Die Mindestlohninitiative verlangt faire Löhne für faire Arbeit
Vom Lohn seiner Arbeit muss man leben können
Mit Schwarzmalerei und Falschrechnerei und mit sehr viel Geld kämpfen die Arbeitgeber gegen die Mindestlohninitiative. Doch ehrliche Argumente sucht man vergebens. Man merkt: Etliche Arbeitgeber haben Angst um den Profit. Denn ein Mindestlohn von 4000 Franken ist möglich, und er ist nötig.
Seit Monaten hängen die Plakate gegen die Mindestlohninitiative, in Zeitschriften und Zeitungen erscheinen neben Inseraten auch zahlreiche Artikel und Gefälligkeitsinterviews, in denen sich die Arbeitgeber gegen die Mindestlohninitiative aussprechen. Wer die «Argumente» liest, hat ein Déjà-vu: Das sind doch genau die gleichen Behauptungen, die jedes Mal wieder hervorgeholt werden, wenn die Gewerkschaften mehr soziale Gerechtigkeit fordern: Mit Arbeitsplatzverlust wird gedroht, mit der Abwanderung von Firmen, mit sinkenden Löhnen. Und natürlich wird die Wirtschaftsfreiheit beschworen.
4000 Franken sind möglich
Wer genauer hinschaut, merkt: Es sind vor allem leere Behauptungen, garniert mit ordentlich Ideologie. Im «Schweizer Arbeitgeber», der Zeitschrift des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, liest man einige bemerkenswerte Fakten, die wir nicht bestreiten wollen und hier gern zitieren: «Fast jede fünfte erwerbstätige Frau verdiente [im Jahr 2010] – umgerechnet auf eine Vollzeitstelle – weniger als 4000 Franken.» Für uns ein Beweis, dass es den Mindestlohn braucht, um mehr Lohngerechtigkeit zu erzielen. Weiter steht da, dass rund die Hälfte der Tieflohnstellen «auf die vier Wirtschaftszweige Detailhandel, Gastronomie und Beherbergung, Gebäudereinigung sowie Garten- und Landschaftsbau» entfalle. Daneben seien Coiffeursalons oder Wäschereien besonders stark betroffen.
Warum behaupten dann die Arbeitgeber, ein Mindestlohn von 4000 Franken führe zu Stellenexport? Müssten wir alle im Ausland zum Coiffeur, in die Beiz, und würden sogar unsere Treppenhäuser zum Putzen ins Ausland gebracht? Bei den Arbeitgebern hat sich auch herumgesprochen, dass ein Drittel der Tieflohnbezüger/innen einen Lehrabschluss haben – doch sie behaupten weiterhin, eine Ausbildung müsse sich lohnen. Dass der Anteil an Tieflohnstellen im Tessin bei einem Viertel liegt, in der Nordwestschweiz dagegen bei einem Zwölftel, spricht dafür, dass der Mindestlohn die Wirtschaft nicht schwächen, sondern stärken würde. Schliesslich entnimmt der «Arbeitnehmer» der Statistik, dass mehr als die Hälfte der Tieflohnempfänger/innen seit weniger als drei Jahren in der gleichen Firma tätig waren. Kunststück: Eine so miserabel bezahlte Stelle verlässt man möglichst schnell! Deshalb wissen gewitzte Arbeitgeber, dass fair entlöhnte Angestellte gute und treue Angestellte sind – Fairness zahlt sich aus! Wir wollen nicht verschweigen, dass es auch Arbeitgeber/innen gibt, die in ihren Betrieben längst einen Mindestlohn von 4000 Franken eingeführt haben – und damit gut fahren.
Problemfall Bergbahnen
Ausführlich widmet sich der «Arbeitgeber» der MEM-Industrie und behauptet, die Gewerkschaften würden den Mitte Mai 2013 abgeschlossenen GAV «auf gesetzlichem Weg wieder aushebeln wollen», vergessen aber, dass die Initiative früher eingereicht wurde und der GAV auch auf deren Druck ausgehandelt werden konnte. Der MEM-GAV erfüllt übrigens entgegen der Behauptung die Mindestlohnforderung bereits weitgehend, nur im Jura und im Tessin liegt er darunter, allerdings «nur» noch um 2,6 % (bei 21.45 pro Stunde). Rechnen scheint nicht die Stärke aller Arbeitgeber zu sein. Ein Mindestlohn von 4000 Franken ist möglich. In der Gastronomie ebenso wie im Detailhandel – während der Abstimmungskampagne haben Lidl, Aldi und jüngst H&M ihre Löhne auf die «magische» Grenze gehoben.
Auch in der Transportbranche ist dieser Lohn möglich — leider aber noch nicht überall umgesetzt, wie der Lohndumpingversuch bei den Briger Lokführern oder Löhne bei gewissen Bergbahnen zeigen. Deshalb sollten auch alle SEV-Mitglieder, alle Kolleg/innen im öffentlichen Verkehr, mit Überzeugung am 18. Mai ein Ja in die Urne legen – ein Zeichen der Solidarität mit ihren Kolleg/innen.
GAV oder Mindestlohn
Die Mindestlohninitiative will, dass der Bund und die Kantone die orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne schützen. Zu diesem Zweck fördern sie den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen. Wo es keinen GAV gibt, gilt der Mindestlohn: In der Schweiz darf kein Vollzeit-Lohn unter 4000 Franken liegen. Es darf in der Schweiz keine «working poor» (Arme trotz Arbeit) geben.
Ein Fachrichter, der als Arbeitnehmer-Vertreter an einem Arbeitsgericht tätig ist, äussert sich gegenüber kontakt.sev deutlich: «Wenn in einem allgemeingültig erklärten Gesamtarbeitsvertrag ein Mindestlohn festgeschrieben ist, haben wir es am Gericht meist einfach: Wir können den Arbeitgeber/innen, die manchmal nur ein oder zwei Angestellte haben oder nur temporär jemanden anstellen, aufzeigen, dass sie gegen das Gesetz verstossen. Deshalb bin ich klar für einen Mindestlohn!»
Peter Anliker
Vier wichtige und gute Gründe für den Mindestlohn
- Der Mindestlohn ist nichts als gerecht. Wer voll arbeitet, soll davon auch voll leben können. Das müsste eigentlich selbstverständlich sein. Tieflöhne widersprechen diesem Grundsatz. Eine Familie lässt sich mit einem Einkommen unter 4000 Franken nicht ernähren, und bei ausserordentlichen Auslagen wird es rasch eng. In der Schweiz verdienen besonders viele Frauen weniger als 22 Franken pro Stunde. Der Mindestlohn fördert deshalb auch die Lohngleichheit. Ausserdem ist er ein Mittel gegen den unlauteren Wettbewerb von Firmen, die sich mit Lohndumping einen Vorteil verschaffen wollen.
- Der Mindestlohn verteilt den Wohlstandskuchen besser. Die Schweizer Wirtschaft ist in den letzten Jahren stark gewachsen, auch die Produktivität nahm zu. Viele Angestellte konnten davon aber kaum profitieren. Zwischen 2002 und 2010 stieg der mittlere Lohn nur um 3,5 Prozent, während die obersten Kaderlöhne um 14 Prozent zulegten und die Aktionäre hohe Gewinne einstrichen. Inhaber von Firmen, die ihren Beschäftigten in den Schweizer Filialen Tieflöhne zahlen, besitzen selber Milliardenvermögen. Dank des Mindestlohns fällt für die hart arbeitenden Beschäftigten am anderen Ende der Skala etwas mehr ab als bisher.
- Der Mindestlohn entlastet den Staat. Tieflöhne drängen viele Betroffene in die Sozialhilfe ab. Das belastet die öffentliche Hand, die für zu niedrige Löhne geradestehen muss. Der Mindestlohn bremst diese ungesunde Entwicklung. Er sorgt für existenzsichernde Saläre und entlastet so die staatliche Sozialhilfe. Laut einer neuen Studie spart diese dadurch jedes Jahr 100 Mio. Franken. Ausserdem: Dank der steigenden Lohnsumme nehmen die Sozialversicherungen 300 Mio. Franken mehr ein. Und die Steuererträge steigen um 173 Mio. Franken.
- Der Mindestlohn kurbelt die Wirtschaft an. Dank der etwas höheren Löhne steigt auch die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das fördert die Nachfrage nach Konsumgütern, wirkt sich positiv auf die Konjunktur aus und schafft so wiederum neue Arbeitsplätze.