Offenbar werden bei der SBB systematisch befristete Anstellungen zur Umgehung der Probezeitregelung ausgestellt. Laut SEV ein unzulässiges Vorgehen.
Alles nur leere Versprechen …
Beim SEV-Rechtsdienst treffen immer wieder entsprechende Anfragen ein. Wir gehen auf einen exemplarischen Fall ein.
Das SEV-Rechtsschutzteam wird vermehrt von Kolleginnen und Kollegen kontaktiert, welche nach der Erst- oder Zweitausbildung oder nach langjährigem Temporäreinsatz lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag erhalten.
Zweitausbildung – und dann?
Extern rekrutierte Mitarbeiter/innen erhalten für die Dauer einer Zweitausbildung (z. B. Reisezugbegleiter/innen, Lokführer/innen, Zugverkehrsleiter/innen) einen befristeten Arbeitsvertrag mit einer Option für die definitive Anstellung nach bestandener Abschlussprüfung. Im nachfolgend
geschilderten Fall – aus Datenschutzgründen leicht verändert dargestellt – entstand ein langwieriger Rechtsstreit, welcher letztlich einvernehmlich gelöst werden konnte. Das Beispiel zeigt aber, dass auch scheinbar klar formulierte Vertragsbestimmungen von der SBB zum Nachteil der Mitarbeitenden interpretiert werden können.
Im konkreten Fall meldet sich Paula beim SEV-Rechtsschutzteam und beklagt sich, bei der praktischen Prüfung vom Experten und auch bei der Nachprüfung unfair beurteilt worden zu sein. Angesichts der nichtbestandenen Prüfung teilte der Vorgesetzte Paula mit, dass die Option, ihr einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten, leider nicht eingelöst werden könne.
Paula verlangte mit Unterstützung des SEV-Rechtsschutzteams beim BAV eine beschwerdefähige Verfügung und reichte eine umfassend begründete Beschwerde ein. Nach mehreren Schriftwechseln traf das BAV rund vier Monate nach der nichtbestandenen Nachprüfung den Entscheid, dass die Nachprüfung als bestanden gelte, und der entsprechende Ausweis ausgestellt werde.
Nach dem gut begründeten und klaren Beschwerdeentscheid des BAV meldeten sich Paula und der SEV bei der SBB und verlangten die Einlösung der Option für die Festanstellung. Völlig überraschend stellte sich der Vorgesetzte auf den Standpunkt, nicht der BAV-Entscheid sei relevant, sondern vielmehr das Urteil des Prüfungsexperten, welcher eine zu hohe Fehlerquote bei der praktischen Prüfung festgestellt habe. Die SBB würde grossen Wert auf Sicherheit und Qualität legen, weshalb Paula trotz offiziell bestandener Prüfung kein Arbeitsvertrag angeboten werde.
Am Schluss ein Vergleich
Paula, welche ihre Anstellung in der Privatwirtschaft zugunsten der Zweitausbildung bei der SBB und der in Aussicht gestellten nachfolgenden Anstellung aufgegeben hatte, glaubte «im falschen Film zu sein». Der SEV verlangte in der Folge erneut eine beschwerdefähige Verfügung und erhob Beschwerde bei der (inzwischen abgeschafften) internen Beschwerdeinstanz. Paula, vom langwierigen Streit inzwischen zermürbt und von der SBB als möglicher Arbeitgeberin enttäuscht, stimmte schliesslich einem Vergleich zu.
Was ist eine Option?
Im Vertrag steht: «Bei erfolgreichem Ausbildungsabschluss besteht die Option der Weiterbeschäftigung gemäss Anhang 1 GAV. Bei Nichtbestehen der Zweitausbildung prüft die SBB eine Verlängerung des Vertrages. Bei Nichtbestehen der allfälligen Nachprüfung läuft das Anstellungsverhältnis aus.»
Der Vorgesetzte stellte sich trotz bestandener Nachprüfung auf den Standpunkt, dass der Begriff «Option» kein Versprechen für eine Anstellung darstelle. Vielmehr handle es sich dabei um eine unverbindliche Möglichkeit, welche die SBB nicht zwingend wahrnehmen müsse.
Da die Vertragsbestimmung einzig das Bestehen der Ausbildung als Anstellungsbedingung nannte, vertrat der SEV die Meinung, dass die Option in einem solchen Fall zwingend einzulösen sei. Laut Duden bedeutet der Begriff «Option» eine «Voranwartschaft auf Erwerb …» einer Sache.
Das SEV-Rechtsschutzteam erachtet die Interpretation der SBB dieser Vertragsbestimmung nicht nur als rechtswidrig, sondern auch als gefährlich. Gefährlich deshalb, weil die Unter-nehmung zunehmend auf dem externen Arbeitsmarkt neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Zweitausbildungen rekrutiert. Falls sich herumspricht, dass auch eine bestandene Abschlussprüfung keine Garantie für eine anschliessende Anstellung bildet, werden es sich potenzielle Eisenbahner und Eisenbahnerinnen wohl zweimal überlegen, ob sie ihre Anstellung für einen unsicheren Wechsel zur SBB aufgeben sollen.
Rechtsschutzteam SEV