Bildungstagung Frauenkommission
«Timeout statt Burnout»
«Tempora mutantur», die Zeiten ändern sich, heisst es seit Jahrhunderten und wir alle spüren es – heute spricht man vom «Change», dem sich alle stellen müssen. An ihrer jährlichen Bildungstagung betrachteten die SEV-Frauen aus verschiedenen Blickwinkeln Chancen und Gefahren der Digitalisierung in der Arbeitswelt und im Alltag.
Veränderung, Transformation, Digitalisierung: schon zum wiederholten Mal war dies das Thema der Tagung, wie Lucie Waser, die Gleichstellungsbeauftragte des SEV, gleich zu Beginn einräumte. Doch da sich auch der Wandel wandelt, ist das Thema wohl nie zu Ende diskutiert. An der diesjährigen Tagung näherten sich die Teilnehmerinnen anhand von fünf Impulsreferaten der Thematik an. Prof. Ute Klotz von der Hochschule Luzern sprach zu den Chancen und den Gefahren der Digitalisierung in Alltag und Beruf. Die Beschleunigung kann im wahren Wortsinn Atem beraubend sein: Wir kommen nicht mehr zum Schnaufen, in kürzerer Zeit müssen wir immer mehr erledigen und der von der «künstlichen Intelligenz» festgelegte Algorithmus, also die Anweisung, wie wir eine Arbeit zu erledigen haben, scheint übermächtig zu werden – der «Algorithmus als Chefin» wird zur Realität.
Apps ersetzen Menschen, Plattform- oder Gig-Wirtschaft gesicherte Verhältnisse. Unsere persönlichen Daten werden Teil von «Big Data», dagegen können wir uns kaum wehren. Auch Klotz konnte es letztlich nur darum gehen, einen Ein- und Überblick in neue digitale Entwicklungen zu geben, damit wir ihnen mit geschärftem Bewusstsein gegenüberstehen.
Transformation der Arbeitswelt
Konkreter auf die Auswirkungen der digitalen Transformation der Arbeitswelt für die Frauen ging Patrizia Mordini, die Leiterin Gleichstellung der Gewerkschaft Syndicom, ein. Auch sie sah in «künstlicher Intelligenz» und Big Data Chancen wie Gefahren. Zu den Chancen gehören die Möglichkeit gesteigerter Selbstbestimmung und die Beteiligung bei allen möglichen Entscheidungen, zu den Risiken der Verlust einer gesicherten Existenzgrundlage, der sozialen Sicherheit, von Kontakten und der psychischen Gesundheit. Viele Frauen arbeiten in Berufen, die sich für Home-Office nicht eignen. Und wenn Home-Office doch möglich ist, birgt es neben Vorteilen auch die Gefahr von Mehrfachbelastungen. Die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit droht sich aufzulösen. Mordini fordert zunächst detaillierteres Datenmaterial, das auch die Realität der Frauen abbildet, Weiterbildungen, damit die Betroffenen mit den Veränderungen Schritt halten können, und, wo nötig, Umschulungen auf neue Funktionen.
Entspannung, Kraft und Freude
Die Psychologin Shanti Wendel Diener, die unter der Losung «Timeout statt Burnout» zu Beginn des Nachmittags Kraftquellen im Alltag aufzeigte, verstand es, sofort den Kontakt zu den Anwesenden herzustellen und sie zum Mitmachen zu bewegen. Es gilt, Entspannung, Kraft und Freude zu fördern – mit praktischen Handlungsanleitungen statt theoretischen Überlegungen. Pausen machen, sich sportlich bewegen und mit angenehmen Aktivitäten positive Gefühle anregen: damit hilft man sich selber.
Gegen Hass im Netz
Einem besonders üblen Ausfluss der Digitalisierung war der vierte Impuls der Tagung gewidmet: Jolanda Spiess-Hegglin, die Gründerin des Vereins «Netzcourage Schweiz», zeigte anhand von Beispielen auf, wie wir dem Hass gegen Frauen im Netz aktiv entgegentreten können. Der Hassrede im Netz, dem Runtermachen von andern kann man begegnen, indem man sich zusammenschliesst und gemeinsam gegen die Urheber und Urheberinnen von digitaler Gewalt vorgeht, unter anderem auch mit Klagen und Gerichtsprozessen.
«Women in Rail»
Der letzte Impuls zeigte unerwartet eine positive Möglichkeit der Digitalisierung auf: Da die als Referentin zum «Women in Rail»-Projekt vorgesehene Hanny Weissmüller kurzfristig nach Brüssel zu einer wichtigen Sitzung reisen musste, wurde die LPV-Präsidentin per Videoschaltung an die Frauentagung zugeschaltet. Sie sprach zum gegenwärtigen Stand des Projekts, das die Arbeits- und Anstellungsbedingungen der Frauen bei den Bahnen Europas verbessern und damit die Bahnen als Arbeitgeberinnen für Frauen attraktiver machen soll. «Wir haben Frauen, aber sie müssen bei der Bahn bleiben», sagte Hanny Weissmüller, und dafür muss die Bahn frauenfreundlicher werden.
Mit einem kurzen statutarischen Teil zur Frauenkommission des SEV, insbesondere der Verabschiedung des langjährigen Mitglieds Giuditta Purtschert vom RPV, endete die Tagung.
Peter Anliker