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Überraschungen der Prozessordnung
Die neue Strafprozessordnung (StPO) hält immer wieder Überraschungen bereit, sowohl für juristische Profis wie für Gewöhnlichsterbliche.
An einem konkreten Fall wollen wir aufzeigen, wie man sich in den Irrgängen der Justiz verlieren kann, wenn man nicht auf kompetenten juristischen Beistand zählen kann.
Georg wird auf dem Arbeitsweg in einem Kreisel Opfer eines Auffahrunfalls, verursacht durch eine Autofahrerin, die angibt, ihn nicht gesehen zu haben. Einen Monat später erhält die fehlbare Automobilistin einen Strafbefehl, gegen den sie bei der Gerichtsbehörde Einsprache erhebt. Zum folgenden Prozess wird Georg als Zeuge geladen, als solcher kann er nicht von einem Anwalt assistiert werden. Hat er noch die Möglichkeit, in diesem Verfahren durch Privat- oder Strafklage Partei zu werden, um als solche vom Rat und Beistand einer rechtlich geschulten Person zu profitieren? Nein, so einfach geht es nicht! Georg hatte nach dem Unfall ausdrücklich auf eine Klage verzichtet. Deshalb ist zu fragen, ob er in der jetzigen Situation noch eine solche erheben kann. Nach Art. 118 der StPO hat man dies vor Ende der Voruntersuchung bekannt zu geben. Und der Art. 318 StPO hält fest, dass dieses Ende mit dem Strafbefehl, der Anklage oder der Einstellungsverfügung zusammenfällt. Da in unserem Fall der Strafbefehl bereits ausgestellt war, war es dafür zu spät. Georg hat also nicht mehr die Möglichkeit, im Strafprozess Partei zu werden, um seine Interessen (Schadenersatz, Genugtuung) zu verteidigen. Auch wenn Zivilansprüche noch beim Versicherer der fehlbaren Automobilistin eingefordert werden können, bleibt Georg im Moment nichts übrig, als den Ausgang des Berufungsprozesses abzuwarten, ohne dass ein Anwalt aktiv darauf Einfluss nehmen könnte. Das ist ein Nachteil, weil die Richter in Zivilverfahren sich oft auf die Erkenntnisse der Strafrichter stützen. Das bedeutet, dass im Fall eines Freispruchs der Automobilistin die Chancen von Georg kleiner sind, doch noch eine Entschädigung zu erhalten – und die Rechtsschutzversicherung kann nichts daran ändern.
Deshalb muss man seine Kollegen, die möglicherweise in den gleichen Fall kommen, darauf hinweisen, dass sie nicht sofort darauf verzichten, eine Strafanzeige einzureichen oder Partei in einem Zivil- oder Strafprozess zu werden.
Rechtsschutzteam SEV