Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB)
Unterschreibt die Mindestlohn-Initiative und lasst sie unterschreiben!
Heute Donnerstag, den 31. März, morgen Freitag, den 1. April, und am Samstag, 2. April, sammelt der SEV an verschiedenen Orten Unterschriften für die Mindestlohn-Initiative, die der SGB im Januar lanciert hat. Daniel Lampart erklärt, warum man diese Initiative unbedingt unterschreiben sollte.
kontakt.sev: Die Mindestlohn- Initiative ist am 25. Januar lanciert worden. Wie läuft die Unterschriftensammlung?
Daniel Lampart: Bisher ist das Echo sehr positiv. Unsere Gewerkschaften sagen uns, dass die Initiative den Wind im Rücken hat. Selbstverständlich ist es aber noch zu früh, um Bilanz zu ziehen oder Zahlen über die bisher gesammelten Unterschriften vorzulegen. Die Aktionstage vom 31. März, 1. und 2. April und der 1. Mai sollen Höhepunkte der Unterschriftensammlung werden. Der Tag der Arbeit steht dieses Jahr denn auch unter dem Motto «Lohndruck stoppen – Mindestlöhne jetzt!».
Gibt es Sektoren der Wirtschaft oder Regionen, wo die Initiative besonders Anklang findet?
Unsere Forderung, alle tiefen und mittleren Löhne mithilfe von Mindestlöhnen und eines gesetzlichen nationalen Mindestlohns zu schützen, findet überall Anklang. Es ist aber klar, dass Personen mit tiefen Löhnen – beispielsweise Mitarbeitende der Reinigungsbranche oder von Berg- und Seilbahnen – ein besonderes Interesse daran haben, dass die Initiative durchkommt.
An der SGB-Medienkonferenz zur Lancierung der Initiative im Januar hast du auf eine amerikanische Studie verwiesen, die aufzeigt, dass eine Anhebung der Mindestlöhne zu einer höheren Beschäftigung führt. Wie erklärt sich dieses Phänomen?
Vor der Lancierung der Initiative haben wir etwa hundert Studien zum Thema Mindestlohn angeschaut. Wir haben daraus zwei Schlüsse gezogen: Die Einführung eines Mindestlohns führt dazu, dass das Arbeitseinkommen eindeutig gerechter verteilt wird. Und sie führt nicht zu höherer Arbeitslosigkeit. Eine bestimmte Zahl von Studien geht gar davon aus, dass die Einführung eines Mindestlohns zu mehr Arbeitsplätzen führt.
Und wie ist dies zu erklären?
Wenn man mehr verdient, ist man vielleicht nicht mehr auf einen Zweitjob angewiesen, muss zum Beispiel nicht mehr am Abend als Reiniger/in arbeiten oder am Samstag als Verkäufer/ in. So werden Arbeitsplätze frei für Leute, die bisher arbeitslos gewesen sind. Das ist eine Erklärung. Die Einführung eines Mindestlohns könnte aber auch deshalb zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit führen, weil die Leute mehr Kaufkraft haben, wenn sie mehr verdienen.
Aber wer bezahlt die Lohnerhöhungen, welche die Initiative verursacht, falls sie angenommen wird?
Aus den Studien geht hervor, dass es die Arbeitgeber sind, die zur Kasse gebeten werden. Wie ist dies möglich? Die Unternehmungen, welche vom Lohndruck profitiert haben, haben recht hohe finanzielle Margen realisieren können. Durch unsere Initiative werden sie gezwungen, ihre Margen zu senken.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Einführung eines Mindestlohns die Schwarzarbeit fördert?
Viele Leute befürchten in der Tat, dass die Initiative, falls sie angenommen wird, zu mehr Schwarzarbeit führt. Doch die Einführung eines Mindestlohns geht nicht ohne vermehrte Kontrollen, wie wir sie zu den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit mit der EU eingeführt haben. Es ist klar, dass unsere Initiative ihr Ziel nicht erreichen kann, wenn keine Kontrollen erfolgen.
Wer müsste diese Kontrollen anordnen?
Im Rahmen der Gesamtarbeitsverträge sind die paritätischen Kommissionen dafür verantwortlich, dass die Vertragsbestimmungen umgesetzt werden. Weil die Initiative darauf abzielt, die Präsenz der Gesamtarbeitsverträge in unserer Wirtschaft zu verstärken, werden die paritätischen Kommissionen eine stärkere Rolle spielen müssen. Die Kantone werden ebenfalls verantwortlich sein dafür, darüber zu wachen, dass die Mindestlöhne angewandt werden, denn der Initiativtext fordert: «Die Kantone bezeichnen die Behörde, die für den Vollzug des gesetzlichen Mindestlohnes verantwortlich ist.»
Besteht nicht auch das Risiko, dass bestimmte Unternehmungen ihre Produktion ins Ausland verlagern?
Im Gegenteil. Unternehmungen, die bestimmte Sektoren ihrer Produktion ins Ausland verlagert haben oder beispielsweise die Reinigung ausgelagert haben, werden es wirtschaftlich interessanter finden, diese Sektoren wieder zu integrieren, da sie diese Arbeiten nicht mehr zu Dumpinglöhnen nach aussen vergeben dürfen.
Im Initiativtext steht: «Der Bund kann für besondere Arbeitsverhältnisse Ausnahmeregelungen erlassen.» Welche Ausnahmen sind da gemeint?
Es ist vorstellbar, dass Arbeitnehmende während einer berufsbegleitenden Ausbildung als zu wenig produktiv eingestuft werden, um Anrecht auf den Mindestlohn zu haben. Diese Ausnahme hat aber letztlich vor allem den Arbeitnehmenden zu dienen.
Ein Stundenlohn von 22 Franken genügt in Zürich oder Genf nicht zum Leben.
Die Konsumgüter kosten in der Schweiz mehrheitlich überall gleich viel, beispielsweise die Lebensmittel. Dasselbe gilt für die Sozialversicherungen. Vor allem wegen der höheren Wohnkosten ist das Leben in den grossen Städten aber tatsächlich teurer. Daher sind in diesen Städten auch zwangsläufig die Löhne höher. Der Initiativtext spezifiziert deshalb: «Die Kantone können zwingende Zuschläge auf den gesetzlichen Mindestlohn festlegen.»
Der Initiativtext besagt, dass der gesetzliche Mindestlohn regelmässig an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst wird, und zwar mindestens im Ausmass des Rentenindexes der AHV. Wenn dieser Index aber verschwindet, was ist dann mit der Anpassung des Minimallohns?
Falls wir mit der Forderung nach der Abschaffung des Mischindexes konfrontiert würden, dann würden die Gewerkschaften alles tun, um ein solches Szenario zu verhindern. Solange es in der Schweiz Gewerkschaften gibt, wird es auch einen Mischindex geben! (Der Mischindex berücksichtigt je zur Hälfte die Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise und das Wachstum der Nominallöhne gemessen vom Bundesamt für Statistik seit der letzten Erhöhung der AHV-Renten. Diese werden alle zwei Jahre entsprechend an die Teuerung angepasst – Anm. der Red.)
Könnten Mindestlöhne nicht das Wachstum der Durchschnittslöhne bremsen?
Im Gegenteil. Die Initiative will, dass die Festschreibung von Mindestlöhnen in den Gesamtarbeitsverträgen gefördert wird. Ziel ist, alle tiefen und mittleren Löhne mithilfe der Mindestlöhne zu schützen – was sich auch auf die Durchschnittslöhne positiv auswirkt.
Wird es in der Schweiz weniger Working Poor geben, wenn die Initiative angenommen wird?
Man kann ein/e Working Poor sein, wenn man wenig verdient und allein lebt. Man kann aber auch mit einem mittleren Lohn ein/e Working Poor sein, wenn man eine Familie mit mehreren Kindern unterhalten muss. Im ersten Fall hat die Initiative wirklich eine konkrete Auswirkung: Der oder die Alleinstehende wird genug verdienen, um nicht mehr ein/e Working Poor zu sein. Jene mit einer grossen Familie dagegen werden auch mit einem Stundenlohn von 22 Franken Working Poor bleiben. Sie werden immer noch auf öffentliche Hilfe angewiesen sein, beispielsweise auf Reduktionen der Krankenkassenprämien oder vergünstigte Wohnungen.
Interview: Alberto Cherubini / Fi