Lohnstudie zeigt Missstände im Strassentransportgewerbe auf
Gewerkschaften verlangen GAV und höhere Löhne im Transport- und Logistikgewerbe
Im Strassentransportgewerbe herrscht ein brutaler Preiskampf: Eine Lohnstudie, welche heute in Bern vorgestellt wurde, zeigt die Folgen auf: krasse Tieflöhne trotz überlanger Arbeitszeiten sind in der Branche weit verbreitet. Abhilfe können nur verbindliche Mindestlöhne und ein Branchen-GAV schaffen.
Fast jede/jeder 10. Arbeitnehmende im Transportgewerbe (9%) erhält einen extremen Tieflohn. Das zeigt eine Studie, welche Roman Graf, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Genf, heute im Rahmen einer Medienkonferenz in Bern vorgestellt hat. Die Betroffenen verdienen weniger als 22 Franken pro Stunde und kommen so trotz einer Wochenarbeitszeit von 46 oder gar 48 Stunden auf einen Monatslohn, der nur knapp über 4000 Franken oder sogar noch darunter liegt. Besonders betroffen sind Frauen (16,5%) und Angestellte im Stundenlohn (18,6%).
Vania Alleva, Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Unia, legte an der Medienkonferenz dar, dass die Löhne der Chauffeure und Chauffeurinnen sowie der Logistikmitarbeitenden in den vergangenen zwei Jahrzehnten gesunken sind. Am Beispiel des Luxusgüterkonzerns Gucci, der im Tessin eine Logistikzentrale betreibt, zeigte sie, dass Stundenlöhne von 16 Franken und weniger sogar bei den Branchenleadern üblich sind. «Weil die Arbeitgeber einen GAV verweigern, müssen sie per Gesetz zur Zahlung eines anständigen Minimallohns gezwungen werden», erklärte Alleva und verwies auf die gewerkschaftliche Mindestlohninitiative, die einen Stundenlohn von mindestens 22 Franken verlangt.
Branchen-GAV mit Mindestlöhnen von 4500 bis 5600 Franken
Schuld an der bestehenden Misere in der Transport- und Logistikbranche ist der fehlende Schutz der Arbeitnehmenden durch GAV und verbindliche Mindestlöhne. Dies zeigte der Unia-Branchenverantwortliche Roland Schiesser in seinem Referat auf. Die Unia verlangt darum einen schweizweit gültigen Branchenvertrag, der sich an den heute schon für die Bauchauffeure gültigen Löhnen orientiert: «Wir fordern mindestes 5600 Franken für gelernte Lastwagenfahrer/innen und mindestens 4500 Franken für Lieferwagenfahrer/innen bzw. ungelerntes Hilfspersonal.»
Am Beispiel der PostLogistics AG demonstrierte Fritz Gurtner, Leiter Sektor Logistik von syndicom, dass Transportunternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen angesichts des bestehenden Wildwuchses in der Branche zunehmend unter Druck geraten. Der Wettbewerb werde über die Löhne und die Arbeitsbedingungen ausgetragen, was zu Lohndruck und Prekarisierung führe. Gurtner: «Für syndicom ist es wichtig, dass die Anstellungsbedingungen in der privaten Transportbranche geregelt werden. Nur so kann die Abwärtsspirale bei den Lohn- und Anstellungsbedingen der Chauffeure und Lagermitarbeitenden gestoppt werden. »
Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten der Strasse
SEV-Präsident Giorgio Tuti betonte schliesslich, dass der Preiskampf im Strassentransport auch zu Lasten der Strassensicherheit und des Schienenverkehrs ausgetragen werde. Tuti sprach von einer Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten der Strasse: «Wir müssen dafür sorgen, dass der Strassengüterverkehr in allen Bereichen das Niveau des Schienengüterverkehrs erreicht: Bei den Löhnen, bei den Arbeitszeiten, beim Einhalten der technischen Vorschriften und beim Bezahlen aller verursachten Kosten, zu Gunsten der Arbeitnehmenden und der Allgemeinheit.»
Weitere Auskünfte:
Vania Alleva, Geschäftleitungsmitglied und Sektorleiterin Tertiär der Unia
Giorgio Tuti, Präsident SEV
Fritz Gurtner, Leiter Sektor Post der Gewerkschaft syndicom
Roland Schiesser, Branchenverantwortlicher Transport Unia