Gletscherinitiative
Das Verschwinden der weissen Riesen
«In der Schweiz ist die Gletscherschmelze eine der sichtbarsten Folgen der Klimaveränderung.» Das waren die klaren Worte von Dominik Siegrist, Co-Präsident des Vereins Klimaschutz Schweiz, Anfang Jahr bei der Vorstellung der Volksinitiative, die als «Gletscherinitiative» bekannt ist. Innert weniger als fünf Monaten hat sie bereits über 120'000 Unterschriften erreicht.
Der Bergrutsch am Piz Cengalo, der im August 2017 die Gemeinde Bondo in Graubünden getroffen hat, wurde als Alarmruf genannt, wie auch der Zustand des Rhonegletschers im Wallis. Grosse Sorgen bereitet auch das Mont-Blanc-Massiv: Dort könnte sich auf der italienischen Seite ein Teil des Planpincieux-Gletschers von den Grandes Jorasses lösen. Die absturzgefährdete Masse beträgt rund 250'000 m³. In den letzten Tagen ist schon ein Block heruntergekommen.
Der Klimanotstand, der Zehntausende an die Demo nach Bern geführt hat und weltweit Hunderttausende bewegt, ist nicht nur eine offensichtliche Tatsache, sondern wissenschaftlich klar belegt. Die Worte der jungen schwedischen Aktivistin Greta Thunberg, die den Mächtigen der Welt sagt: «Wie könnt ihr es wagen, nur an euch zu denken?», sind eine Anklage, die keinen Widerspruch zulässt.
Nach den Wahlen werden die Unterschriften der Gletscherinitiative der Bundeskanzlei übergeben. Sie will die Politik für das Pariser Klimaabkommen sensibilisieren und dessen Ziele in die Verfassung schreiben. Es soll festgelegt werden, dass nach 2050 keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden dürfen, mit Ausnahme von Anwendungen, für die es technisch keine Alternativen gibt. In Übereinstimmung mit dem Klimaalarm, der sich auf die Gletscher bezieht, steht auch der Bericht des «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC), dem wissenschaftlichen Klima-Beirat der Uno, der Ende September erschienen ist und sich den Ozeanen und Gletschern widmet. «Der weltweite Verlust an Gletschermasse, das Schmelzen des Permafrosts und der Abbau der Schneedecken und der arktischen Eisflächen wird in den Jahren 2031–2050 weitergehen», warnt der Bericht. «Es ist die Folge der Oberflächenerwärmung, mit unausweichlichen Folgen wie Flüssen, die über die Ufer treten, und anderen lokalen Gefahren.» Auch verschiedene Schweizer Experten haben das Dokument «Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate» mitunterzeichnet. So etwa Nicolas Gruber von der ETH Zürich, der betont: «Die Gletscherschmelze führt zu einem beschleunigten Anstieg der Meereshöhe, vor allem weil die Gletscher in Grönland und in der Antarktis immer schneller an Masse verlieren.»
Der Bericht der Uno hält zudem fest, dass «seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Reduktion der Eismassen an den Polen und im Hochgebirge weitgehend negative Auswirkungen hat in vielen Bereichen, von der Sicherheit der Lebensmittelversorgung über die Wasservorräte, Wasserqualität, Verpflegung, Gesundheit und Wohlbefinden, Infrastrukturen, Transporte, Tourismus und Freizeit bis zur Vielfalt der indigenen Völker». Weiter heisst es: Das Schmelzen von Gletschern und Permafrost auf dem Festland und die Erwärmung der Ozeane haben die Ökosysteme der Meere, der Küsten und zu Land beeinflusst, womit sich die Vegetation verändert und Tiere dazu gezwungen werden, neue Lebensräume zu suchen.
Die Verantwortlichen der Gletscherinitiative heben deshalb hervor, dass «die Klimaänderung die mensch- liche Zivilisation, wie wir sie kennen, bedroht, in der ganzen Welt und besonders in der Schweiz, wo die Temperatur doppelt so schnell ansteigt wie an andern Orten. Die Hitzetage fordern Todesopfer, das Verschwinden der Gletscher belastet den Wasserausgleich, die Trockenperioden bringen Tiere und Landwirtschaft in Bedrängnis, die Schutzwälder werden geschwächt, und im Mittelland beginnt die Rottanne unter der Hitze zu leiden.»
Millionen von Menschen auf der ganzen Welt verlieren ihre Lebensgrundlage und werden zur Migration gezwungen. Am Rand des Uno-Klimagipfels haben über 200 Vertreterinnen und Vertreter von indigenen Völkern, Arbeiterschaft, Akademiker/innen, Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen – eine nie zuvor erreichte Zahl – eine wegweisende Erklärung verabschiedet. Diese fordert von den Regierungen und den Wirtschaftsorganisationen, den Klimanotstand auszurufen, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Jennifer Morgan, Generaldirektorin von Greenpeace International, hat daran erinnert, dass «die Klimakrise eine Krise der Menschenrechte ist. Die Auswirkungen der Unwetterkatastrophen auf die Menschheit können verheerend sein.» Kurz gesagt: Die Menschenrechte hängen auch von einer alle umfassenden Umweltgerechtigkeit ab.
Françoise Gehring / Übersetzung: Peter Moor