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20 Jahre SEV

Mr. Infra SBB geht in Pension

Am 1. September hat SEV-Gewerkschaftssekretär Urs Huber das Dossier SBB Infrastruktur an Michael Buletti übergeben, nachdem er es genau 20 Jahre betreut hat – seit seinem Eintritt in den SEV – und seit 2008 auch geleitet hat. Vor seiner offiziellen Pensionierung per Ende Jahr blickt er auf seine vielseitige Arbeit beim SEV zurück.

Wie bist du 2004 zum SEV gekommen?

Nach 24 Jahren bei der Post hat mir diese Firma abgelöscht und ich habe gekündet. Das war schon ein Sprung ins Leere, denn ich hatte keine «Papierli», die meine Kompetenzen nachwiesen – was damals bei allen Monopolbetrieben so war. Es waren eigentlich ziemlich viele: Verkauf, Reisepost, Bürochef in einem Briefzentrum, Lehrlingsausbildner, Personalverantwortlicher, Schichtleiter im Postzentrum Däniken, Poststellenleiter. Von meiner Kündigung wusste auch ein Kantonsratskollege und Lokführer. Er hat mir, als ich mal in Dulliken aus dem Zug stieg, aus der Lok die SEV-Mitgliederzeitung gegeben und gesagt: «Da hat es eine Stelle für dich drin!» Ich habe Ernst Leuen-berger angerufen, der damals Präsident war, um zu fragen, ob es einen Wert hat, dass ich mich bewerbe. Er wollte zuerst eine halbe Stunde lang wissen, warum ich von der Post weggehe, weil ich so «gelb» war für ihn. Ich habe dann die 80 %-Stelle bekommen, die ausgeschrieben war.

Hast du SBB Infrastruktur von Anfang an betreut?

Ja, aber in den ersten vier Jahren vorwiegend den Betriebsbereich, bis Manuel Avallone 2008 Vizepräsident wurde: Da habe ich alle Bereiche übernommen. In den ersten Jahren war ich zudem für Unternehmen in der Innerschweiz zuständig: Zentralbahn (ZB), Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee, Zugerland Verkehrsbetriebe, Auto AG Schwyz. Überall hatte ich tolle Kolleg:innen vor Ort. So war ich aber auch jahrelang in vier Branchen tätig. Bei der ZB war der Einstieg besonders spannend.

Warum?

Die ZB ist just bei meinem Stellenantritt entstanden. Das war ein Zusammenschluss aus 200 Leuten der SBB-Brüniglinie und 100 Leuten der «Privatbahn» Luzern–Stans–Engelberg. Die GAV-Verhandlungen waren extrem schwierig, weil vis-à-vis ein Direktor sass, der von extern kam und die Bahnwelt und deren Leute noch nicht begriffen hatte. Auf unserer Seite sind aber auch harte «Gringe» gesessen, zum Glück. Der Höhepunkt war eine Infoveranstaltung, bei welcher der Direktor das Personal informieren wollte. Da kam aus dem Personal der Input zum SEV: Das wollen wir gar nicht hören! Darum hat der SEV eine Petition lanciert, die fast alle 300 Mitarbeitenden unterschrieben haben, unbemerkt von der Chefetage. Der Inhalt war: Wir sind nicht einverstanden mit dem Umgang mit dem Personal. Es gab zwei Veranstaltungen der ZB, und an die erste in Hergiswil sind 200 Leute gekommen. Als der Direktor anfangen wollte, hat einer das Wort verlangt, ist nach vorne gegangen und hat dem Direktor die Petition «So nicht» übergeben. Darauf sind alle wortlos hinausgegangen. In einem benachbarten Restaurant hatten wir für sie schon «aufgetischt». Später habe ich den zweiten und dritten GAV allein verhandelt und dabei das Gefühl gehabt, das sei dann doch noch gut gekommen mit der ZB.

Was waren deine schwierigsten Dossiers?

Ganz schwierig war der Stellenabbau im Rangierbahnhof Biel Ende 2005. Damals hat SBB Cargo im Wagenladungsverkehr massiv Stellen abgebaut, und als «Nebenprodukt» haben im RB Biel 60 von 100 Mitarbeitern ihre Stelle verloren. Damals wurde der SEV über solche Entscheide erst informiert, wenn sie schon gefallen waren. Das Leitfadenverfahren mit einem Monat Zeit, um Einwände und Forderungen vorzubringen, kam erst nach dem Streik in Bellinzona von 2008. Wir machten auf dem RB Biel einen halbstündigen Arbeitsunterbruch für eine Betriebsversammlung und weitere Protestversammlungen, konnten den Abbau aber nicht verhindern. Von den 100 Leuten hat jeder gehofft, er sei unter den 40, die ihren Job behalten können. Ganz schwierig. Zwar hat wegen dem Contrat social niemand die Stelle verloren, aber die Frage war: Was machen so viele Rangierer nun? Es gab Kollegen, die die Situation im Arbeitsmarktcenter nicht aushielten. Einige sind sogar mit einer Abfindung gegangen und haben Geld aus der Pensionskasse genommen, um eine Beiz zu eröffnen, obwohl auch die SBB-Berater davon abrieten. Ein Rangierer, der plötzlich wirtet, das ist schon vor 20 Jahren kaum gegangen. Ein paar Jahre später wurde der RB Biel als Infrastruktur-Bahnhof ganz geschlossen, wie auch die RB Rotkreuz, Olten und Däniken.

Viele Stellen sind in jenen Jahren auch durch die Automatisierung der Bahnhöfe verloren gegangen, doch über eine längere Phase. Schwierig war dann die Migration von den Fernsteuerzentren in nur noch fünf Betriebszentralen (BZ) schweizweit, inklusive Spiez für die BLS. Damit mussten die Zugverkehrsleiter:innen, die zum Beispiel vorher in Bern, Basel oder Luzern gearbeitet hatten, nach Olten wechseln. Bei Schichten, die um 4 Uhr morgens beginnen oder aufhören, war dies etwa für einen Kollegen, der vorher von Buochs (NW) nach Luzern arbeiten ging, sehr schwierig. Zur Abfederung handelten wir Übergangsbedingungen aus.

Wie hast du den «Reorganisationsturbo» Philipp Gauderon erlebt?

Gauderon hat als Leiter Infrastruktur dafür gesorgt, dass die SBB vom Bund genügend Geld bekommt für den Unterhalt, indem er den Nachholbedarf klar aufgezeigt hat. Aber kaum ist er 2009 zur Infrastruktur gekommen, wollte er diese mit «Infra 2014» komplett umkrempeln und gleichzeitig mit «Best Infra Overhead» 350 Stellen abbauen – wobei «Overhead» ein irreführender Begriff war. Es war mein grösster Erfolg in meinen 20 Jahren beim SEV, dass wir die Leitung dazu zwingen konnten einzusehen, dass das so nicht ging. Sie musste uns für jeden Bereich einzeln aufzeigen, wie viele Stellen abgebaut werden sollten und warum. Dies und die zeitliche Verzögerung (mit natürlicher Fluktuation und Pensionierungen) haben dazu geführt, dass schliesslich statt 350 Leute «nur» 70 konkret ihre Stelle verloren haben. Das Rekordjahr der Reorganisationen war aber 2016 mit 19 Leitfadenverfahren. Besonders problematisch war der gleichzeitige Abbau von 75 Zugverkehrsleitern in den BZ und von 50 Mitarbeitenden in der Intervention. Ständige Reorganisationen sind auch für die Chefs sehr belastend, denn sie müssen sich dabei um vieles kümmern – neben ihren Kernaufgaben. «Man sollte uns doch einfach mal arbeiten lassen!», haben mir viele gesagt damals und bis heute.

Du warst ja auch «Mister Valida und Priora» beim SEV, also für diese Vorruhestandsmodelle zuständig, die mit dem GAV 2015 geschaffen wurden …

Ja, das hat sich so ergeben, weil ich mich bei jenen Verhandlungen sehr in die Details reingekniet habe. Inzwischen konnten immerhin mehr als 1000 Kolleg:innen mit Valida frühzeitig gehen. Und Priora war eine Erfindung und Forderung des SEV, das vergessen viele.

2011 hat die SBB das umstrittene Lohnsystem Toco eingeführt: mit welchen Folgen?

Toco war für die Division Infrastruktur eine Katastrophe, denn rund 50 % der Mitarbeitenden waren plötzlich schlechter gestellt. Am schlimmsten war es bei den Zugverkehrsleiter:innen. Wir haben dann erreicht, dass man ein Laufbahnmodell entwickelt, damit diese Leute irgendwie wieder ins Anforderungsniveau H kommen konnten. Doch wurde dies nachträglich wieder an zusätzliche Bedingungen geknüpft. In den ganzen dreizehn Jahren seither habe ich dafür gekämpft, dass die BZ-Berufe eine bessere Entlöhnung bekommen, und auch alle technisch-baulichen Berufe, bei denen es schon lange einen Personalmangel gibt: bei der Fahrleitung, den Sicherungsanlagen, den Projektleiter:innen, den Ingenieuren und vielen anderen. Ein Grossteil dieser Berufsleute kann heute zu Privaten gehen und verdient vom ersten Tag an mehr. Und trotzdem gibt es noch Vorgesetzte, die die Haltung vertreten, ihre Mitarbeitenden könnten ja froh sein, bei der SBB zu arbeiten. SBB Infastruktur reagiert nicht oder viel zu wenig, ist aber bereit, Leistungen von Dritten viel teurer einzukaufen, als es sie kosten würde, die eigenen Leute ein klein wenig besserzustellen. Generell wird es immer schwieriger, für Schicht- und Pikettarbeit Fachkräfte mit dem nötigen Know-how zu finden. Dieses Jahr hat der Personalmangel nun sogar zu Standortschliessungen geführt: Intervention Brugg und SA (Sicherungsanlagen) Innen Bülach. Ein grundlegender Fehler ist für mich auch, dass Zweitfunktionen nicht belohnt werden. Beispiel: Fahrleitungsmonteur: F; B 100-Lokführer: F; Fahrleitungsmonteur, der auch B 100 macht: F. Das ist einfach nicht fair. Ich habe sowieso den Eindruck, in der Firma SBB gibt es verschiedene Ligen und das Personal von SBB Infrastruktur ist definitiv nicht in der ersten Liga. Immerhin ist es dem SEV im Jahr 2019 gelungen, für mehr als 300 B 100 eine Marktzulage von 3000 Franken pro Jahr zu erreichen. Die B 100 bei der Intervention jedoch hat man bisher auf ein neues Laufbahnmodell vertröstet, das ihnen hoffentlich wirklich etwas bringen wird. Als SEV-Erfolg darf auch gewertet werden, dass wir nach einer schwierigen Unfallserie im Baustellenbereich die Leitung Infrastruktur dazu bringen konnten, in sieben Arbeitsgruppen Massnahmen für mehr Sicherheit auszuarbeiten. Ist natürlich damit nicht alles gut. Besonders skeptisch bin ich hier hinsichtlich der Überwachung von Dritten, die für die SBB Leistungen erbringen.

Wie hat sich der SEV weiterentwickelt?

Als ich vor 20 Jahren zum SEV gekommen bin, sind wir noch viel zentralisierter gewesen: In Zürich gab es einen Regionalsekretär, in Lausanne gefühlt auch nur eine Person, in St. Gallen eine halbe Stelle und in Chur auch. Dank dem Ausbau der Regionalsekretariate ist der SEV jetzt mehr in der Fläche. Auch in Olten ist 2017 ein Regionalsekretariat eröffnet worden. Aber die 3000 SBB-Mitarbeitenden in Olten sind noch zu wenig abgedeckt, da braucht es unbedingt noch was. Ich vertrat übrigens immer die Haltung: Nicht was ich will ist entscheidend, sondern was die Kolleg:innen brauchen ist wichtig – eine pragmatische Grundhaltung. Und dass man aber dann auf den Tisch haut, wenn es entscheidend ist. Und: abgemacht ist abgemacht, das gilt für beide Seiten. Bei der SBB gibt es immer wieder Schlaumeier, die später ihre eigene Interpretation erfinden. Das waren so Momente, wo der Huber sehr hässig und unangenehm wurde.

Markus Fischer

Sekretär im Unruhestand

Urs Huber (63) wuchs in Obergösgen SO auf, wo er auch heute mit seiner Frau wohnt. Schon mit 15 Jahren war er politisch aktiv, zum Beispiel gegen den Bau des Atomkraftwerks gleich nebenan. Der Jungwacht-Scharleiter baute sechs Wochen lang Brunnen in Nicaragua. Im Jahr 1985 trat er der SP bei, wurde Gemeinderat und Kantonsrat (erstmals 1989, bei den Wahlen im März 2025 kandidiert er erneut). Jahrelang präsidierte er das 1. Mai-Komitee Olten.

Heutige Mandate: u. a. Präsident SP Obergösgen, Geschäftsleitungsmitglied SP Solothurn, Parteirat SP Schweiz, Vorstand Caritas Solothurn, Vorstand Schuldenberatung Aargau-Solothurn, Präsident des Vereins Step4 Kompetenzzentrum Berufsausbildung (für Jugendliche ohne Lehrstelle), beim Staatspersonalverband Solothurn Präsident der Wegmacher und Geschäftsleitungsmitglied.

Hobbys: Feste feiern und organisieren, Wandern, Lesen.