SBB Cargo hält am Kahlschlag beim Wagenladungsverkehr fest
Wo (k)ein Wille ist …
Trotz scharfem Protest des SEV will SBB Cargo möglichst viele der 155 umsatzschwachen Zustellpunkte des Wagenladungsverkehrs auf Dezember 2012 schliessen, auch wenn dies dem politischen Willen, Güter möglichst auf der Schiene zu transportieren, entgegenläuft.
Von einem Aufschub des Projektes «Netz», bis das Parlament über die beabsichtigte flächendeckende Förderung des Binnengüterverkehrs entschieden hat, will die Cargo- Spitze nichts wissen, und auch nichts von überbrückenden Abgeltungen. Flexible Lösungen scheinen nur Grosskunden erwarten zu können.
Im Konsultationsverfahren, das im Konzern SBB bei einem solchen Abbauprojekt gemäss einer Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern vorgeschrieben ist, hat SBB Cargo die sehr kritische SEVEingabe vom 28. Februar inzwischen beantwortet und sich zur Nachlieferung von noch ausstehenden Informationen verpflichtet. Dies haben der CEO und der Personalchef von SBB Cargo, Nicolas Perrin und Daniel Eigenmann, am letzten Mittwoch bei einer Aussprache mit SEV-Vizepräsident Manuel Avallone und SEV-Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn versprochen.
Eine Sistierung des massiven, übereilten Abbaus von Zustellpunkten, die der SEV vor allem auch mit Blick auf die laufende politische Diskussion über eine verstärkte Förderung des inländischen Schienengüterverkehrs fordert, lehnte die Cargo-Spitze jedoch ab.
Besonders enttäuscht ist Philipp Hadorn, der im SEV für das Dossier SBB Cargo zuständig ist und seit Anfang Jahr im Nationalrat politisiert, darüber, dass die Cargo- Führung nur sehr beschränkt gewillt zu sein scheint, bei umsatzschwachen Zustellpunkten zu Lösungen für die Weiterführung der Wagenzustellung Hand zu bieten. Er hat sogar vielmehr den Eindruck gewonnen, dass SBB Cargo möglichst viele dieser Punkte schliessen und sich auf die Hauptachsen konzentrieren will.
Dazu passt die Mitteilung des Bundesamtes für Verkehr von letzter Woche, dass der Bundesrat «in Übereinstimmung mit der SBB» (!) darauf verzichten wolle, dem Parlament zusätzliche finanzielle Abgeltungen für den Schienenverkehr in der Fläche zu beantragen.
Interpellation
Gefährden Abbaupläne von SBB Cargo die Zukunft des Binnengüterverkehrs auf der Schiene?
Unter diesem Titel hat Philipp Hadorn am 14. März im Nationalrat Fragen an
den Bundesrat eingereicht, zu beantworten bis zur nächsten Session (hier gekürzt):
1. Erachtet der Bundesrat einen flächendeckenden, sicheren und leistungsfähigen
Wagenladungsverkehr als Grundlage für die innovative Bewältigung der Herausforderungen
des (Güter-)Verkehrs in der Schweiz und als Teil des Service public?
2. Welche
Folgen hätte die Umsetzung der vorgeschlagenen Abbauvorhaben von SBB Cargo
auf die Erreichung der Ziele der zu erarbeitenden Gesamtkonzeption für die
Förderung des Schienengüterverkehrs in der Fläche?
3. Inwiefern hätte der Abbau
Folgen für a) die Regionen, b) die Betriebe (verladende Wirtschaft und Transportgewerbe),
c) andere Bahnen, d) die zusätzliche Belastung der Strassen, e) die Sicherheit
der Verkehrsteilnehmenden, f) den Arbeitsmarkt, g) den Verlust des Know-hows
und h) die Schadstoffbelastung/Umwelt?
4. Teilt der Bundesrat die Einschätzung, dass vor wesentlichen Abbaumassnahmen die Gesamtkonzeption abzuwarten ist, damit nicht «Faits accomplis » geschaffen werden, die die Möglichkeit für zukunftsgerichtete Verlagerungsmassnahmen einschränken?
5. Bis wann liegt die Gesamtkonzeption
vor?
6. Wie kann bis dahin die Finanzierung des aktuellen Bedienungsnetzes gesichert werden? Kann die krisengeschüttelte Unternehmung mit einer Erhöhung der Abgeltung für diese Zwischenzeit rechnen?
Wir haben Philipp Hadorn nach dem Spitzengespräch SEV–SBB Cargo gefragt, wie er die Situation einschätzt und wie es nun weitergehen soll.
kontakt.sev: Du hast die Cargo- Führung beim Spitzengespräch also nicht dazu bringen können, das Projekt «Netz» zu sistieren?
Philipp Hadorn: Nein. Aber sie hat natürlich auch nicht erreicht, dass wir es gut finden. Sie hatte ja uns eingeladen, um uns zu überzeugen.
SBB Cargo begründet den Abbau vor allem mit den roten Zahlen beim Wagenladungsverkehr (WLV). Zugleich will das Parlament den Schienengüterverkehr im Inland verstärkt fördern, womit sich die Rahmenbedingungen bis in zwei Jahren verbessern könnten. Liesse sich diese «Durststrecke» durch Abgeltungen überbrücken?
Wir haben angestrebt, dass man in einem gemeinsamen Schulterschluss mit SBB Cargo aktiv werden könnte, um für diese Lücke, bis die vom Parlament geforderte Gesamtkonzeption vorliegt, Finanzierungen für die Defizite zu finden. Aber die Cargo-Führung will das gar nicht. Das hat sie uns klar dargelegt. Sie hat daran kein Interesse, weil sie das aktuelle WLV-Netz gar nicht so weiterführen will.
Angesichts der roten Zahlen ist dies irgendwie verständlich?
SBB Cargo hat überhaupt nicht den Auftrag, im WLV von heute auf morgen schwarze Zahlen zu schreiben. Gemäss der Leistungsvereinbarung der SBB mit dem Bund als Eigner ist ein eigenwirtschaftlicher Bahngüterverkehr nur mittelfristig das Ziel. Es heisst darin explizit: «Sollte sich das bestehende Netz als nicht bedarfsgerecht erweisen, erarbeitet die SBB auf Basis einer verursachergerechten Kostenzuscheidung die Entscheidgrundlagen für eine Erhöhung der Abgeltungen zuhanden des Bundes.» Damit wird SBB Cargo ja eigentlich eingeladen, sich um Abgeltungen zu bemühen. Doch ihre Führung will gar keine Abgeltungen.
Und der Bundesrat will keine beantragen. Könnte das Parlament dennoch kurzfristig Abgeltungen für den WLV sprechen?
Theoretisch schon. Dafür gilt es aber noch einige Lobbyarbeit in- und ausserhalb des Parlamentes zu leisten.
SBB Cargo macht auch geltend, dass sie, wenn sie in ein reduziertes Netz investieren kann, mehr Tonnen auf die Schiene bringe, als wenn sie weiterhin an allzu viele Orte nur wenige Wagen pro Jahr bringen muss?
Ja. Der WLV ist aber auch ein Service public. SBB Cargo könnte durchaus Volumen «bolzen» und daneben weiterhin volumenschwache Punkte in der Peripherie bedienen, wenn es dafür Abgeltungen gäbe, sozusagen als Nischengeschäft neben dem Hauptgeschäft. Sie aber sagt: Nein, das wolle sie nicht, weil die Gelder, die in den öV gehen, quasi fix seien, und wenn SBB Cargo beim Bund Gelder abhole, würden diese an einem anderen Ort fehlen. Diese Abgeltungen müssten aber nicht gezwungenermassen nur vom Bund kommen. Es laufen ja jetzt Preisverhandlungen mit den Kunden: Da können auch zusätzliche Mittel generiert werden. Es gibt zudem Gemeinden, die bereit wären, etwas dazu beizusteuern, um die Bedienung von Punkten weiter sicherzustellen. Und wenn die Kantone ausrechnen, wie viele Lastwagen wegen dieses Abbaus mehr auf die Strasse kämen und was der nötige Strassenausbau kosten würde, sind sie vielleicht bereit, diese Mittel in den WLV zu investieren. Das wäre für sie ein Nullsummenspiel. Ich kann nicht verstehen, dass sich SBB Cargo nicht dafür engagieren will, Abgeltungen hereinzuholen, sondern Punkte nur weiterbetreiben will, wenn sie es quasi tun muss.
Im Moment wird von SBB Cargo nicht kommuniziert, wo die 155 Punkte liegen und wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Wann wird das bekannt?
Zurzeit führt SBB Cargo Gespräche mit den Kantonen und einzelnen Kunden. Sie möchte diesen gerne selbst zuerst die Situation darlegen. In einem gewissen Mass ist das verständlich. Dass sie die kantonalen Karten aber nicht an uns herausgeben will, ist einer Sozialpartnerschaft unwürdig.
Man kann so den Eindruck bekommen, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen. Werden denn die Gemeinden in diese Verhandlungen einbezogen?
Wir haben den Eindruck, dass SBB Cargo sich darum zu wenig bemüht. Einerseits legt sie zwar den Kantonen die Situation dar. Aber mit Gemeinden proaktiv das Gespräch zu suchen, um Lösungen zu finden, widerspricht offenbar dem Willen von Cargo, volumenschwache Punkte möglichst aufzugeben.
Wie viele Stellen sind bedroht?
Es sind Dutzende in zwei Bereichen: Bei Cargo selbst wären von den RCP-Spezialisten (Rangierern) über die Lokführer und Technischen Kontrolleure (TKC) bis zum Büropersonal ziemlich alle Kategorien betroffen. Aber auch in anderen Divisionen wären Stellen betroffen, beispielsweise bei der Instandhaltung in den Industriewerken. Für einen Teil der Berufe ist es einfacher, wieder einen Platz zu finden, für andere ist es sehr schwierig. Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass bei SBB Cargo zurzeit rund die Hälfte des Overheads über 5 Jahre abgebaut werden und so die Strukturkosten schon stark reduziert werden auf Kosten von Stellen.
Du bekämpfst das Projekt «Netz» für den SEV als Nationalrat auch politisch und hast dazu neulich eine Interpellation eingereicht. Was tut der SEV sonst?
Es gibt verkehrs- und umweltpolitische Gründe dafür, dass man diesen Abbau nicht machen darf. Entsprechend finden wir bei andern Verbänden wie dem VCS oder dem Verband der verladenden Industrie (VAP) Verbündete. Aber auch mit den Kantonsregierungen und Regionen gilt es zusammenzuarbeiten, sowie mit Verbänden, die sich für die Strassen einsetzen, denn der zusätzliche Schwerverkehr schränkt den Individualverkehr ein und erhöht die Stau- und die Unfallgefahr. Wenn man auf einer Nebenlinie den Güterverkehr einstellt, steigt zudem die Gefahr, dass die Linie irgendwann auf Bus umgestellt wird – mit entsprechendem Komfortverlust für die Reisenden.
Der SEV schmiedet also politische Allianzen, um möglichst zu intervenieren, bevor die Entscheide von Cargo gefallen sind?
Ja, und auch als Gewerkschaft bekämpfen wir diesen Abbau mit unseren Mitgliedern. Wir haben ja auch schon eine Petition gestartet (bitte unterschreiben!). Dass wir den Abbau beim Overhead mittragen, zeigt, dass wir bei nachvollziehbaren Projekten pragmatisch reagieren und durchaus gewisse Massnahmen mittragen und begleiten, damit man sie sozialverträglich machen kann. Aber dieses Projekt «Netz» mit falschen Entscheidungen im falschen Moment – das gilt es zu verhindern. Jetzt sind wir gespannt darauf, wie unsere Mitglieder reagieren. Ohne ihre aktive Unterstützung werden wir es nicht hinkriegen.
Interview: Markus Fischer
Kunden «lückenhaft informiert»
Der Bundesrat hat nichts gegen die Pläne von SBB Cargo, landesweit 155 Bedienpunkte
zu überprüfen und allenfalls zu schliessen. Damit verärgert er neben dem SEV
auch den Verband der verladenden Wirtschaft (VAP). Dessen Präsident, alt FDP-Nationalrat
Franz Steinegger, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur sda von einem negativen
Signal. Er befürchtet, dass wegen allfälliger Schliessungen Güter vermehrt
auf der Strasse transportiert werden, und bedauert, dass die Betroffenen von
der SBB lückenhaft informiert worden seien. Aus Sicht von Steinegger konzentrieren
sich SBB Cargo und der Bund auf den sehr rentablen Gütertransitverkehr und
vernachlässigen im Gegenzug den Güterverkehr im Inland. «Das derzeitige Problem
betrifft vor allem die kleinen und mittelgrossen Unternehmen in Randregionen.»
sda