Beispiel einer unklaren Situation, ob etwas Lohn ist oder nicht.
Kartoffelernte als Zankapfel
Eine Freistellung während der Kündigungsfrist bedeutet, dass der Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verzichtet, aber auch, dass sich dieser einen allfällig anderweitig verdienten Lohn grundsätzlich von der geschuldeten Lohnzahlung abziehen lassen muss.
Martin (Name geändert) arbeitet im Baudienst einer öVUnternehmung, nennen wir sie AlpenBahn AG, und macht über manches Jahr seine Sache gut. Bis es in seinem Betrieb zu einer Umstrukturierung kommt, die zur Folge hat, dass er einen neuen Chef erhält. Viele Arbeitsprozesse werden neu überprüft und angepasst, und zwar so, dass es Martin wenig behagt, was er auch lautstark kundtut. Nach langem Hin und Her mit dem Vorgesetzten und auch im Team, bei dem es zu einigen Unstimmigkeiten kommt, erhält Martin die Kündigung. Die Intervention des SEV-Berufsrechtsschutzes bewirkt zwar nicht die Rücknahme der Kündigung, aber dafür eine sofortige Freistellung Martins, der überzeugend darlegen kann, dass insbesondere die Friktionen im Team keineswegs nur auf ihn zurückzuführen sind.
So weit, so gut. Martin hat nun genügend Zeit, sich um seine Stellensuche zu kümmern, und ist nach kurzer Zeit erfolgreich. Die neue Stelle, die er gefunden hat, soll er einen Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist der AlpenBahn AG antreten. Da er in der Zwischenzeit ja nun viel freie Zeit hat, geht er seinem Schwager, einem Landwirt, bei der Kartoffelernte zur Hand.
Er staunt nicht schlecht, als er ein Schreiben der Alpen-Bahn AG erhält, in welchem kurz und bündig vermerkt ist, man habe vernommen, dass er eine Anstellung bei seinem Schwager habe, und dass er sich den hier verdienten Lohn auf seinen Kündigungslohn anrechnen lassen müsse. Er solle bitte die Lohnabrechnung einreichen, damit man die Lohnzahlung der Alpen-Bahn AG entsprechend kürzen könne.
Martin schreibt der Alpen-Bahn empört zurück: er habe sich für einige Tage aus reiner Freundschaft dazu verpflichtet, dem Schwager zu helfen. Er habe dabei nichts verdient, sondern lediglich Essen und einige wenige Male auch ein Hunderternötli erhalten. Eben, gibt die Alpen- Bahn AG zur Antwort, die Mitarbeit bei der Kartoffelernte werde nach gängiger Auffassung nicht umsonst geleistet. Sie beruft sich auf Art. 320 Abs. 2 OR, wonach «ein Arbeitsvertrag auch als abgeschlossen gilt, wenn der Arbeitgeber Arbeit in seinem Dienst auf Zeit entgegennimmt, deren Leistung nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten ist». Des Weiteren argumentiert sie, die Hunderternötli seien zwar nicht viel, aber da Martin ja wohl auf dem Bauernhof gewohnt habe, sei ein Teil des Lohnes halt in Naturalien erfolgt. Dabei stützt sie sich auf Art. 322 Abs. 2 OR, der besagt, dass Unterkunft und Verpflegung im Hause des Arbeitgebers als Teil des Lohnes angesehen werden können.
Nur eine Gefälligkeit
Nun wird es Martin ungemütlich, er schaltet den Berufsrechtsschutz ein. Dieser legt der AlpenBahn AG seinerseits dar, dass es sich hier wirklich nicht um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hat, sondern um eine Gefälligkeit. Denn glücklicherweise hatte der Schwager noch andere Erntehelfer, die auch entsprechend – also nicht mit 300 Franken – entlöhnt wurden. Zudem hat Martin auch längst nicht täglich mitgearbeitet, sondern nur zwischendurch, so wie er auch nicht ständig auf dem Hof gelebt hat, wenngleich er zwei Mal dort übernachtet hat. Die AlpenBahn AG lenkt dann auch rasch ein, und Martin erhält den vollen Lohn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
Rechtsschutzteam SEV