Nick Raduner hat beim SEV fast alles gemacht – jetzt wird er pensioniert
«Ich arbeite lieber mit Menschen als mit Bits und Bytes»
Nick Raduner ist zwar kein «klassischer» Bähnler, aber er hat eine «klassische» SEV-Karriere hinter sich: Er arbeitete bei der GD SBB, war aktiv in der Gewerkschaft und wurde schliesslich angefragt, ob er nicht auf der SEV-Zentrale arbeiten möchte. Bei ihm brauchte es sogar zwei Anläufe, bis er ja sagte – und heute ist er hier fast nicht mehr wegzudenken.
kontakt.sev: Nick, dein Büro sieht aufgeräumt auf. Bist du schon ein bisschen auf dem Sprung?
Nick Raduner: Ich habe ein bisschen Ordnung gemacht, in den Papier gewordenen Erinnerungen gekramt. Mein letzter Arbeitstag wird zwar erst am 24. August* sein, aber bis dann müsste ich nur noch acht Tage arbeiten. Ja, ich gehe in Pension, und im Moment dünkt es mich gut.
Du bist 1975, mit 23 Jahren, «in den Bahndienst» getreten, wie es in den Unterlagen des SEV heisst. Was hast du vorher gearbeitet?
Nach der Schulzeit habe ich eine Schriftsetzerlehre gemacht – sehr zum Stolz meines einen Grossvaters übrigens, der auch diesen Beruf ausgeübt hatte. Bald nach Abschluss der Lehre wurden wir vom Bleisatz auf den Fotosatz umgeschult. Da bin ich erstmals mit dem Computer in Kontakt gekommen. Als es mir dann an einer Arbeitsstelle nicht gut gefiel, habe ich mich für eine Stelle bei der elektronischen Datenverarbeitung der SBB beworben. Mein erster näherer Kontakt mit der Bahnwelt war also geografisch bedingt: mein Arbeitsplatz lag am Bollwerk in Bern, direkt neben den Gleisen!
Dann warst du einer dieser «Informatikfreaks » der ersten Stunde, die daheim am Commodore Programme geschrieben haben?
Nein, überhaupt nicht. Die Informatik war für mich einfach ein spannendes Arbeitsmittel. Bei der SBB wurden damals die Programme noch auf Lochkarten gestanzt, 1975 steckte die Computertechnik noch in den Kinderschuhen.
Bio
Nick (Niklaus) Raduner wurde am 6. August 60 Jahre alt. Er ist zum zweiten Mal verheiratet, hat aus der ersten Ehe einen Sohn und eine Tochter und aus der zweiten Ehe drei Töchter – die jüngste ist 19 Jahre alt – und inzwischen auch schon zwei Enkelinnen. Geboren in Rapperswil am Zürichsee, zog die Familie des Berufs des Vaters wegen – er arbeitete als Fernmeldetechniker bei der PTT – alle vier Jahre um. Nick Raduner behielt diesen Brauch ursprünglich bei, als er zuhause ausgezogen war … Seit 1981 wohnt er in Münsingen.
In seiner Freizeit spielt er Badminton («ich habe auch an Schweizer Meisterschaften des Sportverbandes öffentlicher Verkehr teilgenommen»), fährt mit dem Mountainbike («wegen des Naturerlebnisses») und segelt seit diesem Jahr. Wenn es die Zeit erlaubt, geht er mit seiner Frau und seinem Hund wandern, er ist im Vorstand der Berner Wanderwege.
Er liebt die Arbeit im Garten und auf dem Pflanzblätz («ich bin eher fürs Grobe zuständig, meine Frau für die feineren Arbeiten») und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Bonsai-Zucht.
1976 bist du dann auch in den SEV eingetreten.
Ja, und bald wurde ich Vertrauensmann – wie es eben so geht. Dann wurde ich Sekretär und schliesslich Vizepräsident der Sektion VPV Bern.
Und dann hast du dich beim SEV um eine Stelle beworben?
Nein, in meinem Fall hat sich eher der SEV um mich beworben, irgendwer ist wohl auf mich aufmerksam geworden. Beim ersten Mal habe ich nein gesagt, später, beim zweiten Mal, passte die Anfrage dann zu meiner Lebenssituation, und ich habe zur Gewerkschaft gewechselt. Die Arbeit bei der Gewerkschaft, für die Mitgliedschaft interessierte mich, ich wollte lieber mit Menschen arbeiten als mit Bits und Bytes.
Welche Aufgaben hattest und hast du auf der SEV-Zentrale?
Im Laufe der Jahre habe ich mich mit zahlreichen Arbeitsgebieten auseinandergesetzt: Ich war zuständig für Aus- und Weiterbildungen, habe mich um die Fahrvergünstigungen gekümmert, einmal haben wir vom SEV sogar Berufskleidersortimente entworfen, ich habe die weiblichen Mitglieder betreut und mit ihnen Statuten für eine Frauenkommission erarbeitet, längere Zeit war ich als Stellvertreter für die Verbandspresse zuständig, unter anderem für die Ausgabe zum Frauenstreiktag 1991 unter dem Titel «Die Eisenbahnerin» (statt «Der Eisenbahner»), die damals für heisse Diskussionen sorgte. Dann habe ich für die Sektionen mehrerer KTU gearbeitet, für die ich auch beim Erarbeiten der GAV tätig war. Seit 1997 betreute ich die BLS-Gruppe, seit 3 Jahren mache ich das zusammen mit Jérôme Hayoz. In all den Jahren bin ich aber auch der «Lohnmensch» des SEV gewesen. Man sieht, ich habe fast alles gemacht und auch viele Abende für den SEV eingesetzt. Meine Frau und die Familie mussten da oft hintanstehen.
Leute, die dich kennen, sprechen gern von deiner Liebe zur Bahn und den Mitarbeitenden der Bahn.
Ich will es nochmals betonen: ich bin überhaupt nicht «ferrosexuell»! Bei mir ist es vor allem die Liebe zu den Menschen, die den Ausschlag gegeben hat, bei der Gewerkschaft zu arbeiten. Diese Liebe hat mein Götti schon in Kindertagen in mir geweckt. Ich war offen, habe andern zugehört und bin ihnen, wenn ich konnte, beigestanden. Dank dem SEV bietet die Bahn heute grundsätzlich ein gutes Arbeitsgebiet mit guten Arbeitsbedingungen.
Welche Änderungen bei der Bahn sind dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ich bin ja erst nach dem «Dampfzeitalter» zur Bahn gekommen. Technisch gab es zwar immer Verbesserungen, eine neue Lok vielleicht oder die Einführung der Weichenheizungen, oder auch eigentliche Meilensteine wie die Ankunft des ersten TGV in Bern. Der grösste Einschnitt war aber rechtlich-organisatorischer Art, nämlich die Aufgabe des Beamtenstatuts. Dabei konnte der SEV immerhin einen garantierten niveaugleichen Übergang ins neue Recht erreichen. Die Divisionalisierung war der nächste grosse Schritt. Im Zuge der Divisionalisierung gelang es uns, bei einzelnen Divisionen Vorteile zu sichern, die dann in den andern Divisionen als Vorbild dienten.
Wie sah es in deinem Spezialgebiet, bei den Löhnen, aus?
Bei neuen Lohnsystemen war immer die Idee der SBB vorherrschend, sparen zu wollen. Unter Zuhilfenahme sogenannter «Marktvergleiche » – die hinken – hat man die handwerklichen Funktionen abgewertet. Massgebliche Faktoren, die bei der Bahn als Betrieb des öffentlichen Verkehrs zu beachten wären, wurden weitgehend ausgeblendet: die Sicherheitsrelevanz, die unregelmässige Arbeitszeit, die Selbstverantwortung. Wer bei der Bahn arbeitet, weiss, dass beispielsweise eine fehlende Schraube verheerende Folgen haben kann. Es wird rund um die Uhr gearbeitet, auch an Sonn- und Feiertagen, das nehmen die Mitarbeitendem im öffentlichen Verkehr in Kauf, um der Kundschaft ein gutes Angebot offerieren zu können. Die Bahnangestellten müssen auch in unterschiedlichsten Situationen souverän reagieren können. All dies zählt meiner Meinung nach beim Lohn zu wenig. Die weiteren Aspekte der Arbeitsbedingungen sind nicht mein Kerngebiet. Ich habe aber feststellen können, dass der Ruf nach «Flexibilisierung» nicht nur für die Unternehmungen Vorteile hatte – wie es ursprünglich gedacht war –, sondern durchaus auch fürs Personal, wenn man sie zu nutzen weiss.
Interview: pan.
* Das Gespräch fand am 25. Juli statt.