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AUF DEN SPUREN VON …

Natalie Zysset, Lokführerin und technischer Support

Die ehemalige Lehrerin Natalie Zysset ist Lokführerin bei der SBB und arbeitet auch beim technischen Helpdesk «First Level Support Traktion». Sie ist Mitglied des SEV und engagiert sich im Vorstand des LPV Bern. Wenn sie nicht für die Bahn arbeitet, ist sie oft velofahrend, kletternd oder Vögel beobachtend in der Natur unterwegs.

«Ich bin für die Reisenden da. Und die profitieren, wenn wir gute Arbeitsbedingungen haben.»

Natalie Zysset sitzt im Führerstand eines Re-460-Pendels. Es ist Auffahrt und sie fährt Reisende von der Deutschschweiz in die Romandie. «Ich habe mich immer für technische Sachen interessiert und bin zum Beispiel als Verpackungstechnologin schnuppern gegangen», erzählt die 38-Jährige, «doch am Schluss habe ich mich fürs Gymnasium entschieden und nach der Matura die Ausbildung zur Lehrerin gemacht.» Nach dem Studium unterrichtete sie drei Jahre lang an einer Schule im Berner Länggasse-Quartier, bis sie merkte, dass sie diesen Beruf eigentlich nicht bis zur Pension machen wollte.

Zufälligerweise gab es neben ihrer Schule ein Berufsinformationszentrum (BIZ), und dort entdeckte sie ein Buch mit Berufen für Erwachsene. «Dort habe ich den Beruf Lokführerin gefunden, der mich sogleich fasziniert hat. Dann habe ich einen Lokführer kennengelernt, bei dem ich mal mitfahren konnte. Mir war sofort klar, diesen Beruf will ich lernen.» Nun arbeitet sie seit 12 Jahren bei der SBB. 35 % ihrer Arbeitszeit ist sie als Lokführerin unterwegs, 50 % ist sie beim First Level Support Traktion. Dort unterstützt sie Lokführerinnen und Lokführer telefonisch bei technischen Problemen mit Triebfahrzeugen. Sie hilft bei der Störungssuche und gibt Anweisungen, wie sie die Fahrzeuge wieder zum Laufen bringen. «Für mich ist das perfekt, weil ich sowohl meine kommunikative als auch meine pädagogische Erfahrung einsetzen kann.»

Unregelmässige Arbeitszeiten

«Oh, ein Fuchs», ruft Natalie Zysset und lacht. Offensichtlich liebt sie ihre Arbeit und das strahlt bis weit über den Führerstand hinaus. Eine Wandergruppe, die bei einem Bahnübergang wartet, bis die Schranke wieder hochfährt, winkt ihr zu. «Es gibt vieles, was ich an meiner Arbeit liebe. Die unregelmässigen Arbeitszeiten gefallen mir. Und am Abend ist Schluss und ich muss meine Arbeit nicht mit nach Hause nehmen.» Die Arbeitszeiten liebt sie, weil es ihr viel Zeit gibt, ihren Hobbys in der Natur nachzugehen. Entweder kümmert sie sich um ihren Schrebergarten, beobachtet Vögel, klettert auf Berge oder fährt Rad. «Kürzlich war ich mit dem Velo in Frankreich unterwegs. Dort gibt es wunderschöne Velorouten, gebaut auf ehemaligen Bahntrassen. Als ich meinen Lokführerfreunden Bilder geschickt habe, dachten sie, ich sei verrückt.»

Sowohl als Lokführerin als auch als Mitarbeiterin des technischen Supports gehört sie als Frau zu einer kleinen Minderheit bei der SBB. «Ich war überrascht, wie gut ich aufgenommen wurde. Ich habe erwartet, dass es Widerstand geben könnte. Insbesondere dann, wenn ich einem Mann beim Support vorschreibe, wie er ein technisches Problem lösen muss. Doch es gab kaum Widerstand. Ich wurde als Frau relativ rasch akzeptiert.» Natürlich gibt es manchmal im Pausenraum Diskussionen, wenn sie in der Männerrunde feministische Themen anspricht. Doch im Grossen und Ganzen gehöre es bei der SBB mittlerweile zur Normalität, dass Frauen als Lokführerin unterwegs sind.

«Der Bahnmarkt darf nicht liberalisiert werden!»

«Gewerkschaftliches Engagement ist mir sehr wichtig. Schon als Lehrerin war ich in der Gewerkschaft. Als ich Lokführerin wurde, war es für mich selbstverständlich, dem SEV beizutreten. In einem Beruf, in dem der GAV so eine zentrale Rolle spielt, ist es wichtig, dass wir als Mitarbeitende stark und gut organisiert sind», sagt Natalie Zysset. Sie ist im Vorstand des LPV Bern, wo eine sehr gesellige und freundschaftliche Atmosphäre herrscht. «Mir ist es wichtig, die Probleme der Kolleginnen und Kollegen aufzunehmen und etwas dagegen zu unternehmen.» Es sind nicht nur Alltagssorgen, die sie beschäftigen, sondern auch die politische Gesamtsicht. «Die Liberalisierung ist mein Todfeind. Wir müssen alles tun, damit der öffentliche Verkehr nicht dem Markt überlassen wird. Wir müssen dem Gemeinwohl dienen und nicht den Profitinteressen ein paar weniger.» Von einer Konkurrenzsituation profitiere am Schluss niemand, es führe eher zu einer «Lose-Lose-Situation». «Ich bedauere es, dass wir in Bern nicht gleichzeitig für die SBB und die BLS arbeiten können. Davon würden am Schluss alle profitieren. Es gäbe mehr Abwechslung und es würde sich wahrscheinlich auch wirtschaftlich lohnen. Konkurrenz bringt uns nichts.»

«Wenn ich etwas verändern könnte, würde ich gerne die Lehmschicht durchbrechen, die bei der SBB zwischen dem Kader und den Mitarbeitenden an der Front existiert. Wir sollten alle viel enger zusammenarbeiten, statt gegeneinander. Da ist noch sehr viel Luft nach oben.»

Jetzt freut sie sich auf einen Kaffee in Genf und fügt augenzwinkernd an: «Auch das liebe ich an meinem Job. Mal schnell auf einen Kaffee nach Genf fahren und dafür bezahlt werden, das kann nicht jede.»

Michael Spahr