Aggressionen (8)
«Der Passagier versuchte mich zu schlagen»
Wüste Beschimpfungen, Griffe an den Hintern oder die Faust ins Gesicht. Das sind die Erfahrungen, die Mitarbeitende des Zugpersonals machen, während sie «nur» ihre Arbeit ausüben. Manchmal ist die Ursache eine Nichtigkeit, die mit einem Polizeieinsatz endet. Zwei Zugbegleiterinnen eines Schweizer Bahnunternehmens berichten, was sie erlebt haben.

«Man wird beleidigt, dass man unfähig sei und die Verspätungen zu verantworten habe. Wir werden runtergeputzt, für Dinge, für die wir nichts können.» Es ist oft diese psychische Gewalt, die Regina als Kundenbegleiterin erlebt.
Ein grosses Problem, so berichtet das Personal regelmässig, ist die Sexualisierung von Zugbegleiterinnen durch Männer. So erzählt Regina, dass ein Mann sie bei der Ausführung ihrer Arbeit schon gefragt habe, warum sie keinen Rock trage. «Wenn ich hier Chef wäre, würden alle Frauen einen kurzen Rock tragen, man möchte schliesslich etwas zum Anschauen haben», habe er ihr gesagt. Doch das sei nicht alles, betont die Zugbegleiterin: «Es gab auch Fahrgäste, die mir absichtlich an den Hintern griffen.»
Bis zum Polizeieinsatz
Ein Vorfall steckt Regina immer noch in den Knochen. «Es ist das Schlimmste, was ich je erlebt habe und auch zur Anzeige gebracht habe.» Ein Herr wollte am Bahnhof von ihr eine Auskunft haben. Dabei sei er bereits durch seine Aggressivität aufgefallen. «Er hat mich beleidigt. So ging es auch im Zug weiter. Auch dort schrie er, er mache mich fertig und ich könne ja nichts», erzählt die junge Zugbegleiterin. «Dann plötzlich holte er mit der Hand aus. Ich war mir in diesem Moment nicht sicher, ob er schlagen wollte oder ob diese Handbewegung nur ein Anzeigen seiner Aggressivität war.» Sie habe in diesem Moment nur noch zurückweichen können und dem Mann deutlich gesagt, dass dies so nicht gehe, erzählt sie weiter.
Am Ende musste eine Polizeipatrouille einschreiten, die von der Zugbegleiterin herbeigerufen wurde. «Selbst als die Polizei da war, blieb der Mann äusserst aggressiv.» Über das Erlebte kann sie nur den Kopf schütteln, denn es ging nur um ein 14-fränkiges Velobillett.
Am Kragen gepackt
Ebenfalls von einem einschneidenden Erlebnis berichtet die junge Zugbegleiterin Andrea. Es geschah bei einer täglichen Billettkontrolle. Ein Passagier konnte sein Halbtax nicht vorweisen, das er nach seinen Angaben vergessen hatte. Als ihn die Zugbegleiterin darauf ansprach, sei er aggressiv geworden, erzählt sie. «Plötzlich stand der Mann auf und packte mich am Jackenkragen. Der Passagier versuchte mich zu schlagen, doch es gelang mir, ihn von mir zu weisen.»
Die Erinnerung an diesen Vorfall löst noch heute ein unangenehmes Gefühl aus. «Ich habe mich nach diesem Vorfall sehr schlecht gefühlt. Denn ich habe nur meinen Job gemacht. In meinen Augen verhielt ich mich gegenüber dem Fahrgast korrekt. Ich kann nicht verstehen, warum man wegen einer so kleinen Sache so austicken kann», erklärt die Zugbegleiterin.
Nach ihrer Ansicht haben solche Fälle zugenommen, vor allem die verbale Gewalt nehme massiv zu. «Die Hemmschwelle ist einfach sehr tief», betont Andrea. Diesen Eindruck bestätigen auch andere Zugbegleitende. Insbesondere während und nach Corona habe sich die Situation massiv verschärft. Beide Zugbegleiterinnen kamen bei ihren Vorfällen noch mit dem Schrecken davon. Doch nicht immer gelingt es den Zugbegleitenden, die Situation zu deeskalieren.
Straftat mit Folgen
Bei einem Fall, der vor wenigen Jahren geschah, schlug ein Passagier den Zugbegleiter so heftig ins Gesicht, dass dieser bewusstlos zu Boden fiel und schwere Schäden am Kopf und im Gesichtsbereich davontrug. Noch heute leidet der mittlerweile pensionierte Zugbegleiter an den Folgen dieses Gewaltdelikts.
Renato Barnetta
25 Jahre Charta gegen Gewalt
Am 25. November 2025 feiern der SEV und die Sozialpartner 25 Jahre Unterzeichnung der ersten Charta gegen Gewalt im öffentlichen Verkehr. Im Jubiläumsjahr hat der SEV die Charta erneuert. Rund 50 Transportunternehmungen haben die neue Charta inzwischen unterzeichnet oder werden sie am Jubiläumsanlass feierlich unterschreiben.
Kommentare
Jean-Pierre Blunier 20/11/2025 17:39:44
Als ehemaliger Zug -Chef S Bahn in den Jahren 2003 bis zur Aufhebung dieses Konzeptes im ZVV hatten wir vor allem in der primären Phase mit unzähligen Übergriffen, Pöbeleien und Tätlichkeiten zu kämpfen. Dies weil die S-Bahnen seit der Einführung nicht, oder nur im "Stich"
ÜBER Jahre kontrolliert wurden. Es besserte sich dann als diverse Anzeigen wegen Tätlichkeiten usw gegen die Zugbegleiter realisiert wurden und bei den einschlägigen "Elementen" Wirkung zeigten..(Gewalt gegenüber Behörden und Beamten) es kam dann auch zu diversen Verurteilungen. Zur Zeit scheint sich die Situation wieder zu verschlechtern. Ich kann höchstens Vorschlagen, dass die alten Massnahmen lückenlos und festgehalten werden, also den Zugbegleiter/Innen. Form S wenn es das noch gibt. Jede verbale Bedrohung, sowie Tätlichkeit sowieso zur Anzeige bringen. Festhalten der Daten des Fahrgastes wenn möglich. Bei Tätlichkeiten nie Zögern die Kameras, wenn vorhanden auswerten zu lassen, und Anzeige erstatten. Abend, Wochenende immer mindestens zu ZWEIT die Fahrausweiskontrolle durchführen.