Rund 3000 Personen arbeiten in Olten bei der SBB und ihren Tochterfirmen
Das neue Leben der Eisenbahnerstadt Olten
160 Jahre nach dem Beginn des Bahnzeitalters erlebt Olten seine zweite Geburt als Eisenbahnerstadt. Bereits sind es über 2700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die SBB in Olten arbeiten, mit den Töchtern gegen 3000. Tendenz nach wie vor leicht steigend. Eine Stadtrundfahrt der andern Art.
Über Olten lichten sich die Herbstnebel und eine anfänglich noch schwache Sonne scheint in die bunt verfärbten Bäume. Gut versteckt schlängelt sich der Depotweg durch die Ursprünge der Bahn in Olten, bis schliesslich ganz im Norden die Strasse endet und nur noch Gleise übrig bleiben. Hier findet sich die Niederlassung von Infrastruktur Instandhaltung, der Ausgangspunkt unserer Stadtrundfahrt.
1 – Depotweg
Signale, Stellwerke, Schotter und Schienen gilt es laufend zu unterhalten und bei Störungen sofort zu reparieren. Michael Burkhard, ein Mann mit langer Bahnerfahrung, beschreibt das weitverzweigte Einsatzgebiet und die Zusammenarbeit mit externen Partnern, die aushelfen, wenn die eigenen 140 Leute nicht reichen.
Hier ist eine Männerwelt: Nur gerade drei Frauen gehören zum Team. Die Arbeit ist meist schwer; eine «kleine» Schraube ist fünf Zentimeter lang und hat einen Zentimeter Durchmesser.
2 – Industriestrasse
Einzelne Bauten auf dieser Seite der Industriestrasse haben wohl noch das Dampfzeitalter erlebt. Aber heute riecht es nicht mehr nach Russ und Kohle, sondern nach Schokolade; die Fabrik von Lindt trennt die älteren Bahnbauten vom modernen Komplex des Industriewerks. Gegen 850 Personen arbeiten dort. Das Werk ist damit klar der grösste SBB-Teilbereich in Olten. Werkleiter Anton Lenherr ist zuversichtlich, dass weiteres Wachstum möglich ist. Den Optimismus stützt er nicht nur auf die Fahrzeugbeschaffungen der SBB, sondern auch darauf, dass das IW Olten die Instandhaltung der Flirt-Züge übernimmt. «In Europa sind 900 Flirt-Kompositionen im Einsatz; da liegt für uns etwas drin!», zeigt er sich zuversichtlich. Unter seinen Vorgängern wurde im Werk die Kaizen-Methode aufgebaut, aber er möchte offener weitergehen, was die Organisation angeht, und gleichzeitig die Eigenverantwortung der Mitarbeiter stärken.
Die Werkteile sind hier noch grösser als auf der andern Strassenseite: Räder, Achsen, Pendelzüge, und doch: Immer mehr geht es um Elektronik. Und eine Zugtoilette ist nicht mehr ein WC-Ring mit einem Loch drunter, sondern eine fahrende Kläranlage.
3 – Gösgerstrasse
Die Besichtigungstour nähert sich dem Bahnhof. Das als Nebelnest verschriene Olten zeigt sich von seiner schönsten Seite, und die Szene ändert sich: Nun ist Hochsicherheit angesagt. Der Zugang zur neu erbauten Betriebszentrale ist nur durch eine Sicherheitsschleuse möglich, und bis ins Innerste – zum Kommandoraum – gilt es noch mehrfach, gesicherte Türen zu öffnen, wobei unterschiedliche Codes einzutippen sind. Zwischen 30 und 80 Zugverkehrsleiterinnen und -leiter sind pro Schicht an der Arbeit, um für flüssigen Verkehr auf den Schienen zu sorgen. Noch sind nicht alle Gruppen im Einsatz, als letztes wird in einigen Wochen der Bahnhof Bern nach Olten umziehen. Dann werden rund 370 Personen ihren Arbeitsplatz hier haben. Alles ist modern, technisch und ausgesprochen still. Auf Schallschutz wurde besonderen Wert gelegt, betont Thomas Wirz, Leiter Operation. Die Betriebszentrale ist ein Vorzeigestück: Fast täglich finden Führungen statt, wobei die Gäste den Kommandoraum nicht betreten, sondern von einem verglasten Erker aus dem Treiben folgen. Im Normalfall ist es ruhig, bei Störungen soll es so ruhig wie möglich bleiben; dafür ist alles vorbereitet, bis hin zu den verschiedenfarbigen Westen, die die entsprechenden Personen als verantwortlich in ihrer Funktion erkennbar machen.
Der Neubau an bester Lage zwischen Wald und Fluss erlaubt einen neuen Ausblick auf Olten: Die Terrasse bietet beste Sicht auf Stadt und Gleise. Wie sich im Verlauf des Tages noch herausstellen wird, sind die Terrassen eine versteckte Qualität des Bahnorts Olten.
4 – Bahnhof
Von der spektakulären Betriebszentrale geht es weiter ins Bahnhofgebäude, das als Inselbau zwischen den Perrons thront. Unscheinbar im zweiten Stock findet sich eine Minivariante der Zentrale: das Regionale Operation Center Personenverkehr (ROCP). Auch hier zeigen Bildschirme die Betriebslage in der ganzen grossräumigen Region an; auch hier ist es im Normalbetrieb ruhig, doch wenn etwas aus dem Takt gerät, wird es schnell sehr lebendig. Von hier aus erfolgen auch die Durchsagen auf unbedienten Stationen und in den Regionalzügen. Absprachen erfolgen mit der Betriebszentrale und mit dem «grossen» OCP in Bern, das sich um den Fernverkehr kümmert. Dominik Wyss, der das ROCP präsentiert, ist ein Lokführer, seine Kolleginnen und Kollegen bringen Erfahrungen aus andern Bahnberufen mit, was viel Fachwissen zusammenbringt, um bei Störungen die geeigneten Lösungen zu finden.
Es folgt ein abrupter Szenen- und Stimmungswechsel: Auf Gleisniveau treffen wir Reto Bollhalder, zuständig für den Verkauf im Marktgebiet Olten. Noch ist dem Billettschalter das Reisebüro angegliedert, doch dessen Tage sind gezählt. Eine traurige junge Reiseverkäuferin blickt der Umstellung entgegen. Künftig wird sie am Schalter arbeiten, doch wenn sich ausserhalb der SBB eine Möglichkeit ergäbe, wo sie ihr Reise-Fachwissen einsetzen könnte, würde sie kaum ablehnen. Viele Reisende steigen in Olten lediglich um; das zeigt sich auch in den Ranglisten: Bei den Passagierzahlen ist Olten die Nummer 9 der Schweiz, beim Verkaufsumsatz lediglich auf Platz 20.
Olten ist natürlich auch Standort für Lokführer von Personen- und Güterverkehr und Zugpersonal; insgesamt rund 200 Personen.
5 – Bahnhofstrasse
Es geht weiter südwärts; wer es eilig hat, folgt der Bahnhofstrasse, die in Olten deutlich weniger spektakulär ist als in Zürich; schöner ist der Weg am Aareufer. Das Ziel: Der neu erbaute Aarepark; äusserlich kein Gewinn fürs Stadtbild, umso mehr als er das historisch bedeutsame Distelihaus umfliesst, um nicht zu sagen erdrückt. Innen jedoch ist er komfortabel ausgebaut nach dem gleichen Arbeitsplatzkonzept wie die neuen Verwaltungsgebäude der SBB in Bern und Zürich. Über 800 Personen arbeiten im Aarepark.
Im Südteil findet sich der Hauptsitz von SBB Cargo, der Gebäudeteil entlang der Gleise wird weitgehend von Infrastruktur Mitte genutzt. Die Hoffnung, alle Arbeitsplätze in Olten hier unterbringen zu können, erwies sich jedoch als zu optimistisch: Weiterhin finden sich auch Infrastruktur-Mitarbeiter auf der andern Seite der Gleise. Die Skepsis, die anfänglich gegenüber den Bürokonzepten herrschte, hat sich weitgehend gelegt. Ruedi Suter, der bei Fahrplan und Netzdesign arbeitet und auch deren Peko präsidiert, findet, man habe ihn «zum Glück gezwungen»: Er fühle sich viel wohler am täglich freigeräumten Arbeitsplatz.
Empfang, Personalrestaurant sowie die Sitzungszimmer, aber auch Garderoben und Duschen werden von Cargo und Infrastruktur gemeinsam genutzt, und auch der Zugang zur Terrasse steht allen offen. Hier geht der Blick nun Richtung Jurahöhen, sofern man nicht lieber ins direkt gegenüberliegende Schwimmbad schaut.
6 – Aarauerstrasse
Nun verlassen wird die Gleisachse und gehen ostwärts ins Stadtgebiet. Die Hauptsitze der Tochterfirmen SBB Cargo International und Login lassen wir rechts liegen und betreten einen Komplex, dem anzusehen ist, dass er ursprünglich als Einkaufscenter erbaut wurde. Der Kleiderladen im Untergeschoss ist jedoch nur für ausgewählte Kundschaft geöffnet: Hier finden sich die Berufskleider aller SBB-Mitarbeitenden. 99 Prozent des unifor- mierten Personals trägt Kleider «ab Stange». Wer neu beim Unternehmen ist, sollte einmal vorbeigehen, um die Masse nehmen zu lassen; diese sind dann im System hinterlegt und bei Bestellungen über Intranet schon eingeplant.
René Neidhart wird nächstens nach Indien reisen, um sich vor Ort zu vergewissern, dass nicht nur die sozialen Standards (vor allem: keine Kinderarbeit, geregelte Arbeitszeiten und angemessene Löhne) eingehalten werden, sondern auch die ökologischen Vorgaben, die die SBB an ihre Lieferanten stellt. Hier arbeiten Schneiderinnen und Logistiker, Einkäufer und Kaufleute. Auch hier bietet die SBB Lehrstellen an. Soeben platzt eine Klasse angehender Lokführer herein, und wir machen uns auf den Weg in den andern Stadtteil. Zwar spricht man in Olten von linker und rechter Aareseite, aber eigentlich meint man: Links und rechts der Bahn.
7 – Frohburgstrasse
Nochmals landen wir in einem ehemaligen Warenhaus. Wo früher das Epa-Restaurant war, werden nun die SBB-Immobilien für weite Teile der Deutschschweiz verwaltet. Bahnhöfe, Grundstücke und Verwaltungsgebäude, aber auch Grossprojekte in Basel und Zürich. Schon fast überflüssig zu erwähnen, dass der kleinen Cafeteria eine Terrasse vorgelagert ist – allerdings reicht die Aussicht hier nur bis zum stattlichen Oltner Bürgerhaus.
8 – Ringstrasse
Weiter geht es zum einzigen SBB-Vorgesetzten, der um jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin froh ist, die er verliert: Im Stadtzentrum befindet sich der Hauptsitz des Arbeitsmarkt-Centers, der internen Arbeitsvermittlung. Rolf Wullschleger ist schon nach wenigen Monaten mit dem neuen GAV zufrieden: Die auf sechs Monate verlängerte Präventionsphase führt dazu, dass kaum noch Leute stellenlos ins AMC kommen; fast immer lässt sich rechtzeitig eine Lösung finden. Immer mehr verlagert sich die Arbeit der Personalberaterinnen und Sozialarbeiter deshalb in die Laufbahnberatung. Künftig wollen auch AMC und Gesundheitsmanagement enger zusammenarbeiten, da die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit bei beiden an erster Stelle steht. Das «Forum», wo früher Leute nach einem Stellenverlust vor Ort Abklärungen trafen und Bewerbungen schrieben, ist fast verwaist. Etwas schade um den schönen Ausblick aus dem Rundbau…
9 – Dornacherstrasse
Nur eine Haustür weiter findet sich die letzte Station des Rundgangs. Noch einmal ist es ein gesicherter Zugang: In einem unscheinbaren Bürobau findet sich die Einsatzzentrale der Transportpolizei. Von den 270 Mitarbeitenden haben nur wenige hier ihren Arbeitsplatz; die meisten sind den Posten in der Fläche zugeteilt. Bis vor Kurzem war hier auch das Kommando untergebracht, doch dieses wurde nun wieder nach Bern verlegt – näher an die Führung. Viele Männer und Frauen tragen Uniform, denn sie sind einsatzbereit, falls die Patrouillen unterwegs Verstärkung brauchen. Rund um die Uhr wird in der Einsatzzentrale die gesamtschweizerische Notfallnummer betreut, in einem andern Raum sind Spezialisten damit beschäftigt, Videobänder aus Zügen und Bahnhöfen auszuwerten.
Auf dem grossen Bildschirm laufen Bilder von verschiedenen Orten, aber anders als in der Eingangshalle des Aareparks, wo die Livebilder die schönsten Seiten der Schweizer Bahn zeigen, führt hier der Blick in dunkle Winkel, um Reisenden und Passanten Sicherheit zu gewähren.
Bald wird es dunkel in der Dreitannenstadt; Feierabendzeit. Während sich die Verwaltungsgebäude langsam leeren, ist im Betrieb Zeit für den nächsten Schichtwechsel.
Peter Moor (Text und Bilder)
Der SEV in Olten
Im Gegensatz zu den anderen grossen Verwaltungsstandorten der SBB ist der SEV in Olten nicht mit einem Sekretariat vertreten. Anlaufstelle für die Mitglieder ist das Zentralsekretariat in Bern.
Fast alle Unterverbände sind in Olten mit Sektionen oder Gruppen aktiv. Im August fand erstmals ein Treffen statt, um die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Berufsgruppen miteinander bekannt zu machen.
Sektionscoach Elena Obreschkow sieht Olten gleichzeitig als Herausforderung und Chance: «Wir sind an vielen Standorten stark, aber insbesondere im Aarepark müssen wir besser sicht- und spürbar werden; dort liegt für den SEV noch viel drin!»
Der SEV hat sich dieses Jahr dafür eingesetzt, dass der Wechsel nach Olten nicht den Verlust der Regionalzulage nach sich zieht, leider ohne Erfolg.
Präsident Giorgio Tuti kündigt an, dass Olten in den Schwerpunkten 2016 des SEV genannt wird: «Wir wollen eine verstärkte Präsenz ernsthaft prüfen.»
Kommentar
Für die meisten Betroffenen ist der Wechsel nach Olten mehr als bloss ein neuer Arbeitsort. Für die einen ist es ein Umzug nach vielen Jahren ohne jegliche Veränderung, für andere – vor allem bei SBB Cargo – der nächste Schritt einer erzwungenen Schweizerreise: von Bern über Freiburg und Basel nach Olten, und dies innert 15 Jahren.
Die einen wie die anderen stehen diesem Umzug zu Recht skeptisch gegenüber. Sie sind in Olten gelandet, weil die SBB sie dorthin verschob. Und dies nicht, weil Olten dem Personal so viel zu bieten hat, sondern schlicht und einfach, weil es sich rechnet. In Olten sind die Büros günstiger als in Bern und Basel, und in Olten ist auch das Personal günstiger als in Bern und Basel.
Der SEV steht kritisch zu Zentralisierungen und Personalverschiebungen, und er hat dies auch immer wieder geäussert. Er war wesentlich daran beteiligt, dass es heute in Olten «nur» eine Betriebszentrale hat und nicht das schweizerische RCC, das Rail Control Center. Er hat dafür gesorgt, dass im Gesamtarbeitsvertrag gute Regeln festgehalten sind für den Fall, dass Stellen verschoben werden, und er hat immer wieder versucht, im Einzelfall nochmals etwas mehr herauszuhandeln, als der GAV vorschreibt. Der SEV hat sich aber auch seit langem verpflichtet, Reorganisationen zu begleiten – statt sie generell zu bekämpfen.
Leute, die früher ebenso wussten, was der Transport einer lebenden Kuh kostet, wie sie die Bedeutung eines Signalbilds mit einem gelben und einem grünen Licht kannten, sitzen heute vor einem Halbkreis mit einem Dutzend Monitoren. Fachspezialisten mussten ihr Einzelbüro gegen einen unpersönlichen Arbeitsplatz eintauschen. Ich habe auf meinem Rundgang in Olten traurige Gesichtergesehen; ich habe aber auch positive Stimmengehört, denn was die SBB an Arbeitsplatzqualität anbietet, gefällt vielen. Dennoch sind solche Umstellungen immer schmerzhaft.
Der SEV selbst kann die Entwicklung nicht bloss aus dem Schneckenhaus heraus beobachten. Er muss präsent sein und sich einmischen. Er muss sehen und hören, wo seinen Mitgliedern der Schuh drückt. Mobbingvorwürfe, Kleidervorschriften, der Verlust der Regionalzulage: Anliegen der Mitglieder aus Olten, um die sich der SEV kümmert. Wo so viele Mitglieder sind, sind auch viele Themen. Auch für den SEV führt kein Weg an Olten vorbei.
Peter Moor, Chefredaktor kontakt.sev