Auf den Spuren von ...
Ueli Müller, Moonliner-Pilot
Ueli Müller ist Buschauffeur bei der STI Bus AG. Meistens ist er in der Region Thun unterwegs, oft auch spät in der Nacht. Seit vielen Jahren ist er aktiv im SEV und im Moment Zentralsekretär des Unterverbands VPT. Eine Fahrt mit dem Nachtbus von Thun nach Bern und wieder zurück.
Es ist kurz vor Weihnachten auf dem Bahnhofplatz Thun. Viele Menschen feiern den Ferienanfang oder sind auf dem Nachhauseweg von einem Weihnachtsessen. Ueli Müller bereitet sich auf die Fahrt des ersten Nachtbusses, des «Moonliners» von Thun nach Bern, vor. Er sitzt im Aufenthaltsraum im STI-Ticketshop-Häuschen und trinkt einen Kaffee. «Am Morgen sind die meisten Fahrgäste unterwegs, weil sie irgendwohin müssen, sei es zur Arbeit, in die Schule oder zu sonst einem Termin. Weil sie etwas müssen, sind viele ein bisschen mürrisch. Jetzt, mitten in der Nacht, ist es genau umgekehrt. Die Leute sind fröhlich, die Stimmung ist ausgelassen und alle sind wahnsinnig froh, dass sie jemand um diese Zeit in der Wärme des Busses nach Hause bringt», erzählt er. «Als ich vor zehn Jahren begann, Moonliner zu fahren, stellte ich mir das völlig anders vor. Ich habe befürchtet, die meisten Leute seien betrunken und würden Probleme bereiten. Betrunken sind zwar viele, doch sie sind sehr angenehm.» Deshalb liebt es Ueli Müller, regelmässig am Steuer des Nachtbusses zu sitzen.
0.50 Uhr Abfahrt des Moonliners M15
«Nach Mitternacht sind die Leute am freundlichsten. Tagsüber oder am Abend erlebe ich zuweilen aggressives Verhalten. Aber darauf bin ich vorbereitet.» Die STI organisiert zusammen mit Bernmobil sogenannte Deeskalationskurse. Ueli Müller hat dort genau gelernt, was er tun kann und auch was er tun darf. «Wenn einer im Bus einschläft, darf ich ihn nicht anfassen, um ihn zu wecken. Ich muss dann sachte am Sitz rütteln und hoffen, dass ihn das weckt.»
Der Moonliner fährt mit gut einem Dutzend Reisenden durch Steffisburg, Heimberg und Wichtrach nach Münsingen. «An meinem Beruf liebe ich besonders, dass ich sehr selbstständig bin und keinen Chef habe, der ständig neben mir steht. Zum Chef muss ich nur bei Problemen, was zum Glück sehr selten vorkommt», erzählt Ueli Müller, der ursprünglich Fahrlehrer war und dann bei der Auto AG Schwyz das Handwerk des Buschauffeurs erlernte, bevor er im Berner Oberland landete.
1.15 Uhr Münsingen, Dorfplatz
In Münsingen füllt sich der Bus plötzlich. «Irgendwo in der Nähe muss es eine grosse Party geben», sagt Ueli Müller. «Ich bin eher ein Nachtmensch, folglich habe ich kein Problem mit Spätschichten. Früher musste ich häufiger Frühschichten übernehmen. Das habe ich körperlich gespürt. Jetzt fahre ich in der Regel erst später im Tag. Für mich überwiegen die Vorteile. Zum Beispiel ist der Verkehr am Abend und in der Nacht viel ruhiger. Es gibt keinen Stau, der mich stresst. Dafür muss ich aufpassen, dass ich alles gut sehe und nicht plötzlich jemanden, der dunkle Kleider trägt, vergesse mitzunehmen.
1.45 Uhr Bern, Bahnhof
In Bern angekommen, rufen die Leute laut «Danke» und wünschen frohe Weihnachten, bevor sie aussteigen. Der Aufenthalt ist nur kurz und schon füllt sich der Bus wieder.
Ueli Müller liebt die Wertschätzung, die er tagtäglich in seinem Beruf erlebt. Damit das auch so bleibt, engagiert er sich in der Gewerkschaft. «Vor 25 Jahren trat ich dem SEV bei. Drei Stunden nachdem ich Mitglied geworden war, hatte ich zum ersten Mal einen Personenunfall. Es ging zwar glimpflich aus, doch ich war froh, dass ich den SEV-Rechtsschutz im Rücken hatte.» Er engagiert sich im Unterverband VPT, wo er als Zentralsekretär im Vorstand sitzt. Neben dem Rechtsschutz ist ihm auch der GAV sehr wichtig. «Dank der Gewerkschaft können wir auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber verhandeln. Unser Beruf hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Wir müssen heute fast immer erreichbar sein. Darum müssen wir gute Regeln aushandeln. Das gelingt nur dank einer funktionierenden Sozialpartnerschaft.»
2.35 Uhr Thun, Bahnhof
Die letzten Gäste steigen am Bahnhof Thun aus. Jetzt überprüft Ueli Müller den Bus. «Als die Leute noch spezielle Moonliner-Tickets kaufen mussten, stiegen sie vorne ein. Ich konnte einschätzen, ob es jemandem nicht mehr so gut ging, und ich konnte ihm oder ihr eine Tüte für allfällige Notfälle mitgeben. Heute steigen alle hinten ein und ich muss nach der Fahrt schauen, ob alles sauber geblieben ist.» Tatsächlich ist alles sauber im M15. Der Bus steht bereit für die nächste Fahrt und für die Ablösung. Ueli Müller macht jetzt Feierabend und freut sich auf die Nachtschicht an Silvester.
Michael Spahr