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Kurierdienste

Transnationale Streiks – eine neue Welt

© CLAP/facebook

Der Entscheid des Lieferdienstes Deliveroo, den Minimaltarif für eine Fahrt abzuschaffen, hat eine Protestbewegung ausgelöst, die sich bereits abgezeichnet hatte. Wie andere Angestellte der neuen Wirtschaft und das Personal von McDonalds zuvor, haben die Fahrerinnen und Fahrer den gemeinsamen Protest wiederentdeckt.

Mitten im Sommer haben die Auslieferer von Deliveroo einen brillanten Streik ausgelöst: In Toulouse, Nizza, Besançon, Tours und Paris wurden Anfang August Versammlungen organisiert, um gegen die neuen Tarife zu protestieren, die am 29. Juli von der britischen Zentrale festgelegt worden waren. Die Preise für kurze Auslieferungen sinken, jene für lange Strecken steigen; sie waren bisher am wenigsten rentabel. Das Unternehmen hat auch den Mindesttarif aufgehoben. Bisher lag dieser bei rund 4 Euro. Einzelne Fahrer erklären, dass sie für eine Fahrt, die zuvor 4,50 Euro einbrachte, gerade noch 2,70 Euro erhalten.

Es folgten zwei weitere Versammlungen in Paris, auf Initiative des Kollektivs der selbstständigen Auslieferer Paris (Clap), einer jungen Gewerkschaft, die 2017 gegründet worden ist. Ihr Ziel war, die Auslieferungen zu verhindern, indem sie die Restaurants blockierte, in denen die Bestellungen zubereitet wurden. Schon im Vorjahr hatte es bei Deliveroo einen Streik gegeben, doch die jetzige Bewegung ist eine der wichtigsten der letzten Jahre in Frankreich, denn sie folgt den Streiks der letzten Monate in Spanien, London und Italien, ausgelöst auf den Strassen, fortgesetzt in den Gerichten.

Das Kollektiv unter Druck

Den Auslieferern ist es in diesen Ländern vor Gericht gelungen, dass ihr Vertrag als Selbstständige in einen Anstellungsvertrag geändert wurde. Das brachte Hoffnung in diesen noch sehr instabilen Wirtschaftsbereich, wo viele Junge zu prekären Bedingungen arbeiten. Die gewerkschaftlichen Aktionen im Ausland bewirkten einen Schub für die französischen Lieferkollektive: Sollte die Lösung im Kampf gegen ein multinationales Unternehmen darin bestehen, eine länderübergreifende Bewegung anzustossen?

Das Arbeitsrecht ist noch immer weitgehend national geregelt, was bremsend wirkt. Hinzu kommt, dass die Angestellten der multinationalen Firmen sehr unterschiedliche Verträge haben. Dieses Auseinanderdriften wirkt zerstörerisch auf das Gemeinschaftsgefühl im Kollektiv. Trotzdem scheinen neue Formen der Zusammenarbeit zu entstehen.

Dieses Jahr haben mehrere tausend Angestellte von Amazon am so genannten «Prime Day» in einer Gemeinschaftsaktion die Arbeitsbedingungen des amerikanischen Internetgiganten angeprangert. Ihr Aufruf erfolgte gleichzeitig aus Frankreich, den USA, Grossbritannien und Spanien. In der Geschichte weltweiter Arbeitskämpfe gab es vorher beispielhaft den Kampf gegen McDonalds für gerechte Löhne, mit dem in den USA lancierten Slogan «Fight for Fifteen».

Auch wenn sie in ihrer Form verschieden sind – am einen Ort steht eine Gewerkschaft an der Spitze, andernorts organisieren sich die Betroffenen ohne jede vorgegebene Struktur –, haben diese Bewegungen das gemeinsame Ideal des transnationalen Kampfs.

«Fliessende Bewegung»

«Die Organisation sozialer Konflikte ist ein Abbild der Gesellschaft», erklärt Vincent Pasquier von der HEC Montreal. Der Spezialist für Arbeitsbeziehungen hat sich der Veränderung der Gewerkschaften gewidmet. «Die Kampagne ‹15 Dollar pro Stunde› gegen McDonalds ist ein Beispiel dafür, wie die Gewerkschaften versuchen, aus einer soliden, klassischen Arbeitswelt in eine fliessende Bewegung überzugehen. Die Internetplattformen zeigen ein hohes Ausmass der Verflüssigung. Die Arbeit wird noch stärker aufgeteilt und eine Mobilisierung damit noch schwieriger», betont der Forscher.

Diese Kämpfe, eine proletarische Version von David gegen Goliath, bleiben also selten. «Die multinationalen Konzerne sind vollwertige politische Akteure geworden. Sie sind in der Lage, mit den öffentlichen Hoheiten zu rivalisieren, in Umgehung der Gesetze, und untergraben die sozialen Normen, indem sie die Angestellten verschiedener Länder gegeneinander ausspielen», schreibt die französische Zeitschrift Mouvements in ihrem Dossier «Transnationale Gewerkschaftsbewegung».

Im Oktober beteiligte sich Clap mit Bewegungen aus zwölf europäischen Ländern an der Gründung der transnationalen Vereinigung der Kuriere. Die neue Organisation, die im September in Paris wieder zusammenkommt, will herkömmliche Transportorganisationen und neue Verbünde mit weniger Struktur vereinigen, um eine engagierte Zusammenarbeit zwischen der alten und der neuen Welt aufzubauen.

Die Bewegung breitet sich aus; nach Spanien, Deutschland, Finnland, Italien und England sind auch Länder ausserhalb Europas hinzugekommen. «Wir wollen besser strukturiert werden, um beispielsweise die UNO auf diese sozialen Fragen aufmerksam zu machen und eine europaweite Lobby zu bilden», erklärt der Präsident von Clap, Jean-Daniel Zamor. Genau wie die Multinationalen.

Amandine Cailhol und Gurvan Kristanadjaja, Auszug aus «Libération», 7.8.2019.