Whistleblowing — eine Gratwanderung für gewissenhafte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wann ist Reden Gold und Schweigen nur Silber?
Maul halten – oder besser nicht?
Das Jahr 2012 war geprägt von Skandalen: Bundesratskandidat Bruno Zuppiger soll eine Erbschaft veruntreut, Notenbankchef Philipp Hildebrand sich mit Devisengeschäften bereichert haben; mit dem Vorwurf der Loyalitätspflichtverletzung und ungenügenden Leistungen sieht sich Nationalrat und Museumskonservator Christoph Mörgeli konfrontiert.
Bei all diesen Vorfällen spielten echte oder vermeintliche «Whistleblower» eine zentrale Rolle. Der Begriff stammt aus den USA und wird von «Whistleblowing » abgeleitet, was wörtlich übersetzt «pfeifen» oder «in die Pfeife blasen» bedeutet, womit auf den Schiedsrichter angespielt wird, der bei Regelverstössen während eines Spiels in die Trillerpfeife bläst. Auf das Arbeitsverhältnis übertragen ist ein Whistleblower demnach eine Person, die illegale oder unethische Geschäftspraktiken veröffentlicht, indem sie die zuständigen Personen innerhalb des Betriebes oder der Verwaltung informiert (sog. internes Whistleblowing) oder die Behörde, einen Interessenverband oder die Öffentlichkeit benachrichtigt (sog. externes Whistleblowing).
Die Häufung des Phänomens zeigt, dass es vielen Arbeitnehmenden ein Bedürfnis ist, auf Missstände im eigenen Unternehmen aufmerksam zu machen. Bei übereiltem oder unbedachtem Vorgehen laufen couragierte Mitarbeitende indes Gefahr, selbst aufgrund einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung oder eines Verstosses gegen strafrechtliche Bestimmungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Was gilt es also zu beachten?
Wann gilt die Geheimhaltungspflicht?
Der Arbeitnehmende ist grundsätzlich zur Geheimhaltung von Informationen, die er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erfährt und die der Arbeitgebende geheimhalten will, verpflichtet. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn gewichtige Interessen Dritter oder der Öffentlichkeit gefährdet sind oder sich das inakzeptable Verhalten des Arbeitgebenden gegen den Arbeitnehmenden selbst oder ihm untergebene Mitarbeitende richtet (z. B. bei grober Verletzung der Unfallverhütungsregeln).
Wichtig ist, dass Arbeitnehmende nicht überstürzt handeln und bei ihrem Vorgehen stets die Verhältnismässigkeit wahren. Das bedingt, dass Arbeitnehmende zuallererst ihren Arbeitgebenden informieren. Besteht jedoch von vornherein Gewissheit, dass ein solcher Schritt nicht zum Erfolg führen wird, sei es, weil der Arbeitgebende nicht innert angemessener Frist reagiert oder weil er gänzlich untätig bleibt, so ist die zuständige Behörde über die Missstände zu unterrichten. Erst dann, wenn trotz Mahnung weder der Arbeitgebende noch die Behörde gewillt ist, gegen die unhaltbaren Zustände vorzugehen, darf schliesslich in schweren Fällen die Öffentlichkeit informiert werden (z. B. durch Information der Presse). Externes Whistleblowing ist somit grundsätzlich erst nach der Ausschöpfung des internen Meldeweges erlaubt.
Einschneidende Konsequenzen
Wer sich für Whistleblowing entscheidet, muss oft mit Diskriminierungen wie Mobbing, Versetzung und Kündigung oder sogar mit einer Strafanzeige wegen Geheimnisverletzung rechnen. Die Sanktionen, die den Whistleblowern/innen sogar bei rechtmässigem Vorgehen drohen, halten viele Arbeitnehmende davon ab, gegen Missstände im Unternehmen vorzugehen. Eine allfällige Kündigung aufgrund der rechtmässigen Meldung eines Missstandes kann von Arbeitnehmenden im öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis angefochten werden, was bei Erfolg zu einer Wiedereinstellung führen kann. Nach Bundespersonalgesetz sind auch alle weiteren Nachteile auf beruflicher Ebene untersagt. Arbeitnehmende in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis indessen erhalten bei Kündigung trotz rechtmässiger Meldung nur eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen zugesprochen.
Ausblick
In der Schweiz sind Whistleblower/ innen bislang nur äusserst mangelhaft geschützt. Insbesondere für Arbeitnehmende im privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnis ist es ein schwacher Trost, dass sie für ihren Mut nur eine relativ geringe Entschädigung erhalten und die Kündigung nicht anfechten können. Fürs neue Jahr bleibt dennoch die Hoffnung, dass die 2008 angestossene Teilrevision des Obligationenrechts zu einem effektiven Schutz der Whistleblower/ innen beiträgt und dass die Gesellschaft Whistleblowing nicht mehr als Loyalitätsbruch der Arbeitnehmenden versteht, sondern vielmehr in den Vordergrund stellt, dass Whistleblowing die Verletzung öffentlicher Interessen verhindert. echtsschutzteam SEV