Diskriminierung in der Welt der beruflichen Ausbildung
«Mit 15 Jahren trifft man keine atypische Wahl»
Christian Imdorf ist Forscher an der Universität Bern. Sein Interesse gilt vor allem den Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts, der Nationalität oder des Alters im Bildungssystem der Schweiz und anderer Länder. Er erklärt, wie Diskriminierung in verschiedenen Betrieben abläuft und was man tun könnte, um die Chancen sogenannt «atypischer» Kandidat/innen zu verbessern.
Ja, ich habe vor etwa zehn Jahren solche Untersuchungen gemacht, wobei wir uns auf Lehrbetriebe konzentrierten. Zurzeit erforsche ich mehr das Bildungssystem im Allgemeinen und inwiefern es Segregation produziert.
Doch, selbstverständlich. Die Hälfte der befragten Betriebe sprachen sich für weibliche Auszubildende aus. Ihre Chefs lobten ihre Motivation und ihre schulischen Leistungen und sagten, Frauen würden das Betriebsklima etwas beruhigen und «verfeinern».
Nein, nicht wirklich. Frauen zu ermutigen, einen sogenannt «männlichen» Beruf zu wählen, genügt nicht. Sie bräuchten Unterstützung und Ressourcen von Beginn an und während der ganzen Ausbildung, vor allem auch bei der Rekrutierung.
Also, es gibt insgesamt 230 anerkannte Berufe, die man je für sich anschauen muss. Zurzeit konzentrieren sich meine Untersuchungen auf das Bildungssystem selbst, das die Jugendlichen sehr früh zur Wahl einer Berufsrichtung zwingt. Zu früh. Mit 14 oder 15 Jahren trifft man keine atypische Wahl. In den angelsächsischen Ländern erfolgt die Berufswahl später, was die Segregation reduziert.
Einfacher geworden ist vor allem der Wechsel in vertikaler Richtung dank den Fachhochschulen und verschiedenen anderen Weiterbildungsmöglichkeiten. Aber in horizontaler Richtung zu wechseln, also auf einen völlig anderen Beruf umzusatteln, ist nicht wirklich einfacher geworden.
Etwas tun können die Arbeitgeber, da die Segregation bei der Anstellung unterstützt wird. Mitverantwortung tragen aber auch die Berufsberater/innen. Vor allem aber müsste man die Möglichkeit eines Berufswechsels verbessern, zum Beispiel mit einer verkürzten Zweitausbildung oder einer Umschulungsprüfung.
Es gibt auch Diskriminierungen aufgrund des Alters oder der Nationalität. Die Diskriminierung aufgrund der Herkunft betrifft zahlreiche Jugendliche in der Schweiz, die beim Eintritt in die berufliche Ausbildung klar mit Nachteilen konfrontiert sind. Eine Folge dieser Diskriminierung, über die man kaum spricht, ist, dass diese Jugendlichen nicht jene Berufe lernen können, die sie am liebsten wählen würden, sondern sie müssen ihre beruflichen Ziele zurückstecken und eine weniger anspruchsvolle Lehre akzeptieren in Bereichen, wo die Arbeitgeber mehr Mühe haben, Lernende zu finden. Es gibt auch die Diskriminierung aufgrund des Alters: Betriebe wollen als Lernende reife Jugendliche, also keine Kinder, aber auch keine Erwachsenen. Kurz: Man darf weder zu jung noch zu alt sein.
Vor zehn Jahren hatten junge Migrant/innen der ersten Generation im Vergleich zu Schweizer Jugendlichen bei gleichen schulischen Leistungen viermal schlechtere Chancen, eine Lehrstelle zu finden. Denn wegen des Lehrstellenmangels war die Konkurrenz bei der Suche nach einer Lehrstelle in einem Betrieb sehr gross. Doch inzwischen hat sich dies geändert: Die Zahl der Lehrstellensuchenden hat abgenommen und die Betriebe sind weniger wählerisch. Für Jugendliche ausländischer Herkunft hat sich die Situation also insgesamt verbessert, doch bestimmte Gruppen von Jugendlichen bleiben je nach Herkunftsland weiterhin diskriminiert. Allein mit
Der öV ist ein Spezialfall, weil es hier den Lehrbetriebsverbund Login gibt. Das ist eine gute Lösung, die der Diskriminierung entgegenwirkt. Die Rekrutierung der Auszubildenden geschieht hier sehr professionell und losgelöst von den Betrieben. Es ist auch zu betonen, dass die Diskriminierung umso geringer ist, je grösser ein Betrieb ist. Und in einem Verbund wie Login wechseln die Lernenden den Arbeitsort jedes Jahr, womit es weniger «schlimm» ist, wenn es nicht gut läuft. In Lehrbetriebsverbünden ist der ganze Rekrutierungsprozess so beschaffen, dass er weniger diskriminierend wirkt, sei es aufgrund des Geschlechts, des Alters oder der Herkunft.
Betriebe wollen einfach das Risiko senken, dass die Eingliederung nicht funktioniert. Es gibt auch andere Diskriminierungslogiken wie Kosten-Nutzen-Überlegungen, doch die Logik der sozialen Integration scheint besonders relevant zu sein. Kleine Betriebe können bei Problemen nicht auf externe Hilfe zählen, während Grossbetriebe und Lehrbetriebsverbünde auf Profis zurückgreifen können, die sich um schwierige Fälle kümmern. In kleinen Betrieben spielt die
Die Kundschaft, die Konsumentenorganisationen, die Berufs- und Branchenverbände wie auch die Medien und die politischen Verantwortlichen können ebenfalls Druck auf die Betriebe machen und von ihnen fordern, dass sie bei der Rekrutierung der Lernenden mehr Vielfalt zulassen.