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Handeln nach Treu und Glauben
In unserer heutigen Welt ist vieles schriftlich geregelt. Niemandem käme es in den Sinn, etwa ein Haus ohne notariellen Kaufvertrag zu kaufen oder zu verkaufen. Für den Kauf einer Glace an einem Sommertag wäre ein schriftlicher Vertrag aber reichlich übertrieben – obschon auch der Erwerb einer Glace ein «Rechtsgeschäft» ist. Vieles in unserem Leben läuft auch ohne Paragrafen ganz gut.
In vielen Fällen geht es deshalb – und nur dann – gut, wenn alle Beteiligten «nach Treu und Glauben» handeln. Was bedeutet das aber im einzelnen? Wo ist definiert, worin «Treu und Glauben» bestehen?
Unbestimmter Begriff
Es handelt sich dabei um einen sogenannt «unbestimmten Rechtsbegriff», welcher, um in einem bestimmten Fall Anwendung zu finden, der Auslegung bedarf. In den meisten Fällen handeln die Menschen «nach Treu und Glauben», ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Sie sind anständig, redlich, aufrichtig, zuverlässig, rücksichtsvoll usw. Und wir verlassen uns darauf, dass unser Gegenüber sich so verhält: mit einem «Bschysshung» will niemand jassen.
Damit kommen wir zur Anwendung – auch im Arbeitsbereich sind wir darauf angewiesen, dass alle Beteiligten sich so verhalten wie beschrieben. Ein konkretes Beispiel: Kollege A. erhielt für einen Auftrag, den er nebenberuflich für den Kanton erfüllte, eine Entschädigung. Nach mehreren Jahren war der Kanton der Meinung, er habe zuviel bezahlt und A. müsse Geld zurückbezahlten. Als A. sich weigerte, stellte der Kanton eine Verfügung in Aussicht. Die Verfügung kam nicht, stattdessen «verrechnete» der Kanton die Entschädigung mit seiner Forderung und bezahlte nicht mehr. Man könnte fast von einem «Musterbeispiel» sprechen. Kollege A. konnte davon ausgehen, dass er das Geld zu Recht erhielt – und er hat es auch bestimmungsgemäss verwendet. Er konnte danach auch damit rechnen, eine Verfügung zu erhalten, gegen die er sich hätte wehren können. Das Verhalten, eine strittige Forderung einfach zu verrechnen, widerspricht dagegen einem Verhalten nach Treu und Glauben. Der Fall nahm ein gutes Ende: Als sich A. wehrte – er warf dem Kanton schriftlich (unter anderem) vor, gegen Treu und Glauben verstossen zu haben – lenkte der Kanton ein und zahlte das zurückbehaltene Geld nach. Explizit ist der Grundsatz bei Kündigungen: Missbräuchlich ist eine Kündigung u.a. dann, wenn sie ausgesprochen wird, «weil die andere Partei nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend macht» (OR Art. 336).
Verpflichtende Handlungsnorm
«Treu und Glauben» haben in der Schweiz einen hohen Rang, der Grundsatz ist sogar in der Bundesverfassung verankert: «Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben», so steht es in Artikel 5. In Artikel 2 des Zivilgesetzbuches, also im allgemeinen Teil, steht ebenfalls «Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.»
Leichtfertig sollte man sich allerdings nicht auf «Treu und Glauben» berufen, denn im gleichen Artikel des Zivilgesetzbuches steht auch, gleichsam als Einschränkung des ersten Abschnittes: «Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.» Wird man sich in einem konkreten Fall nicht einig, wird der Richter (oder, im Bereich des Arbeitsrechtes, das paritätische Richtergremium) darüber befinden müssen, welche Seite die besseren Argumente auf ihrer Seite hat.
Auf Deutsch gesagt: Man darf und soll guten Glaubens sein. Aber man soll den guten Glauben nicht überstrapazieren.
Rechtsschutzteam SEV
Kommentare
No 06/01/2021 01:45:21
herrliche erklärung. bloss zum schluss etwas zu neutral formuliert. es ist eben immer der richter (oder heute auch die richterin), die nach ihrer lauden befinden dürfen. dieser spass muss aber ein ende finden, wir schreiben das 2021. das gesetzt sollte in der heutigen zeit nicht mehr auf die schulter welche reinzelner menschen beruhen düfen.