger/innen durch Millionen von Kameras mit Gesichtserkennung überwacht und so der soziale Ruf jeder Einzelperson festgehalten. Darauf folgten jedoch heftige Aufstände während mehrerer Monate. Am 12. Juli 2029, seither bekannt als der «Schwarze Donnerstag», gelang den Hackern ein Rundumschlag.

Kühlschränke, Fernseher, Zahnbürsten und sogar Neuralink-Roboter wurden trotz ihrer Triple-A-Sicherheitsstandards gehackt. Millionen widersprüchlicher Meldungen wurden an andere vernetzte Geräte versandt, was zu einer Totalblockade der gesamten Wirtschaft führte.

Was tun? «So gewinnen Sie die Kontrolle über die Technologie zurück», steht auf einer Broschüre, die mir Suzanne auf die Smartbrille projiziert hat. Sie kennt mich wirklich in- und auswendig. Es geht um ein Low-Tech-Sommerlager. Während 15 Tagen lernt man gemeinsam, nützliche und robuste Objekte herzustellen – mit einfacher, leicht verständlicher Technologie. Die persönlichen Assistenten sind dort verboten. Das reizt mich, ich glaube, ich werde mich anmelden.

Nathalie Birchem, «La Croix», 22. Juli 2019, Übersetzung: Karin Taglang