Am Genfersee werden Lokführer angegriffen – und die SBB zieht die Sicherheitsleute von den Problemzügen ab
Die SBB opfert die Sicherheit
Auf den späten und frühen Interregio- und Intercityzügen am Genfersee wird neben dem Zug- auch das Lokpersonal zunehmend angegriffen. Ende Oktober wurde in Vevey ein Lokführer mit einem Messer bedroht. Der SEV fordert zusätzliche Sicherheitsmassnahmen. Doch die SBB will die Sicherheitsleute, die seit 2009 Problemzüge begleiten, einsparen.
Am Sonntagmorgen, 25. Oktober, bleibt der RegioExpress Vevey–Genf wegen der Umstellung auf die Winterzeit in Vevey eine Stunde stehen. Das ärgert einige Reisende, und sie beginnen um 2.14 Uhr eine Schlägerei. Der Lokführer öffnet das Fenster des Führerstands und will ihnen beruhigend zureden, doch ein Mann schlägt mit einer kaputten Flasche gegen das Fenster, zückt ein Messer und droht: «Wir bringen dich um!» Der Lokführer ruft die Polizei und beherbergt in der Kabine auch eine verängstigte Familie. Nach wenigen Minuten ist eine Streife zur Stelle, macht Personenkontrollen, nimmt jedoch niemanden fest. Der Lokführer fährt zwar noch bis Dienstende weiter, muss sich aber für ein paar Tage krankschreiben lassen.
Wenige Nächte später schlagen Passagiere in Coppet gegen 1Uhr morgens heftig auf den Führerstand des Lokführers ein, der den Zug wegen Radaus und Haschischrauchs gestoppt und die Polizei alarmiert hat.
Während das Blockieren der Türen, verbale Aggressionen und Steinwürfe für das Lokpersonal fast zum Alltag gehören, sind physische Angriffe und Todesdrohungen wie in Vevey eine traurige Premiere.
SBB will Sicherheitskräfte aus den Zügen zurückziehen
Der «Matin Dimanche» berichtete am 8. November über diese Übergriffe und zitierte SBB-Sprecher Philippe Schmidt wie folgt: «Es ist ein ständiger Kampf. Seit mehreren Jahren haben wir vor Ort umfassende Massnahmen getroffen. Sicherheitskräfte begleiten an Wochenenden gewisse Früh- und Spätzüge, neben Patrouillen der Transportpolizei und Sicherheitsleuten in den Bahnhöfen. Manchmal patrouillieren in Zügen zudem Grenzwächter/innen, und die kantonalen Polizeikorps sind auch präsent.»
Schmidt schien nicht zu wissen, dass die SBB tags darauf ihren Sozialpartnern mitteilen würde, dass sie diese «umfassenden Massnahmen» ab 2016 aus Spargründen aufheben wolle: Geplant ist der «Verzicht auf die Begleitung kritischer Frühzüge durch Sicherheitskräfte», wie die Geschäftsleitung Verkehrsmanagement am 11.November ihren Mitarbeitenden schrieb. «Nicht betroffen sind die zuschlagspflichtigen RE-Nachtverbindungen Luzern–Zürich–Luzern am Wochenende.»
Die Begleitung der Problemzüge durch Sicherheitsleute war eines der wichtigsten Ziele, die das Zugpersonal 2009 mit seiner Mobilisierung für verstärkte Massnahmen gegen die Gewalt im öffentlichen Verkehr erreicht hat. Damals trugen viele Zugbegleiter/innen Armbinden mit der Aufschrift «Stopp Aggression». Der Entscheid der SBB, diese Begleitungen abzuschaffen, wird von den Kolleg/innen wie ein Messerstich in den Rücken empfunden. «Diese Ankündigung hat uns sehr überrascht, denn bisher hat die SBB stets versichert, nicht bei der Sicherheit sparen zu wollen», sagt Pascal Fiscalini, Vizezentralpräsident des SEV-Unterverbands des Zugpersonals ZPV. «Wir befürchten, dass damit die Übergriffe zunehmen, und zwar auf das Personal wie auch auf die Reisenden. Dies ist ein Rückschritt um 15 Jahre!»
Auch SEV-Gewerkschaftssekretär Jürg Hurni ist erzürnt: «Die SBB kennt die Situation in den kritischen Zügen, und trotzdem spart sie bei der Sicherheit. Damit setzt sie die Gesundheit der Mitarbeitenden und der Reisenden aufs Spiel!»
Als Erstes schreibt der ZPV nun den SBB-Verantwortlichen einen Brief, um sie zur Rücknahme dieser Sparmassnahme zu bewegen. Falls das nicht fruchtet, sind die Armbinden schnell hervorgeholt …
Vivian Bologna/Fi