Industrieller Waldbau: Bäume statt Wälder
Ein Dokumentarfilm zeigt: In Frankreichs Wäldern wütet eine Industrialisierung, wie es sie noch nie gegeben hat, mit Auswirkungen auf die Leute, die dort arbeiten. «Ich habe Hektaren von gefällten Bäumen, ausgebeuteten Landschaften, zerstörten Böden und Flüssen angetroffen», berichtet Regisseur François-Xavier Drouet.
«Heute hat es hier nur noch Tannen, sogar auf die Felder wurden sie gepflanzt. Es ist ein düsterer Wald geworden. Am Morgen ist es dunkel, am Abend ist es dunkel, und kein Vogel singt mehr hier.» Das sagt die Stimme einer traurigen alten Frau aus dem Hintergrund zu den ersten Bildern des Films. Keine Spur von unberührter Natur, von magischem Ort zur Erfrischung von Körper und Seele, zum Ruhe geniessen und Energie zurückholen in einer bereichernden Natur inmitten schützender grüner Riesen. In Frankreich erleben die Wälder eine beispiellose Industrialisierung.
Mit schweren Maschinen, Monokultur, Dünger und Unkrautvertilgern folgt der Waldbau dem Muster der Intensivlandwirtschaft in verschärfter Form. Der Film «Le Temps des Forêts» von François-Xavier Drouet zeigt eine Reise durch den industriellen Waldbau und seine Alternativen, vom Limousin zu den Landes, vom Morvan bis zu den Vogesen. Es ist klar, dass die Vorgänge von heute die Landschaft von morgen bestimmen, mit den unvermeidlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Der Dokumentarfilm des französischen Regisseurs erzählt die Geschichte eines Waldes, wie wir sie noch nie gesehen oder gehört haben. Es ist ein bedingungsloser Film, der mitten in den Kern der Thematik zielt: lebendiger Wald oder grüne Wüste? Tatsächlich handelt es sich um eine Art Anklage gegen die Ausbeutung des Waldes und neue Formen der Holzproduktion. «Viele halten die Abholzung für das einzige Problem des Waldes», sagt jemand im Film. «Aber in Frankreich besteht das Problem eher in der schlechten Bewirtschaftung des Waldes. Wir müssen uns fragen, was wir wollen: ein künstliches Feld voll Bäume oder einen lebendigen Naturraum?» Und diese Frage taucht im Film praktisch in jeder Szene wieder auf. Der Regisseur geht von seiner persönlichen Erfahrung aus, im Zentralmassiv, an der Westküste, im Burgund und an der Hügelkette der Vogesen. Die Reise beginnt beim Plateau von Millevaches im Limousin. Obwohl die Landschaft zu 70 Prozent mit Wald bewachsen ist, handelt es sich bei dieser Region tatsächlich um eine grüne Wüste, eine Kulturlandschaft, die dem industriellen Waldbau gewidmet ist. «Ich habe sofort gesehen, dass diese Monokulturen nichts Eigenständiges haben und dass die biologische Vielfalt am Fuss dieser Nadelbäume ärmlich ist», erzählt der Regisseur. «Entlang der Wege habe ich Hektaren von bodeneben gefällten Bäumen, ausgebeuteten Landschaften, von den Maschinen zerstörten Böden und Flüssen angetroffen. Einige Wochen später wurden auf diesem Trümmerfeld kleine Tännchen angepflanzt, mit Dünger und Unkrautvertilgern, die das Wachstum fördern, während der Boden von der Monokultur ausgelaugt wird.»
Unerhörter Druck auf die Arbeiter
Hektar für Hektar haben sich die Tannen in strengen Reihen ausgebreitet, die Monokultur hat über die natürliche Vielfalt gesiegt, der Wald wächst nur, um ausgebeutet zu werden. Im Kinositz versunken, sehen wir riesige Maschinen, wahrhaftige Metallmonster, die unaufhörlich die Stämme umsägen. Die Beklemmung wächst angesichts dieser unsinnigen planmässigen Zerstörung – oder eher eines Gewinnwerkzeugs auf Kosten der Umwelt, die zweifellos auch wirtschaftliche Kosten sind. Die Geschichte, die François-Xavier Drouet erzählt, ist also die Geschichte einer Waldwüste, der Monokultur, von Pestiziden und andern Giften, von Produktion, Rentabilität und sozialer Ungerechtigkeit. Er gibt im Film zahlreichen Personen eine Stimme, die im und mit dem Wald arbeiten. Personen, die daraus Kapital schlagen, gewiss. Aber auch Personen, die eine nachhaltige Nutzung bevorzugen.
«Die Waldarbeiter sind unerhörtem Druck ausgesetzt», klagt der Autor an. «Ihre Arbeit reduziert sich letztlich auf die Holzernte. Dieser Druck erzeugt ethisches Leiden bei jenen, die sich der intensiven Nutzung widersetzen, was sich in einer Reihe von Suiziden ausdrückt, die die nationale Waldbehörde in den Zweitausen-derjahren erschüttert hat. Eine Behörde, die alles verschweigt und ihre Mitarbeiter zum Schweigen zwingt. Bei der Forstwirtschaft handelt es sich um eine Männerwelt, in welcher Kritik oder das Zeigen des eigenen Befindens nicht gern gesehen ist. Man wird schnell als armer Träumer, oder schlimmer, als Umweltschützer, abgestempelt». Im Film haben die Stimmen eine grosse Bedeutung und erzeugen eine Wechselwirkung mit den Landschaftsbildern. Die Bilder sind absichtlich einfach, weit entfernt von den Naturfilmen, deren gepflegte Ästhetik die Mystik einer Ansichtskarte erzeugt. Eigentlich ist nicht der Wald das Zentrum des Films, sondern jene, die darin arbeiten, mit all ihren Widersprüchen. Auf Augenhöhe gefilmt, will der Film kein Urteil abgeben, sondern das Publikum zum Nachdenken anregen.
Es ist ein mutiges Werk, denn die Forstindustrie will das Interesse nicht auf sich ziehen, da sie sich Sorgen um ihr Ansehen macht. «In der Vorstellung des Städters ist es etwas Gutes, einen Baum zu pflanzen», betont der Regisseur. «Aber eine Monokultur an die Stelle zu pflanzen, wo ein natürlicher Wald von Monstermaschinen plattgewalzt wurde, ist etwas ganz anderes.» In Frankreich haben die Intensivwaldwirtschaft und der Holzhandel unvorstellbare Ausmasse angenommen. Man erinnert sich an den Schriftsteller Luis Sepúlveda, der gesagt hat: «Die Kolonialisten haben den Wald zerstört, um das Meisterwerk des zivilisierten Menschen zu errichten: die Wüste.» Aber es gibt Alternativen. «Le Temps des forêts» zeigt auch, wie es möglich ist, Holz zu produzieren und den Bedarf zu decken, ohne das Ökosystem zu plündern.
Der Film wurde am Filmfestival Locarno in der «Semaine de la critique» gezeigt: http://www.sdlc.ch/
Françoise Gehring/pmo