Auf den Spuren von …
Vincent Hennin, Zugverkehrsleiter, Gewerkschafter, Politiker
Vincent Hennin ist ein ruhiger Typ, doch die Ausschreibung der Buslinien im Jura hat ihn an die Front katapultiert. Er setzt sich gewerkschaftlich und politisch gegen Dumping ein und bietet «seinem Minister» die Stirn.
Am Tag unseres Besuchs am Bahnhof Saignelégier der Chemins de fer du Jura (CJ) herrschen schon fast winterliche Temperaturen und der Regen hat selbst die mutigsten Touristen, welche die CJ dringend bräuchte, vertrieben. Vincent Hennin kommt sofort zur Sache: «Die Busausschreibung im Jura dauert noch bis am 28. November. Wenn die CJ oder Postauto die Linien verlieren, müssen 180 Chauffeure um ihren Job fürchten. Selbst wenn sie von einem neuen Betreiber der Linien übernommen würden, behielten sie ihre aktuellen Arbeitsbedingungen nur noch für ein Jahr. Nach Ablauf dieser Frist kann das Unternehmen neue Verträge aufsetzen und die Löhne um bis zu 30% senken. Der Jura hat sich für Sozial- und Lohndumping entschieden (siehe SEV-Zeitung Nr.14 vom 10. Oktober). Die Bewerber offerieren zu möglichst tiefem Preis, da die Angebote zu 45% anhand des Preises bewertet werden. Der Bus ist in voller Fahrt und wir wissen noch nicht, gegen welche Mauer er krachen wird», sinniert Vincent Hennin.
Bei diesem Thema stellt sich Hennin gegen den jurassischen Verkehrsminister David Eray, obwohl dieser in seiner eigenen Partei ist, der christlich-sozialen PCSI. Dabei war es David Eray, der Hennin vor ein paar Jahren dazu motiviert hat, bei den kantonalen Wahlen zu kandidieren. «Zuerst wollte ich mich nicht engagieren. Doch ich habe meine Meinung geändert und bin nun seit vier Jahren im Parlament. Damals habe ich David Eray klargemacht, dass meine gewerkschaftlichen Werte den Vorrang haben, selbst wenn es dadurch zu Konflikten in der Partei kommt. Meine Kollegen und mein Unternehmen haben oberste Priorität. Ich wusste, dass meine gewerkschaftlichen und linken Werte in der PCSI nicht allen gefallen, aber ich habe die Gewerkschaft im Blut.» Trotz seiner ruhigen Natur macht ihn das Klischee von den Gewerkschaften, die immer nur jammern und Nein sagen, rasend. «Ich bin ein Freund der Sozialpartnerschaft. Ich verteidige die Interessen meiner Kollegen in Verhandlungen und Diskussionen.»
Vincent ist nicht zufällig bei der Bahn gelandet. «Mein Grossvater hat auch bei den CJ gearbeitet und sogar mein Urgrossvater ist Eisenbahner gewesen. Am Wochenende durfte ich meinen Grossvater oft im Führerstand oder in die Werkstätte begleiten. Die Atmosphäre in Werkstatt und Führerstand hat mich begeistert. Am Anfang schwankte ich noch zwischen Post und Bahn. Ich bestand beide Eintrittstests und bin dann mit 16 Jahren zur SBB gegangen. Der Umzug in die Broye-Region war für mich eine furchtbare Entwurzelung, da ich in meinem Dorf Fontenais in der Ajoie in vielen Vereinen aktiv war. Schliesslich brach ich meine Lehre ab, bewarb mich bei den CJ und konnte dort die Lehre als Betriebsbeamter – heute Zugverkehrsleiter – machen. 2021 werde ich mein 40-jähriges Jubiläum feiern.»
Am Anfang seiner Karriere bei den CJ ist er auch dem SEV beigetreten. «Damals war das normal, mein Urgrossvater hätte nichts anderes von mir erwartet!» Aktiv engagiert er sich im VPT Jura aber erst seit 10 Jahren. «Ich wollte mich politisch und gewerkschaftlich nicht zu stark exponieren, solange meine zwei Töchter noch klein waren. Einerseits aus Zeitgründen, aber auch, weil ich nicht wollte, dass sie dafür bezahlen müssen.» Dass er heute da ist, wo er ist, verdankt er auch seiner Frau, die ihn immer unterstützt hat.
Seine Arbeiterwerte hat Vincent Hennin von seiner Eisenbahnerfamilie, aber auch von seinem Vater, der in der Uhrenindustrie arbeitete. «Er war Werkstattchef und damit zwischen Hammer und Amboss. Wir haben zu Hause oft darüber geredet.» In den Vorstand des VPT Jura trat Vincent Hennin ein, um die Interessen der Zugverkehrsleiter zu vertreten. «Jammern hilft nichts. Wenn man etwas erreichen will, muss man sich engagieren. Unsere Berufe verändern sich, und wir müssen unsere Interessen verteidigen. Die Schliessung des Bahnhofs Le Noirmont war für uns ein Schock. Die Betriebszentrale in Saignelégier, wo ich momentan arbeite, soll in Tramelan zentralisiert werden. Unter welchen Bedingungen? Bei solchen Themen müssen wir aufmerksam sein.» Er hat aber auch immer ein offenes Ohr für Mitarbeitende anderer Berufe. «Das Zugpersonal oder die Gleisbauer kommen zu mir, wenn es zum Beispiel Probleme bei der Arbeitszeit gibt. Sie wollen wissen, welche Rechte sie haben oder wie die Verhandlungen gelaufen sind. Die Kollegen wissen, dass sie mich fragen oder ihre Anliegen bei mir deponieren können. Wenn ich keine Antwort habe, mache ich mich schlau. Darin sehe ich meine Aufgabe.»
Für Vincent ist die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft essenziell. «Der Druck auf die Arbeitsbedingungen und die Löhne wird weiter steigen.»
Vivian Bologna/Übersetzung: kt