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Die Abstimmungsempfehlung des SEV

Der Vorstand des SEV hat die Parolen für die Eidgenössischen Abstimmungen vom 15. Mai verabschiedet. Basierend auf den Empfehlungen des SGB ruft der SEV dazu auf, ein Ja zum Filmgesetz und ein Nein zu Frontex in die Urne zu werfen. Für das Transplantationsgesetz gibt der SEV keine Abstimmungsempfehlung. Nachfolgend einige Erläuterungen auf der Grundlage der Analysen des SGB.

1. Filmgesetz

Das Parlament hat in der Herbstsession 2021 eine vom Bundesrat angestossene Revision des "Bundesgesetzes über Filmproduktion und Filmkultur" beschlossen. Mit dieser Revision werden Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime, Sky, Apple TV oder Disney+ verpflichtet, jährlich vier Prozent ihrer Einnahmen in der Schweiz in das Schweizer Filmschaffen zu investieren. Wer diese Investitionspflicht innerhalb von vier Jahren nicht erfüllt, schuldet dem Bundesamt für Kultur (BAK) eine Ersatzabgabe, deren Einnahmen dann wieder in die unabhängige Schweizer Filmproduktion fliessen würden. Das hiermit insgesamt erzielte Fördervolumen soll offiziellen Schätzungen zufolge rund 18 Millionen Franken betragen. Weiter werden den Streaming-Plattformen mit dem Gesetz Vorgaben zur Angebotsvielfalt gemacht: So müssen künftig 30 Prozent aller Filme europäische Produktionen sein. Die bürgerlichen Jungparteien (JSVP, Jungliberale, Junge Mitte und JGLP) haben erfolgreich – und mit teils unlauteren Methoden – für ein Referendum gegen diese Vorlage gesammelt, weshalb es nun am 15. Mai zu einer Abstimmung kommt.

Analyse und Abstimmungsparole

Streamingplattformen, davon grösstmehrheitlich die oben genannten ausländischen Tech-Giganten, machen in der Schweiz heute Umsätze im dreistelligen Millionenbereich – Tendenz stark steigend. Genau wie etwa das Unternehmen Zalando, welches ohne einen Rappen lokale Wertschöpfung massenhaft Kleider und Schuhe in die Schweiz importiert, verleiben sich diese Plattformen den Schweizer Filmmarkt mit fast ausschliesslich ausländischen (Gross-) Produktionen ein. Sie verdienen damit in der kaufkräftigen Schweiz sehr viel Geld, welches danach gänzlich ins Ausland abfliesst. Viel spricht deshalb dafür, die Streamingdienste auch in der Schweiz zur Reinvestition eines Teils ihrer hohen Umsätze zu verpflichten. Die beschlossene Umsatzquote von 4 Prozent ist dabei äusserst bescheiden angesetzt: So gelten etwa in Italien 20 Prozent und in Frankreich gar 25 Prozent. Mit diesen Investitionen könnten im Inland Arbeitsplätze von ansässigen Filmschaffenden unterstützt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden, ohne dass es dafür einen einzigen Steuerfranken braucht. Von staatlich finanzierter "Filmförderung" als Analogie zur existierenden Medienförderung kann deshalb keine Rede sein. Und auch das am Feierabend nach einem anstrengenden Arbeitstag so beliebte Film- und Serienabo wird keinen Franken teurer werden. Denn die Streamingplattformen werden ja lediglich dazu verpflichtet, einen Teil ihres sowieso vorhandenen Investitionsvolumens in der Schweiz zu tätigen (zumal hierzulande die Kosten für die Filmproduktion deutlich unter jenen des europäischen Umlands liegen). Zwar sind die 18 Millionen Franken, welche durch die Einführung der Investitionspflicht schätzungsweise zusammenkommen sollen, eine äusserst bescheidene Summe (zum Vergleich: Das entspricht gerade mal 15% des Budgets des neusten "James Bond"-Films, exkl. Werbekosten), doch spiegelt sich darin eine auch für die Gewerkschaften sehr relevante Grundsatzfrage: Sollen ausländische Plattformen (heissen sie nun Facebook, Zalando, Netflix oder Smood) in der Schweiz zügellos Profite generieren und abziehen können, oder stellen wir – wo nötig – neue Regeln auf, um auch diese Firmen in die Realwirtschaft und damit in eine Verantwortung für sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen einzubinden? 

Der SEV empfiehlt, die Revision des Filmgesetzes anzunehmen.

2.Transplantationsgesetz

Bundesrat und Parlament wollen bei der Organspende die Widerspruchslösung einführen: Wer nach dem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies neu festhalten müssen. Ohne Widerspruch dürfen nach dem Tod somit Organe und Gewebe entnommen werden. Bisher gilt das Umgekehrte: Eine Spende ist nur möglich, wenn eine Zustimmung vorliegt. Diese Revision des Transplantationsgesetzes ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative "Organspende fördern – Leben retten". Dagegen wurde von einem relativ breit getragenen Komitee erfolgreich das Referendum ergriffen, weshalb es am 15. Mai zur Abstimmung kommt.

Analyse und Abstimmungsparole

Die Vorlage ist von hoher gesundheitspolitischer und ethischer, jedoch von sehr geringer gewerkschaftlicher Relevanz. Der SEV spricht aus diesem Grund keine Abstimmungsempfehlung aus.

3. Bundesbeschluss über Frontex

Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex wird seit 2016 sowohl finanziell als auch personell aufgerüstet. Da es sich dabei um eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes handelt, erwartet die EU von der Schweiz, dass sie sich an diesem Ausbau beteiligt. Deshalb hat das Parlament in der Herbstsession beschlossen, den jährlichen Schweizer Beitrag von ursprünglich 14 Mio. Franken bis ins Jahr 2027 auf rund 61 Mio. Franken zu erhöhen. Ausserdem soll die Schweiz mehr Einsatzkräfte für den Schutz der Aussengrenzen des Schengenraums stellen. Zwar hat auch der Nationalrat den Ausbau mit Massnahmen im humanitären Bereich verknüpft, doch diese gehen weniger weit, als der Ständerat ursprünglich beantragte.

Analyse und Abstimmungsparole

Der SGB hat sich wiederholt hinter die Schengen-Abkommen gestellt, da er diese als Voraussetzung für die Personenfreizügigkeit sieht. In der Vernehmlassung zur Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnung, die diesem Geschäft zugrunde liegt, hat er deshalb im März 2020 die Übernahme der Bestimmungen nicht im Grundsatz abgelehnt, weil er befürchtet, dass die Schweiz durch die Nichtübernahme die Zusammenarbeit im Rahmen von Schengen und Dublin riskieren würde. Er hat sich jedoch dahingehend kritisch geäussert, dass die Ressourcen für Abwehr- und Rückführungsmassnahmen zu hoch sind im Vergleich zu den gesprochenen Massnahmen zur Schutzgewährung und dass die Massnahmen zur Gewährleistung der Grundrechtskonformität und im Bereich des Datenschutzes gestärkt werden müssen. Diesen Forderungen hat die Politik nicht entsprochen. Ein Komitee rund um das Migrant Solidarity Network hat gegen die Vorlage das Referendum ergriffen, unterstützt wird es unter anderem von der SP und den Grünen sowie der feministischen Streikbewegung. Das Argument, dass die Schweiz nicht eine Behörde mitfinanzieren soll, die mit der Sicherung der „Festung Europa“ zum Leid an Europas Aussengrenzen beiträgt und dabei auch immer wieder in Grundrechtsverletzungen involviert ist, ist legitim. Die Unterstützung für das Referendum ist deshalb auch in den Gewerkschaftskreisen gross. 

Der SEV übernimmt diese Haltung und spricht sich für eine Ablehnung der Abstimmungsvorlage aus.