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Recht auf Nichterreichbarkeit
Smartphones, E-Mails und Instant Messaging begleiten uns überall und jederzeit. Wir sind ständig online, und die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmt zunehmend. Sich abzukoppeln ist jedoch kein Luxus, sondern eine wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung der psychischen Gesundheit und die Einhaltung der gesetzlich garantierten Ruhezeiten.
In der Schweiz enthalten sowohl das schweizerische Arbeitsgesetz (ArG) als auch das Arbeitszeitgesetz (AZG) Bestimmungen über Pausen, Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten. Diese Vorschriften dienen dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden und sollen sicherstellen, dass sie sich zwischen den Arbeitszeiten tatsächlich erholen können. Während dieser Ruhezeiten darf der Arbeitgeber nicht verlangen, dass ihm die Arbeitnehmenden zur Verfügung stehen.
Das Obligationenrecht (OR) verpflichtet den Arbeitgeber zudem, die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu schützen (Art. 328 OR), was auch den Schutz ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit umfasst. Verlangt der Arbeitgeber eine ständige Verfügbarkeit, stellt dies einen Verstoss gegen diese Pflicht dar. Trotzdem bleibt das «Recht auf Nichterreichbarkeit» oft theoretisch, da die digitalen Möglichkeiten die ständige Erreichbarkeit auch ausserhalb der Arbeitszeiten fördern.
Im Bereich des öffentlichen Verkehrs sind die Mitarbeitenden sehr pflichtbewusst, aber die Ruhezeiten gehören ihnen: Diese dürfen ohne Ausgleich weder verkürzt noch eingeschränkt werden, und der Ausgleich muss kollektiv mit der Gewerkschaft ausgehandelt werden.
Der SEV hat in Art. 61 Abs. 3 des GAV SBB einen konkreten Schutz der Nichterreichbarkeit erreicht: «Die SBB respektiert das Recht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie ausserhalb der Arbeitszeit nicht erreichbar sein müssen. Abweichende Bestimmungen aufgrund betrieblicher Erfordernisse werden separat geregelt.» Diese Bestimmung gewährt also explizit das Recht auf Nichterreichbarkeit, diese ist die Regel. Pikett oder dringende betriebliche Bedürfnisse sind die Ausnahme – und müssen gerechtfertigt und kompensiert werden und vom GAV vorgesehen sein.
Das Recht auf Nichterreichbarkeit schützt dich vor einer Gefährdung von Gesundheit und Sicherheit. Ausländische Untersuchungen zeigen auf, dass die Produktivität und die Qualität der Arbeit steigen, wenn Angestellte sich wirklich abkoppeln können. In Frankreich verlangt ein Gesetzesartikel, dass jede Unternehmung mit mehr als fünfzig Angestellten das Recht auf Nichterreichbarkeit zu verhandeln hat (Art. 2242-17 des Arbeitsgesetzes).
Der SEV ist der Meinung, dass die Verankerung des Rechts auf Nichterreichbarkeit in den Gesamtarbeitsverträgen ein notwendiger Fortschritt ist: Dieses Recht schützt die Gesundheit der Arbeitnehmenden und verstärkt den Respekt vor dem Privatleben. Es muss nun in allen Bereichen des öffentlichen Verkehrs wahrgenommen, respektiert und in allen Unternehmen garantiert werden.
Praktischer Hinweis
Falls du ausserhalb deiner Arbeitszeit zur Arbeit aufgefordert wirst, erinnere deine Vorgesetzten daran, dass das Gesetz und der (SBB-)GAV deine Ruhezeiten schützen. Piketteinsätze müssen klar definiert und kompensiert werden. Und falls die Situation nicht bessert, kontaktiere den SEV. Die Gewerkschaft kann dir helfen, dein Recht auf Nichterreichbarkeit zu schützen.
SEV-Rechtsschutzteam