Rinaldo Zobele zieht nach sechs Monaten LPV-Präsidium Zwischenbilanz
«Die Junglokführer/innen verdienen zu wenig!»
Anfang Jahr übernahm Rinaldo Zobele von Peter Merz das Zentralpräsidium des Unterverbands des Lokpersonals (LPV). Wir fragten ihn nach seinen ersten Erfahrungen und Erkenntnissen.
kontakt.sev: Wie war dein Einstieg als Zentralpräsident?
Rinaldo Zobele: Etwas grob. Ich ging sozusagen von 0 auf 100! Auch wenn ich schon in der Peko Fläche war, hatte ich vorher noch keine LPV-Funktion, und Peter Merz konnte mir bei der Übergabe natürlich nicht alles sagen. Es gilt sehr viele Geschäfte im Auge zu behalten und an unzählige Sitzungen und Versammlungen zu gehen. An die Versammlungen gehe ich gerne, da ich dort den Puls der Mitglieder direkt zu spüren bekomme. Es gibt auch einiges zu lesen. Es ist vergleichbar mit einem 50-Prozent-Job, der vorwiegend in der Freizeit gemacht wird.
Hast du dir Ziele gesetzt?
Ich will die Geschäfte möglichst zur Zufriedenheit aller erledigen. Dies fällt allerdings schwer, da die Bahnunternehmen zurzeit nicht gewillt sind, Zugeständnisse an das Personal zu machen. Es werden Ausreden gebraucht, die man nicht mehr hören kann. Vieles, was abgemacht wurde, wird plötzlich als Missverständnis deklariert, nur damit man es nicht einhalten muss.
Der LPV ist daran, sich zu reformieren. Wo steht ihr dabei heute?
Im Mai hat die Delegiertenversammlung grundsätzlich grünes Licht gegeben. Bis Ende Jahr soll das Projekt umsetzungsreif sein. Bis zur DV im nächsten Frühling bleibt dann noch Zeit für Korrekturen.
Welche Massnahmen sind geplant?
Der Zentralvorstand wird verkleinert, damit er professioneller arbeiten und rascher reagieren kann. Je nach Geschäft sollen statt alle Vorstandsmitglieder nur noch die betroffenen Ressortverantwortlichen zusammenkommen. Ressorts sind etwa SBB Personenverkehr, SBB Cargo, BLS und RhB. Neu ist, dass auch Triebfahrzeugführer/innen privater Unternehmungen in den LPV integriert werden sollen, wenn sie dies denn wollen.
Was hat dich bisher sonst in Atem gehalten?
Der Personenverkehr SBB will gegen unseren Willen die Ausbildung von Regionallokführern durchziehen. Er hat auch unser Gesuch für Nachverhandlungen zu den Bereichsspezifischen Arbeitszeitregelungen (BAR) abgelehnt und Entschädigungen für Auslandfahrten (z.B. nach Bellegarde) einseitig festgelegt. Dazu soll eine Aussprache stattfinden. Ein weiteres aktuelles Thema sind die tiefen Löhne für Lokführer während und nach der Ausbildung. Gerade die tiefen Anfangslöhne bei der SBB erstaunen. 60‘000 Franken Jahresgehalt sind bei unserer Verantwortung und den unregelmässigen Arbeitszeiten einfach zu wenig. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, was passiert, wenn es der Privatwirtschaft wieder besser geht...
Bestimmt hattest du auch mit SBB Cargo zu tun?
Mit ihr konnten wir die BAR zufriedenstellend anpassen. Wegen dem konjunkturbedingten Verkehrsrückgang mussten für nicht ausgelastete Kollegen Lösungen gesucht werden, wozu der Personenverkehr Hand bot. Für grossen Unmut sorgten bei der SBB zudem Probleme rund um die Einteilung. Die (un)vernünftige Durchsetzung der Sicherheitsschuh-Tragpflicht durch Vorgesetzte ist auch immer wieder ein Thema.
Bei der BLS wurde der GAV weiterentwickelt...
Dieses Geschäft wurde seitens LPV durch unseren BLS-Vertreter im Zentralvorstand zusammen mit Sekretären des SEV sehr intensiv bearbeitet. Dabei konnte nun auch endlich eine Lösung für die Umsetzung des „Orange-Urteils“ gefunden werden. Da mit der RhB in gewissen Lohnfragen keine Einigung möglich war, tagt Ende Juli ein Schiedsgericht, und ich werde als Arbeitnehmervertreter Einsitz nehmen.
Bei der SBB stehen nächstes Jahr ebenfalls GAV-Verhandlungen an. Was fordert der LPV?
Wir möchten vor allem Zweideutigkeiten im Bereich der Arbeitszeit ausräumen, die das Unternehmen gerne zuungunsten des Personals auslegt, etwa was Zeitkonten, Dienstpläne und Einteilungen, arbeitsfreie Tage, Dienstschichten, Ruhezeiten usw. betrifft. Es ist wichtig, dass sich für den GAV alle einsetzen und dabei am gleichen Strick ziehen. Die Verhandlungen werden wohl eine grosse Zerreissprobe für alle.
Die Mitgliederwerbung hat für den SEV eine hohe Priorität. Was tut der LPV auf diesem Gebiet?
Der LPV erhält jeweils Gelegenheit, sich in den Lokführerklassen bei Login vorzustellen, und wir sprechen die jungen Lokführer/innen in den Unternehmen an. Auch wir bekommen zu spüren, dass mit dem gesellschaftlichen Wandel der Individualismus gestiegen ist. Ein gewichtiges Argument für den Beitritt ist und bleibt der Berufsrechtsschutz, den man haben sollte, sobald man auf ein Fahrzeug steigt. Dazu die Erkenntnis, dass man, wenn man organisiert ist, über den LPV mit dem Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe verhandeln kann.
Wie werbt ihr Mitglieder bei neuen Bahnunternehmen wie UTL oder RTS?
Wir versuchen mit ihren Mitarbeitenden in Kontakt zu treten, was relativ schwierig ist, da sie sehr zurückgezogen tätig sind. Ernsthafte Verstösse gegen das Arbeitszeitgesetz (AZG) fliegen meist nur durch Zufall auf. Für das eine oder andere Unternehmen ist es natürlich sehr lukrativ, wenn solche Verstösse nicht bekannt werden. Es gibt auch Unternehmen, die Druck auf ihr Personal ausüben, damit es nicht mit einer Gewerkschaft in Kontakt tritt.
An wen sollen sich Lokführer wenden, wenn sie Dienste leisten müssen, die das AZG verletzen, oder von solchen Vorfällen Kenntnis haben?
Sie können sich an den LPV oder SEV wenden, und wir melden den Fall dann dem Bundesamt für Verkehr (BAV). Dabei ist die Vertraulichkeit gewährleistet. Wenn immer möglich sollten Dienstplankopien mitgeliefert werden. Man kann sich beim BAV auch direkt melden, doch es ist von Vorteil, wenn LPV und SEV davon Kenntnis haben.
Der VSLF-Präsident auf Abwegen
VSLF-Präsident Hubert Giger lässt sich in Zeitungsberichten mit der Aussage zitieren, die Pensionierten müssten zur Sanierung der SBB-Pensionskasse herangezogen werden.
Für SEV und LPV ist klar: Hier liegt Giger völlig daneben! Die Forderung, die Rentnerinnen und Rentner sollten sich an der Sanierung der PK SBB beteiligen, ist gleich in doppelter Hinsicht falsch.
Erstens: Die fehlenden Milliarden schuldet der Bund und nicht die Rentner. Auch Anfragen beim Bundesamt für Sozialversicherung ändern an diesem Umstand rein nichts.
Zweitens: Die Rentnerinnen und Rentner beteiligen sich längst an der Sanierung, indem sie keinen Teuerungsausgleich erhalten – dies bereits seit 2004 und angesichts der Situation der Kasse womöglich noch auf viele Jahre hinaus.
Und an die Adresse des VSLF-Präsidenten eine Bemerkung vom SEV: Der Tunnelblick auf eine Kategorie vernebelt offenbar die Perspektive derart, dass nicht daran gedacht wird, dass auch VSLF-Mitglieder früher oder später in Rente gehen werden . . .
Bezüglich Sanierungsbeiträgen der Aktiven ist die SEV-Position unverändert: Ein Gesamtpaket muss paritätisch geschnürt sein, das heisst: Die SBB muss mindestens gleichviel daran beisteuern wie das Personal. pmo
LPV und SBB hatten vor anderthalb Jahren ein Teilpensionierungsmodell
ausgehandelt, das sich nur wenige Lokführer leisten konnten, da die SBB die
finanzielle Einbusse zu wenig abfederte. Seid ihr inzwischen weiter gekommen?
Der heutige Personalmangel liess dieses Geschäft in den Hintergrund treten,
doch können Interessierte die SBB um eine Offerte ersuchen. Beim Personenverkehr
häufen wir zurzeit Überzeit an, obwohl wegen der Wirtschaftskrise auch Cargo-Kollegen
bei uns arbeiten. Der aktuelle Arbeitsdruck durch unmögliche Dienste macht
die Leute kaputt und leistet Signalfällen Vorschub. Hier steht das Unternehmen
in der Pflicht, arbeitsverträgliche Lösungen zu suchen, statt nur Prozesse
zu definieren, welche lediglich die Symptome, aber nicht die Ursachen bekämpfen.
Damit gerade auch für ältere Kolleg/innen die Arbeit machbar bleibt.
Offenbar stehen beim Personenverkehr SBB viele Pensionierungen an?
Um diese aufzufangen und die geplanten Leistungssteigerungen zu bewältigen,
muss der Personenverkehr jährlich mindestens 160 neue Lokführer ausbilden.
Trotz einer Rekrutierungsoffensive werden noch bei weitem nicht genügend
Klassen gebildet. Es hapert vor allem beim Lohn, wie schon geschildert. Wenn
die Wirtschaft wieder anzieht, wird die SBB nicht um massive Lohnkorrekturen
nach oben herumkommen, gerade bei den jungen Lokführern, damit die Leute
bleiben – von der Pensionskassensanierung ganz zu schweigen...
Absolut unverantwortlich ist die geplante Verkürzung der Ausbildung, wie in Basel schon praktiziert. Da wird eindeutig am falschen Ort gespart! Die Neuen müssen richtig für ihre Aufgaben geschult werden und nicht mit einer Schnellbleiche, dies dient auch der Sicherheit.
Interview: Markus Fischer