Überwachung am Arbeitsplatz
Big Brother sieht immer mehr
Immer mehr Arbeiten erfolgen mit elektronischen Geräten, die immer mehr Daten immer genauer erfassen können. Dieser technische Fortschritt erlaubt es Arbeitgebern, ihre Mitarbeitenden immer besser zu überwachen. Eine beliebige, permanente Überwachung der Arbeitsleistung ist aber nicht erlaubt.
René Windlin vom SEV-Rechtsschutzteam erhält immer wieder Anfragen von Mitgliedern, die sich vom Arbeitgeber unrechtmässig überwacht fühlen, wobei die Kolleg/innen mit dieser Einschätzung meistens richtig liegen. «Die Überwachung am Arbeitsplatz ist ein komplexes und vielschichtiges Thema», sagt René Windlin und nennt ein paar Beispiele:
Viele Anfragen gibt es wegen Fotos, die Vorgesetzte schiessen, um eine (angeblich) mangelhafte Arbeitsqualität zu belegen. Zum Beispiel ein Foto mit Datum und Uhrzeit einer verschmutzten Toilette. Sie beweist nämlich noch nicht, dass diese nicht gereinigt worden ist, auch wenn der Fotograf behauptet, unterscheiden zu können, ob eine Verschmutzung frisch ist oder nicht …
Überwacht und zum Vorwurf gemacht wird den Mitarbeitenden auch immer wieder der übermässige Privatgebrauch des Internets und des Mobil-telefons während der Arbeitszeit. Andererseits verwenden wohl wir alle das Internet und die neuen Medien nur allzu oft unbedarft und hinterlassen ungewollt Spuren im Netz.
Sicherheit als Deckmantel permanenter Überwachung
Weitere Anfragen betreffen Videokameras, die eigentlich Kundschaft und Personal mehr Sicherheit bringen sollen, für die Mitarbeitenden aber den unangenehmen Nebeneffekt haben, dass «Big Brother» ihr Tun und Lassen jederzeit verfolgen kann – live und sogar zeitversetzt, wenn der Zugriff auf die Aufzeichnungen nicht korrekt geregelt ist.
Grosse Sorge bereitet René Windlin auch das stets wachsende Anwendungsfeld der elektronischen Überwachungstechniken: Weil immer mehr Funktionen mithilfe elektronischer Geräte und Computertechnik ausgeführt werden, können Arbeit und Leistung des Personals elektronisch immer besser überwacht werden. So kann am Billettschalter oder im Callcenter für alle Mitarbeitenden einzeln ermittelt werden, wie lange er/sie durchschnittlich für bestimmte Arten von Verkaufsgeschäften oder Anfragen braucht. Daraus können Ziele abgeleitet und zur Leistungskontrolle eingesetzt werden. So wird das Personal unter Druck gesetzt – was die Kundschaft ebenfalls zu spüren bekommt.
Auf diese Weise können immer mehr Arbeiten auf maximale Leistung getrimmt werden: von Büroarbeiten z. B. im Rechnungswesen über Fahrausweiskontrollen mit elektronischen Geräten (Stichwort Swisscard) bis zur Zugsteuerung. Liegen die Werte unter dem mathematischen Durchschnitt, gilt die Leistung teils schon als «ungenügend». Letztlich wird auch die Stellenzahl «optimiert».
Datenschutz gilt auch im sicherheitsrelevanten Bereich
Keineswegs neu ist die Datenaufzeichnung in Stellwerken und Loks, um im Fall eines Ereignisses dessen Hergang sowie die Handlungsweise der Beteiligten genau rekonstruieren zu können. Dank dem technischen Fortschritt werden aber immer mehr und immer genauere Daten erhoben.
Heute wird in modernen Betriebszentralen und Lokführerständen jede Handlung aufgezeichnet und eine bestimmte Zeit archiviert für den Fall, dass die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST aktiv werden muss. Zu diesem Zweck und im Hinblick auf das juristische Nachspiel eines Unglücks sowie zur Ausmerzung von Sicherheitslücken, um weitere ähnliche Unfälle zu vermeiden, ist die lückenlose Datenerfassung und -speicherung sicher wünschbar und nötig.
Doch auch in diesem sicherheitsrelevanten Bereich darf die Überwachung der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz die Grenzen nicht überschreiten, welche die Datenschutzgesetzgebung und der Artikel 26 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz vorgeben (siehe weiter unten).
So wäre es nicht zulässig, wenn der Arbeitgeber solche Daten ohne jeden Zusammenhang zu einem besonderen Ereignis und womöglich weit zurück sichten würde, um Leistung und Verhalten einzelner Mitarbeiter/innen zu beurteilen. Auch wenn Zugverkehrsleiter/innen und Lokführer/innen wissen, dass all ihre Handlungen stets aufgezeichnet werden, gibt dies dem Arbeitgeber nicht das Recht, die Überwachungsdaten beliebig für eigene Zwecke wie die Personalbeurteilung auszuwerten.
Markus Fischer
Artikel 26 der Verordnung 3 zum ArG (ArGV 3)
Überwachung der Arbeitnehmer
1 Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen nicht eingesetzt werden.
2 Sind Überwachungs- oder Kontrollsysteme aus anderen Gründen erforderlich, sind sie insbesondere so zu gestalten und anzuordnen, dass die Gesundheit und die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer dadurch nicht beeinträchtigt werden.
Seco-Wegleitung zum Artikel 26 ArGV 3 (Auszug):
Verhalten und Leistung hängen oft stark voneinander ab. Entsprechend ist eine scharfe Abgrenzung zwischen (erlaubter) Leistungs- oder Sicherheits- und (unerlaubter) Verhaltensüberwachung in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht möglich. Um zu wissen, ob die Einrichtung eines Überwachungs- oder Kontrollsystems zulässig ist oder nicht, muss zuerst abgeklärt werden, ob die drei nachstehenden Bedingungen erfüllt sind:
a) Vorliegen eines klar überwie- genden, anderen Interesses (z. B. Sicherheit des Personals, des Betriebs oder Produktionsoptimierung);
b) Verhältnismässigkeit zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an einer Überwachung und demjenigen der Arbeitnehmenden, nicht überwacht zu werden;
c) Mitwirkung der Arbeitnehmenden bezüglich Planung, Einrichtung und Einsatzzeiten der Überwachungs- und Kontrollsysteme sowie bezüglich Speicherungsdauer der mit solchen erfassten Daten.
Zusätzlich muss sichergestellt sein, dass Strafgesetz und Datenschutzgesetzgebung nicht verletzt werden.