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Wie flexibel ist genug flexibel?
«Tempora mutantur»: die Zeiten ändern sich! Technische Möglichkeiten scheinen unbegrenzt und es wird offen nachgedacht über selbstfahrende Fahrzeuge, implantierte Chipkarten und manch anderes. Lebenslanges Lernen ist das Gebot der Stunde, nicht mal ein Universitätsabschluss kann Arbeitslosigkeit verhindern.
Die Anforderungen an die Arbeitnehmenden wachsen also stetig und alle sollten mit den neusten Entwicklungen Schritt halten können. Wer das nicht kann, ist einfach nicht genug flexibel und muss fit gemacht werden für den Arbeitsmarkt. Doch wie viel Fitness und Flexibilität muss man denn nun wirklich bieten?
Grundsätzlich gilt: der Arbeitsvertrag mit Stellenbeschrieb gibt vor, welche Arbeiten, wo und zu welchem Preis (Lohn) zu erledigen sind. Geschuldet ist eine gute Arbeitsqualität und dass die Arbeitsausführung nach dem neusten anerkannten Stand der Technik auszuführen ist. Dafür gibt es den abgemachten Lohn und je nachdem Zulagen und Spesen. Arbeitnehmende haben zudem den Anweisungen der Arbeitgebenden Folge zu leisten, d.h. sie haben dem Weisungsrecht des Arbeitgebers gegenüber eine Befolgungs- und Treuepflicht. Demgegenüber stehen wiederum die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers. Ein Geben und Nehmen, zumindest in der Theorie.
Was kann verlangt werden?
Aufgrund reeller oder wenigstens herbeigeredeter Krisen treibt die Reorganisationswut der Arbeitgeber immer wildere Blüten und die Forderungen an die Arbeitnehmenden steigen stetig. So werden Arbeitsplätze verschoben, Aufgaben aufgehoben und neue geschaffen. Büroumzüge, Desk-Sharing, flexible Arbeitszeiten, Unterbestände, neue Arbeitstechnologien, Kaizen und was es da noch so alles gibt. Also kurz: mit weniger mehr erreichen und die Mitarbeitenden sollten am besten vor Gesundheit strotzende, fehlerfreie Menschen jugendlichen Alters mit umfassender Ausbildung und dem Wissen eines Methusalems sein, inkl. Bereitschaft, überall und immer zu arbeiten. Geht nicht, ist klar. Aber wie viel Flexibilität kann gefordert bzw. muss geschuldet sein?
Lernen gehört dazu
Die Buchhalterin mit zehn Jahren Erfahrung nach Abschluss der Grundausbildung soll ein neues Buchhaltungsprogramm lernen.
Diese Flexibilität zum Erlernen von neuen Arbeitsinstrumenten ist geschuldet und wohl auch unproblematisch. Das Gleiche gilt natürlich auch für Instruktionen auf neue, verbesserte Maschinen zur Arbeitsausführung. Eine Umschulung auf eine völlig neue, nicht mehr vom eigentlichen Arbeitsvertrag gedeckte Aufgabe wäre dagegen kaum verhältnismässig.
Ist der längere Arbeitsweg nocht zumutbar?
Ein Logistikmitarbeiter mit einem Arbeitsweg von 45 Minuten soll nun neu an einem anderen Standort der Firma die nahezu gleichen Arbeiten ausführen. Der neue Arbeitsweg beträgt 90 Minuten.
Ein doppelt so langer Arbeitsweg erscheint auf den ersten Blick nicht mehr verhältnismässig, egal ob gleiche oder andere Arbeiten ausgeführt werden. Die Arbeitslosenkasse rechnet mit einem zulässigen Arbeitsweg von 2 Stunden je Weg. Das ist aber die Maximalbelastung und diese ist nur dann verhältnismässig, wenn keine objektiven Unmöglichkeiten entgegenstehen, wie z.B. Betreuung von Kindern oder andern pflegebedürftigen Angehörigen, anerkannte private Verpflichtungen wie Pikett bei der Feuerwehr oder ähnliches.
Umzug oder Umschulung
Ein Handwerker ist angestellt für die Bereitstellung bestimmter Bauteile. Die Firma beschliesst nun, diese an diesem Standort nicht mehr zu produzieren. Eine neue Maschine wird angeschafft. Der Mitarbeiter müsste nun in ein anderes Werk gehen, wenn er die Teile weiterhin herstellen müsste. Das ist mit einem Umzug verbunden. Oder er bleibt am alten Standort und muss sich weiterbilden.
Ein Umzug kann vom Mitarbeiter nicht verlangt werden, selbst dann nicht, wenn von Arbeitgeber gewisse Leistungen an den Umzug bezahlt werden. Das muss freiwillig bleiben.
Der Mitarbeiter wird gezwungen, am alten Standort zu bleiben und sich umzuschulen. Solange der Arbeitgeber diese betrieblich geforderte Umschulung zahlt und der Mitarbeiter in der Lage ist, dieser Umschulung auch zu folgen, kann diese Massnahme verhältnismässig sein.
Die Bespiele zeigen, dass Flexibilität geschuldet ist, jedoch die Grenze in der Verhältnismässigkeit liegt, wobei immer die gesamten Umstände zu betrachten sind.
Rechtsschutzteam SEV